Diaula und das Dorf am Hang. Maya Grischin

Diaula und das Dorf am Hang - Maya Grischin


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Inhaltsverzeichnis

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      © 2020 novum publishing

      ISBN Printausgabe: 978-3-99064-835-3

      ISBN e-book: 978-3-99064-836-0

      Lektorat: Katja Wetzel

      Umschlagfotos: Igor Zakharevich, Bernd Juergens,

       Pascal Halder | Dreamstime.com

      Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

       www.novumverlag.com

Widmung Vorwort Erste Reise 1958 Zweite Reise nach Devonn 1975

      Dritte Reise 1989

      Stockholm, Februar 1989, zu Hause am Küchentisch

      Vierzehn Jahre lang habe ich einen dritten Besuch in Devonn immer wieder hinausgeschoben oder gar verdrängt; vielleicht, weil ich das vermeintliche Paradies in meinem Kopf so behalten möchte, wie es einst war. Heute habe ich mich entschlossen: Ich werde diesen Sommer ins Valsass fahren. Ich muss mich den Veränderungen dort stellen.

      Viel ist seit meinem letzten Besuch geschehen. Am Zweiten August vor vierzehn Jahren habe ich, trotz lautstarker Proteste der Familie, mein Studium von einem Tag auf den anderen an den Nagel gehängt. Ich bin mit dem Vulkanforscher Atli Gudmundursson nach Wien gezogen, habe meine Tochter geboren und mich bald darauf wieder von dem Isländer getrennt. Ich lebe jetzt in Stockholm, bin sechsunddreißig Jahre alt und eine gefeierte Köchin. Im Kochen habe ich schließlich eine handfeste Beschäftigung gefunden und mir einen Namen gemacht in einem Beruf, in dem Männer immer noch viel besser vorankommen.

      Meine Tochter Meret ist bereits dreizehn. Sie gleicht ihrem Vater und schwärmt seit Jahren vom Skispringer Matti Nykänen. Ihre Zimmerwände sind voll von Bildern vom Finnen, der immer wieder alle Meisterschaften gewinnt; ein Jungadler, der sich von der Sprungschanze stürzt, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Wenn er mit den Skiern auf der Schulter durch den Schnee zur Schanze stapft und Reporter ihn mit irgendwelchen Fragen behelligen, gibt er immer absurde Antworten. So heißt es. Das Skifliegen bringt ihn wohl ganz durcheinander. Träumt Meret auch vom Fliegen? Ich weiß es nicht. Zum Glück ahnt sie nichts von meiner Fliegerei.

      Ich liess mich zur Allerweltsköchin ausgebilden. Ich musste doch irgendwie anfangen! Um meinem Namen Ehre zu machen, habe ich mich dann an den Haferbrei gewagt, für den die Diaulen so berühmt waren. Haferbrei! Leider haben mir die wohlmeinenden Feen keine Rezepte in die Wiege gelegt. Ich war ganz allein auf mich selber gestellt! Wochenlang kochte, rührte und aß ich nur Haferbrei. Ich bereitete ihn mit Quellwasser, Kombucha, mit Butter oder anderen Milchprodukten zu, würzte ihn mit Ingwer, Orangen, Kardamom, Zimt, Nüssen und Berberitzen und vielen, vielen anderen heimlichen Zutaten, aber er schmeckte nicht, wie Haferbrei einer Diaula schmecken soll. Die Feen spähten wohl heimlich über meine Schultern in den Kochtopf und lachten hämisch und schadenfroh. Ich verzweifelte und wollte alles hinschmeißen. Aber Arvennüsse brachten mich doch auf den richtigen Weg, und endlich kam ich auf Honig, den hellen Alpenblütenhonig des Valsass! Ich hatte das streng gehütete Geheimnis der Diaulen gelüftet! Schlussendlich wurde ich mit meinem Haferbrei weltberühmt. So wie es einer Diaula eben ansteht. Den Honig beziehe ich seitdem vom Imker Wilhelm Tell in Devonn.

      Mit der Zubereitung von Nachtischen habe ich dann meinen Namen als Spitzenköchin gefestigt. Nach wenigen Jahren fingen mich besonders Süßspeisen und die Kombination von Süßem mit Saurem, Salzigem oder Würzigem an zu interessieren. Heutzutage reise durch die ganze Welt und koche.

      In meiner knapp bemessenen Freizeit fliege ich immer noch gerne und oft. Das Fliegen ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Meine Tochter weiß zum Glück nichts davon und meine Arbeitskameraden auch nicht. Fliegend entfliehe ich ungemütlichen Situationen und fliegend treffe ich Entscheidungen. Meine besten Menüs habe ich in der Luft zusammengestellt.

