Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel


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nicht glücklich mit Xaver und Xaver nicht glücklich mit Georgette.

      Viktor spürte es schon bald, Schorschett beherrschte alle in Haus und Hof, selbst Onkel Xaver hatte sich da zu fügen, auch wenn er sich manchmal sträubte. Tante Georgette war eine starke Frau. Aber seine Mutter, dessen war er sich gewiss, war doch sicherlich auch eine starke Frau, aber beherrschen wollte sie niemanden. Sie führte ein großes Haus mit viel Personal und immer wieder neuen Gästen, und darin ging sie wie selbstverständlich auf, und sein Vater behandelte sie stets sehr höflich und mit freundlichem Respekt und hörte auf ihren Rat.

      Als sie vergangenes Jahr im Herbst das Kloster besuchten, war ihm mit großer Plötzlichkeit etwas klar geworden, was er zu Hause nicht hatte lernen können und was ihm auch in anderen Familien gewöhnlich verborgen geblieben war, wie sehr sich Frauen nämlich doch zu fügen und unterzuordnen hatten. Er hätte nie gedacht, dass es zwischen Mann und Frau derartige Unterschiede in Rang, Bedeutung und Ansehen geben könnte.

      Sein Vater hatte mit dem Abt eine private Führung vereinbart, nur für seine Frau, seinen Sohn und ihn selbst. Ihr Führer, ein gelehrter Pater, der sich als höchst sachkundig erwiesen hatte, war ihnen im Klosterhof entgegengekommen, und Herkommer, der schon ausgestiegen war, hatte sofort erkannt, dass da besondere Höflichkeit angebracht war, und hatte, als der Pater auf den Wagen zuging, stramm gegrüßt, die gestreckte rechte Hand mit den Fingerspitzen am Schild seiner Chauffeurmütze.

      Der Pater hatte ihnen dann mit großem Engagement die Geschichte des Klosters anhand der Bauten erklärt und vor allem die Kunstschätze im Magazin gezeigt, wovon Viktor freilich nur das Wenigste verstanden hatte.

      In einem Raum aber war sein Interesse erwacht, dort war ein ganzer Korb mit dem Geld aus den Klingelbeuteln und Opferstöcken gestanden – große und kleine Münzen, neue und abgegriffene, gültige und fremdländische, Spielgeld und Falschgeld, und auch ein paar Hosenknöpfe und Garderobemarken waren darunter. Ein Frater hatte mit einem ratternden Apparat die Münzen sortiert und gezählt, die dann automatisch in wohlgeordnete Rollen verschiedener Dicke zusammengestellt und in blaues Papier eingeschlagen wurden. Da war Viktor ihre festliche Silvestertafel zu Hause in den Sinn gekommen. An jedem Platz war eine kleine Süßigkeit gelegen, und an seinem war das ein Schokolademännchen in tiefer Hocke gewesen, aus dessen rosigem Hinterteil eine Münze hervorgetreten ist. So etwas Ähnliches musste sein Vater gemeint haben, als er neulich auf dem Jahrmarkt, um die Begehrlichkeit des Söhnchen zu dämpfen, lachend geschimpft hatte, ob Viktor denn wohl dächte, dass er ein Geldscheißerle besäße. Viktor blickte auf die Öffnung der Maschine, aus der sich die sortierten Münzen, zu festen Rollen zusammengepackt, in beachtlichem Tempo herausschoben.

      Während der Pater immer noch referierte, über das durchschnittliche Spendenaufkommen, die Spendenverwendung und überhaupt über die wechselhafte ökonomische Entwicklung des Klosters in den letzten Jahrhunderten, war Viktor mit dem Mund ganz nah an das Ohr seiner Mutter herangekommen und hatte sie voller Erstaunen leise gefragt:

      „Mama, ist das ein Geldscheißerle?“

      „Pst!“, hatte da seine Mutter bloß gesagt, und im gleichen Augenblick hatte der Pater, der mit seinen wirtschaftlichen Erörterungen am Ende war, mit entschlossenem Blick zu ihnen hergeschaut und in strengem Ton gesagt:

      „Ich muss Sie bitten, gnädige Frau, ich muss Sie nun leider bitten, hier zurückzubleiben. Nur Ihr Herr Gemahl und Ihr Sohn werden mir jetzt folgen, Frauen dürfen die nun folgenden Gebäudeteile nicht betreten. Wir werden Sie nachher hier wieder aufnehmen.“

      Viktor hatte im ersten Augenblicke befürchtet, der plötzliche Zuruf sei eine Rüge wegen des Tuschelns mit seiner Mutter, der Pater hatte ja so streng zu ihnen her geblickt, aber nein: Frauen durften nicht weiter mit hinein ins Kloster!

      Tante Georgette hätte damals wahrscheinlich auch zurückbleiben müssen, wenn sie dabei gewesen wäre, dachte Viktor im Rückblick, ja, bestimmt hätte sie zurückbleiben müssen! Aber sie hätte aufbegehrt, mindestens im Stillen, und gewiss dabei nicht so verständnisvoll gelächelt wie seine Mutter eben.

