Die großen Western Staffel 4. Diverse Autoren
Rooster sprach eine Frau mit herber Stimme. Er nickte zu ihren Worten und blickte auf die Menschen unten auf der Hauptstraße.
»Ich hab’ immer auf dich gewartet, Rooster. Jahrelang. Und im ersten Jahr war ich wohl jeden Tag zum Telegrafenbüro gerannt und hatte nachgefragt, ob eine Nachricht von dir eingetroffen ist. Aber nichts, gar nichts. Der große Rooster hatte gar nicht mehr an mich gedacht! Na, schön. Aber ich hab’ trotzdem gewartet. Viele Jahre, Maverick Rooster. Und jetzt stehst du da –?und was tu ich? Mir ist nach Heulen zumute!«
»Dann heul’, Nellie«, knurrte er und wandte sich ihr zu, blickte sie stirnrunzelnd an und langte nach der Winchester, »aber dann verschwinde ich wieder. Du weißt, ich mag keine Frauen, die einem etwas vorheulen.«
Zorn ließ Nellies dunkle Augen aufblitzen.
»Du bist ein ganz verdammt sturer Hund, Rooster! Hol dich der Teufel! Und den Gefallen, wie ’ne dumme Gans loszuschluchzen, tue ich dir nicht! Also bleib gefälligst!«
Er grinste.
»So gefällst du mir schon besser, Nellie. Schön siehst du aus. Hier in Sundance Corral hat sich einiges geändert –?du auch. Du bist älter geworden, aber noch viel schöner.«
»Versuch nicht, mir so etwas weiszumachen, Rooster.« Nellie strich mit anmutiger Bewegung das braune Haar aus der Stirn. »Du hast ein Benehmen wie ein Cowpuncher.«
Maverick grinste noch breiter.
»Was du immer von mir denkst, Nellie. Hier hat sich doch wirklich einiges geändert. Die Bahnlinie ist neu, ein paar Verladerampen sind hinzugekommen, Bars und Saloons, sogar ein Hotel, ein Badehaus und ’ne Kirche.«
»Und ein Beerdigungsinstitut«, fügte Nellie stolz hinzu, »das mir gehört. Unten in meinem Saloon wird prompt jede Woche mindestens einer erschossen –?und ›Touch the Wind‹ nimmt sich der Leiche pietätvoll an. Ist das etwa nichts?«
»Sundance Corral macht sich, Nellie. Die Stadt wächst, und du wächst mit.« Er warf einen Blick aus dem Fenster. Die ersten Lichtbahnen fielen auf Gehsteige und Straße. »Was macht der Sheriff?«
»Wenn du damit meinst, ob er noch immer säuft –?er tut es. Dieser Mann ist ein Phänomen, Rooster! Er schafft es bis heute, an meinem Laden da drüben vorbeizukommen.«
»Wenn du Kundschaft brauchst, sag es mir, Nellie.« Rooster hielt die Winchester wie einen Knüppel, stakste jetzt auf die Tür zu. »Ich nehm’ einen Drink unten. Denk an dein Geschäft, Nellie.«
»Dafür hab’ ich meine Leute.« Nellie lief ihm nach und stellte sich vor die Tür. Weich blickte sie ihn an. »Bitte, bleib hier oben. Wir machen es uns gemütlich. Bitte, Maverick. Lauf doch nicht vor den Dingen davon. Mein Gott, du darfst einfach nicht weiter um deine Frau trauern. Es ist doch schon so lange her, Maverick!«
»Ich soll hier bei dir schlafen, Nellie?«
»Ja. Warum nicht, Maverick? Leg die Knarre weg und mach es dir gequem. Du mußt doch einmal ausruhen. Dein Sohn ist bald erwachsen. Da mußt du nun endlich auch wieder an dich selber denken.«
Langsam setzte Rooster sich in den weichen Sessel. Nellie nahm ihm Winchester und Stetson ab und zog ihm dann die Stiefel aus.
»Ich hab’ den Jungen noch nicht gesehen, Nellie«, murmelte er. Damals, als meine Frau gestorben ist, gab ich den Jungen Arlene und Lee. Und sie zogen ihn als ihren Sohn auf. Vielleicht ist es besser, wenn Caleb nie erfährt, wer sein Vater ist –?sein richtiger.«
Nellie kniete vor ihm nieder und legte die Unterarme auf seine Knie.
»Er hat ein Recht darauf, glaub’es mir. Du bist sein Vater. Maverick Caleb Rooster.«
*
Still kniete die Frau am frischen Grab ihres Mannes.
