Marie Grubbe. Jens Peter Jacobsen
still und betrachtete die Blumen und tat überhaupt so, als habe er nicht gesehen, daß jemand im Garten war. Er bog dann in einen Seitenpfad ein, blieb hinter einem großen Jasminbusch stehen und richtete an seiner Uniform und seinem Gürtel, nahm den Hut ab und fuhr sich durchs Haar und ging dann weiter.
Der Steig beschrieb einen Bogen und mündete gerade vor Sofie.
»Ah, guten Tag, Jungfrau Sofie!« rief er ganz überrascht aus.
»Guten Tag«, sagte sie ruhig und freundlich, befestigte nachdenklich ihre Nadel im Nähzeug, glättete es mit der Hand, sah dann lächelnd auf und nickte. »Willkommen, Herr Gyldenlöve.«
»Das nenn ich blindes Glück,« sagte er und verneigte sich; »ich erwartete, nur den Herrn Cousin der Jungfrau hier draußen zu finden.«
Sofie sah ihn schnell an und lächelte. »Er ist nicht hier«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte Ulrik Frederik und sah vor sich nieder.
Nach einer kleinen Pause seufzte Sofie und sagte: »Was für eine schwüle Wärme es doch heut auch ist!«
»Ja, es zieht sich sicherlich zu einem Gewitter zusammen, wenn der Wind sich legt.«
»Ja–a«, sagte Sofie und starrte gedankenvoll zum Hause hinauf.
»Hörtet Ihr den Schuß heute morgen?« fragte Ulrik Frederik und richtete sich auf, wie um anzudeuten, daß er gehen wolle.
»Ja; es sind herzlich schwere Zeiten, denen wir diesen Sommer entgegengehen. Es könnt einem flugs schwach zumute werden, wenn man an die Fährlichkeiten für Menschen wie für Habseligkeiten denkt und wenn man so viele liebe Verwandte und gute Freunde hat wie ich, die allesamt in dieser unglücklichen Affäre mit dabei sind, und ausgesetzet, Leben oder Gesundheit, oder was sie sonst besitzen, zu verlieren, so ist da auch mehr als Ursach genug, auf allerhand trübe und wunderliche Gedanken zu verfallen.«
»Nein, Herzensjungfrau Sofie! Ihr dürfet um des lebendigen Gottes willen nicht in Tränen ausbrechen, Ihr malet Euch alles zu düster aus.
»Tousiours Mars ne met pas au jour
Des objects de sang et de larmes.
Mais«
– und er ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen. –
»... tousiours l'Empire d'amour
Est plain de troubles et d'alarmes.«
Sofie sah naiv zu ihm auf.
Wie war sie nicht schön! Des Auges mächtige, saugende Nacht, wo der Tag in Schwärmen von wimmelnden Lichtfunken hervorquoll wie ein schwarzer Demantstein, der im Sonnenschein spielt; der Lippen schmerzlich schöner Bogen; der Wangen stolze Lilienblässe, die langsam in rosig glühender Röte entschwand, gleich einer Wolke, die die Morgensonne beleuchtet; und dunkelgeädert wie zarte Blumenblätter die seinen Schläfen, die sich geheimnisvoll in dem dunklen Haar verloren...
Ihre Hand zitterte in der seinen, kalt wie Marmor; sie zog sie sanft zurück und schlug die Augen nieder. Das Nähzeug glitt von ihrem Schoß, Ulrik Frederik beugte das eine Bein zur Erde, um es aufzuheben, und blieb in der knienden Stellung liegen.
»Jungfrau Sofie!« sagte er.
Sie legte ihre Hand auf seinen Mund und sah ihn milde ernst, fast schmerzlich an.