      Viktor war damals im Kloster sehr stolz gewesen, dass er, er als Mann, der er im Grunde genommen doch schon war, hatte mitkommen dürfen. Aber für seine Mutter hatte es ihm leidgetan, wohingegen man Schorschett, wäre sie dabei gewesen, eigentlich mit vollem Recht zurückgehalten hätte. Dann wäre zu seinem Stolz noch der Triumph gekommen.

      Der Konsul hatte mit einer freundlichen Gebärde gespielter Hilflosigkeit seiner Frau eine tröstende Bemerkung zugerufen, sich verabschiedend zu ihr hin verbeugt und sich dann seinem Sohn zugewandt.

      „So, Viktor, jetzt sind wir beide an der Reihe!“

      Tatsächlich, so war Viktor aufgefallen, ‚wir beide‘ hatte sein Vater gesagt! Per ‚wir‘ hatte er bisher noch nie gesprochen. ‚Wir Männer‘ sollte das heißen. –

      „Viktor, du kannst ja schon mal den Bulldog warmlaufen lassen“, sagte Onkel Xaver ganz beiläufig. Viktor war außer sich vor Freude und stürmte davon. Er sollte diesen gewaltigen Lanz-Bulldog warmlaufen lassen! Und das heißt doch wohl auch, dass er ihn anwerfen sollte! Das war die ganzen Tage schon, da sie Onkel Xaver beim Pflügen helfen durften, sein größter Wunsch gewesen, so unerfüllbar er ihm auch erschienen war.

      Ich werde zuerst die Lötlampe holen müssen, um den Glühkopf anzuheizen, plante Viktor im Laufen, und ich muss schauen, dass ich zu Streichhölzern komme, ohne dass mich Tante Georgette erwischt. Aber da lief ihm schon Bodo, der Knecht, mit der fauchenden Lötlampe in den Weg und hängte sie am Bulldog vorne unter dem Zylinderkopf ein.

      Jetzt würde man warten müssen, bis der Glühkopf rot glühte – oh, Viktor hatte genau aufgepasst! –, und inzwischen würde er das Lenkrad abnehmen, eine Klappe an der Schwungradverkleidung seitlich an der Kurbelwelle öffnen und dort zum Anwerfen die Lenkradachse hineinstecken.

      Ludwig, der sich ärgerte, dass Viktor den Bulldog anwerfen sollte, wo er doch der viel Stärkere war, drehte dann nur einmal probeweise am eingesteckten Lenkrad, spürte dabei die unerbittlich anwachsende Kompression und schüttelte mit der Miene eines Sachverständigen den Kopf.

      „Den kriegst du nie an“, sagte er finster, „wetten? Ich glaube, der Onkel Xaver will uns reinlegen!“

      Aber Viktor sagte nur: „Wart’s ab!“, denn er war sich seiner Sache sicher. Besaß er doch, statt einer Spielzeugdampfmaschine, einen Zweitaktmotor, einen ‚echten‘ Motor, wie er stets betonte, den er allerdings nicht allein laufen lassen durfte, das sei bei einem Explosionsmotor, wie sein Vater sagte, viel zu gefährlich, wenn es auch nur ein kleiner DKW sei, was in diesem Fall die Abkürzung für ‚Des Knaben Wunsch‘ war. Durch eben diesen kleinen Motor und das Anleitungsheft mit der Lehrtafel, das dabei war, wusste er ziemlich genau, wie ein Zweitakter funktioniert, und der mächtige Bulldogmotor, zehnmal so groß und hundertmal so schwer, war ja auch ein Zweitakter.

      Inzwischen waren, vom Fauchen der Lötlampe angelockt, andere Buben vom Hof dazugestoßen, auch Bienchen kam vorbei und nickte ihm freundlich zu, ging aber weiter. Es wäre ihm schon arg recht gewesen, wenn Bienchen bei ihnen stehen geblieben wäre bis nachher, wenn der Bulldog dann donnernd anspringen würde.

      Wir hätten Bienchen beim Frühstück nicht so hänseln sollen, dachte Viktor, dann hätte sie jetzt gewiss bei ihnen Halt gemacht. Obwohl es ja hauptsächlich Ludwig gewesen war, der Bienchen aufgezogen hatte. Aber Ludwig hatte mein Bienenbuch für seine frechen Neckereien verwendet, und eigentlich, gestand sich Viktor ein, war es ja ich, der mit diesem Ulk angefangen hat.

      „Bienchen“, hatte er zu ihr gesagt, „du musst noch schneller werden, ein richtiges Bienchen schafft einen Kilometer in zwei Minuten, steht hier, stell dir das vor!“

      Da hatte auch das zarte Bienchen noch gekichert, aber dann hatte Ludwig Gefallen an Viktors Spiel gefunden, Bienchen mit richtigen Bienen zu vergleichen, doch bei ihm ist aus dem Necken schon bald ein Quälen geworden.

      „Nimm nicht so viel Honig, Bienle! Das auf deinem Brötchen ist mindestens ein ganzer Kaffeelöffel voll! Dafür muss eine richtige Biene Hunderte und Tausende von Flügen machen. Und das ganze Honigglas hier – da schaffen gut


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