Über ihr raschelten hart die Eichenblätter im Abendwind.
Reglos standen die drei Farmhelfer neben dem Grab.
Einer fehlte: Cal.
Langsam richtete Arlene Rooster sich auf. Die Jungs wollten sie stützen. Doch sie ging allein und ohne Hilfe zum Wagen und stieg auf. Einer der Jungs griff nach den Zügeln. Die beiden anderen setzten sich hinten auf die Kante der Ladefläche. Langsam rollte der Wagen zurück zur Farm.
Arlene Rooster konnte nicht mehr weinen. Ein dünnes dunkles Kopftuch verbarg als Schleier ihr verweintes Gesicht.
Sie wußte von Cal, daß Lee für seinen Zwillingsbruder Maverick gestorben war.
Jetzt galt ihre einzige Sorge dem jungen Cal. Denn auch er trug den Namen Rooster. Und an diesem Namen haftete Unglück. Damals Benjamin. Jetzt Lee. Morgen vielleicht schon Caleb. Und irgendwann Maverick.
Die Sonne war gesunken, als der Wagen den Farmhof erreichte. Die Jungs halfen ihr vom Wagen. Sie wollte ins Haus gehen –?doch auf einmal stockte sie. Im Haus war es dunkel. Niemand war dort. Lees Bett war leer. Sie hatte Angst.
Mit zitternden Händen nahm sie das Kopftuch ab, legte es in den Nacken und wandte sich den Jungs zu.
Da sah sie durch die Stallfugen Licht schimmern.
Cal war im Stall.
»Bitte«, flüsterte sie, »geht ins Haus. Ich komme gleich nach.«
Sie wartete, bis die Farmhelfer die Haustür hinter sich geschlossen hatten. Dann näherte sie sich dem Stalltor, öffnete es behutsam zu einem Spalt und blickte hinein.
Breitbeinig und geduckt stand Cal unter der Stallaterne. Die Hände über den ausgebeulten Taschen seiner Jacke. Die Finger gespreizt. Und jäh langte er hinein, riß Colts hervor, stieß sie nach vorn, als wollte er schießen.
»Ich jag’ sie!« fauchte er dabei. »Ich töte euch! Alle sechs! Jeden. Einen nach dem andern. Ich räche dich, Vater! Sie sollen sterben! Ja, Dad – sterben! Ich erschieße sie mit diesen Whitneyville Walker Colts! Mit deinen Colts, Vater!«
Er sprach wie im Fieberwahn. Und er stieß die Colts zurück und zog sie wieder, duckte sich noch mehr dabei und zitterte vor Haß und wilder Wut.
»O mein Gott!« hauchte Arlene Rooster. »Cal! Was tust du da? Caleb?«
Er zuckte zusammen, fuhr herum und hielt die alten schweren Colts gesenkt. Sein blondes Haar war wild zerzaust. Die Augen eines jungen Wolfes sahen Arlene Rooster an.
Sie erschrak.
»Cal! Was ist mit dir, Cal?«
In seinem Gesicht wühlte noch einen Augenblick lang der Haß – dann entspannte er sich. Seine Stimme klang wie splitterndes Glas.
»Ich töte sie, Mutter. Mit Vaters Colts.«
»Das darfst du nicht, Caleb«, flüsterte sie und kam herein. »Nicht du, Cal! Du bist zu jung dazu. Überlaß das alles deinem Vater. Er ist –« Sie verstummte und preßte die kleinen Fäuste an den Mund. Langsam schüttelte sie den Kopf, blickte ihn starr an. Undeutlich sagte sie: »Er ist tot. Laß die Toten ruhen. Die Rache kommt von allein.«
»Sieh mich an, Mutter«, verlangte er mit leiser, gepreßter Stimme. »Sag’ das noch einmal. Ich will es noch einmal hören.«
»Was denn, Cal –?was?«
»Du weißt, Mam, was ich noch einmal hören wollte«, sagte er mit glucksender Stimme, schluckte immer wieder, schneuzte sich in den Jackenärmel. »Daß Dad nicht mein Vater ist. Onkel Maverick ist es. Er ist mein Vater!«
Arlene Rooster raffte sich auf, wuchs über ihre Kräfte hinaus und antwortete mit ruhiger, klarer Stimme: »Ja, Caleb. Maverick C. Rooster ist dein Vater. Du trägst seinen Namen. Caleb Rooster.«
*
Spuren von sechs beschlagenen Pferden.
Sie führten in einem Bogen um Cottonfield herum und dann zum Fluß.
Unter den Bäumen am Ufer verlor Willobie die Spuren.
»Verdammt!«