      Spät nachts

      Ich sehne mich danach, bald wieder über die weißen Bergspitzen der Bündner Alpen zu schweben, tief unten die Täler. Warum bin ich noch nie bis nach Devonn geflogen? Erstens kann ich mit Gepäck nicht fliegen. Zweitens fürchte ich Hochspannungsleitungen und drittens habe ich Angst, gesehen zu werden. Meine Fliegerei könnte publik werden. Ich würde von den Medien gejagt und zur Heiligen stilisiert, zur Heiligen weißen Köchin …

      „Ist die weiße Köchin da? Zweimal muss ich rummarschieren, das dritte Mal den Kopf verlieren …“, würden die Kinder singen. Ich wäre die weiße Köchin, die levitiert und fliegt wie weiland Sankt Cupertino, von dem Blaise Cendrars in Le Lotissement du Ciel so eindrucksvoll erzählt hat. Dann hätte ich keine ruhige Minute mehr!

      Ich werde seit einiger Zeit das Gefühl nicht los, dass mir trotz meiner großen Erfolge am Herd irgendetwas Wesentliches fehlt. Ich wollte doch schon vor Jahren, den letzten Schritt tun, konsequent sein. Alles hinter mir lassen, Che Guevara nachfolgen oder Ulrike Meinhof; den Mutigen, die die Welt verändern!

      Mit meiner Art zu protestieren, nämlich Tulpen in Parkanlagen zu köpfen, was ich noch gelegentlich tue, ist es nicht getan! Doch habe ich immer wieder, immer wieder mit meinem alten Taschenmesser ritsch – ratsch gelbe Tulpen geköpft und, wenn mir das Unrecht in der Welt und die Gedanken an den Müll auf den Kopf fielen, ich nicht mehr aus und ein wusste, habe ich wieder rote Schuhe mit hohen Absätzen gekauft. Bin ich denn feige? Ich vermag nichts zu verändern; mache nur mit meinen Kochkünsten unsere verdrehte und grausame Welt ein wenig schmackhafter. Ich bin eben eine Diaula.

      Beim Durchblättern der alten Notizen fällt mir auf, dass sie mit der Beschreibung meines Zeitgefühls angefangen haben. Dies möchte ich auch hier im dritten Heft versuchen. Was aber ist meine Zeit? Ich weiß es nicht, denn ich nehme mir nicht die Zeit zum Nachdenken! Vielleicht ist sie mir ja gar nicht davongelaufen, sondern ich bin stehen geblieben oder ich habe einfach ihre Spur im Dschungel meiner Geschäftigkeit verloren. Kann mir das Valsass helfen, das Monster Zeit wieder einzuholen, anzuhalten und zu knebeln, um mein Leben zu entschleunigen?

      Was in Devonn geschieht, weiß ich nicht. Vielleicht will ich es ja gar nicht wissen. Nur die Bergsteigerin Margret Prevost schreibt mir manchmal. Sie berichtet wenig über das Dorf, denn Dorfklatsch interessiert sie nicht. Sie erzählt, dass immer mehr Gäste sommers und winters im neuen Sporthotel Urlaub machen, dass Huggentobler eine Klinik gebaut hat und richtet mir vor allem Grüße von Kollegger aus, der in Devonn auf mich wartet.

      Margret hat zwei Bücher über ihre neuen Kletterrouten veröffentlicht. Sie hat viele begeisterte Anhänger. Man hat ihr oft angeboten, im Himalaja fürs Fernsehen zu klettern, aber sie will in den Bündner Alpen bleiben, denn sie hat schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht: Vor ein paar Jahren kletterte sie eine Direttissima ohne Hilfsmittel in der Westwand einer der drei Zinnen in den Dolomiten. Ihr Aufstieg wurde gefilmt vom berühmten Schweizer Dokumentarfilmer Peter Schnoz. Margret nennt es die schlimmste Tour ihres Lebens. Als sie in der Wand kletterte, flogen immer wieder Helikopter nahe an sie heran. Deren Lärm, vom Fels zurückgeworfen, steigerte sich zum grausamen Angriff. Steine lösten sich über ihr und regneten in die Tiefe. Margret nahm an, dass ihr der Berg des Rummels wegen zürnte.

      „Ich bin beinahe abgestürzt. Ich werde so was nie mehr tun. Eine Bergbesteigung ist eine intime Affäre zwischen dem Berg und mir“, versicherte mir Margret.

      Ihre Bücher sind anders als die meisten Bergsteigerbücher. Die Urbilder der Alpenliteratur – etwa die Schriften von Luis Trenker oder Reinhold Messner – haben mit der Eroberung der Gipfel zu tun; wie


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