»Lieber Ulrik Frederik!« bat sie, »nehmet es mir nicht in bösem Sinne auf, daß ich Euch beschwöre, Euch nicht von einem augenblicklichen Sentiment verlocken zu lassen, eine Veränderung in dem angenehmen Verhältnis provozieren zu wollen, das bisher zwischen uns bestanden hat. Es frommet zu nichts, außer uns beide in Verdruß und Mißvergnügen zu bringen. Erhebet Euch aus dieser unvernünftigen Positur, und setzet Euch manierlich zu mir hier auf die Bank, daß wir in aller Ruhe miteinander reden können.«
»Nein, ich will mein Schicksalsbuch jetzt in dieser Stunde abgeschlossen haben«, sagte Ulrik Frederik und blieb liegen. »Ihr wisset nur wenig, wie groß und brennend die Amour ist, die ich für Euch hege, wenn Ihr habet denken können, ich sollt mich genügen lassen, schlecht und recht Euer guter Freund zu sein. Um Christi blutigen Schweißes willen, glaubet doch nicht an eine so platterdings unmögliche Sach! Meine Liebe zu Euch ist keine träge schwelende Glut oder Funke, so Ihr mehren oder schwächen könnet mit dem Odem Eures Mundes, ganz wie es Euch beliebet; par dieu! sie ist ein lodernd und verzehrend Feuer, aber es stehet bei Euch, ob es sich soll zerstreuen und auslöschen in tausend wirren Flackerflammen und irrendem Wetterleuchten oder ob es erwärmend und ruhig fortbrennen soll, hoch und zum Himmel aufleuchtend.«
»Aber lieber Ulrik Frederik, seid doch barmherzig und habet Mitleid mit mir und führet mich nicht in eine Versuchung, der ich vielleicht nicht widerstehen kann; denn Ihr möget glauben, Ihr seid mir von Herzen lieb und wert; allein just aus der Ursach will ich mich bis zum Äußersten dawider verwehren, Euch in eine falsche und unvernünftige Situation zu bringen, so Ihr keineswegs fideliter könnet maintenieren. Ihr seid wohl an die sechs Jahre zum mindesten jünger als ich, und das, so Euch an meiner Gestalt jetzo vielleicht zum Behagen ist, kann das Alter leichtiglich entstellen oder in Häßlichkeit verkehren. Ja! Ihr lächelt, aber supponieret einmal, daß Ihr, wenn Ihr die Dreißig hinter Euch habet, Euch mit einer runzeligen Hexe von Eheliebsten herumschleppet, die Euch nur eine geringe Mitgift zugebracht hat und Euch auch auf keine andere Weise zur Förderung gewesen ist; denket Ihr nicht, Ihr wollet Euch da wünschen, Ihr hättet, als Ihr in den Zwanzigern wart, Euch mit einer jungen, fürstlichen Person vermählet, was sowohl Eurem Alter als auch Eurer Geburt allermeist gemäß war und was Euch auch besser hätt vorwärtsbringen können, als das einfache Adelsmädel getan hätt? Herzens-Ulrik Frederik, sprächet Ihr mit Euren hohen Verwandten, sie würden Euch dasselbige sagen; aber sie würden Euch nicht sagen, daß, wenn Ihr das adelige Fräulein heimführtet, so da älter war als Ihr, sie Euch zu Tode quälen würde mit Ihrer Eifersucht; eifersüchtig würd sie sein auf jeden Eurer Blicke, ja auf Eure innersten Herzensgedanken; denn just weil sie wüßt, daß Ihr so viel habet fahren lassen, um sie zu fangen, würd sie sich anstrengen, daß ihre Liebe Euch die ganze Welt sein könnt. Glaubet mir, sie würd Euch mit ihrer abgöttischen Liebe umgeben wie mit einem Käfig aus Eisen, und spürte sie, Ihr sehntet Euch eine Minute da heraus, sie würd sich Tage und Nächte grämen und würd Euch jede Stunde verbittern in ihrem hoffnungslosen Schmerz.«
Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. »Lebet wohl, Ulrik Frederik; es ist bitter wie der Tod, daß wir scheiden müssen, aber nach vielen Jahren, wenn ich ein altes, verblühtes Mädchen bin oder eines alten Mannes ältliche Eheliebste, da werdet Ihr finden, daß Sofie Urne recht hatte. Gott Vater halte seine Hand über Euch. – Erinnert Ihr Euch in dem spanischen Romanbuch an die Stelle von dem indianischen schlingenden Kraut, das in seiner Jugend seine Stütze an einem Baum hat, aber fortfährt, sich um ihn zu winden, lange nachdem der Baum morsch und eingegangen ist, und ist zuletzt dasjenige, das den Baum hält, der nichts mehr stützen kann. Glaubet mir, Ulrik Frederik, also wird auch mein Gemüt gestützet und getragen werden von Eurer Liebe, lange nachdem sie verwelket und hingeschwunden ist.«
Sie sah ihm gerade in die Augen hinein und wandte sich, um zu gehen, aber Ulrik Frederik hielt ihre Hand fest.
»Willst du mich denn ganz und gar rasend machen! Muß ich dir denn sagen, daß jetzo, da ich weiß, daß du mich lieb hast, keine Macht des Lebens Trennung zwischen uns bringen kann? Ahnest du denn nicht, daß es töricht ist, davon zu reden, was du willst oder was ich will? Ist nicht mein Blut wie trunken von dir, bin ich meiner selbst jetzt mächtig? Ich bin besessen von dir, so daß du, und wenn du auch in dieser Stunde dein Gemüt von mir abwenden tätest, dennoch mein werden solltest, dir zum Trotz, mir zum Trotz; ich liebe dich, als ob ich haßte – – ich denke nicht an dein Glück, was rührt es mich, ob du in Glück oder Unglück kommst, wenn bloß ich mit bin in deiner Freude, wenn bloß ich mit bin in deinem Leide, wenn bloß ich...!«
Er riß sie mit einem Ruck an sich und preßte