Meine Zeit im geteilten Deutschland bei voller Beleuchtung. Joachim Sdunek

Meine Zeit im geteilten Deutschland bei voller Beleuchtung - Joachim Sdunek


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Arbeit bekam ich durch eine Freundin. Jungen als Zimmermädchen gab es sonst nicht.

      Ich verteilte die Seltersflaschen auf den Zimmern, fuhr die Schmutzwäsche in den Keller, verteilte neue Wäsche, bezog Betten und ging den Zimmerfrauen zur Hand.

      Unter dem Hotelpersonal waren auch Köche und Kellner aus der CSSR. Sie beendeten alle sofort ihre Arbeit und fuhren nach Hause.

      Ein tschechischer Gast hatte den Stecker seines Rasierapparates gewaltsam in die Schukosteckdose gesteckt und bekam ihn nicht mehr heraus. Die Zimmerfrauen riefen mich zu Hilfe. Ich umwickelte mein Taschenmesser mehrfach mit Papier und schnitt das Kabel durch. Der Gast war nicht nur wegen seines Rasierapparates in heller Aufregung. Er wollte schnellstens das Hotel verlassen und nach Hause fahren.

      Die Jahre meines Heranwachsens waren hochinteressant.

      Es gab in Rostock die Ostseewoche, die alle Ostseeanrainerstaaten einlud. Der Ostseeraum, das sogenannte Baltikum, ist schon immer ein wichtiger Wirtschaftsraum gewesen. Für die DDR ging es um internationale Anerkennung.

      Mein Vater begleitete oft Delegationen aus Polen. Manchmal hatte ich den Eindruck, er könne Polnisch sprechen. Er kannte sicherlich einige Worte, die sich mit zunehmendem Alkoholgenuss in eine Sprache wandelten. Unter solchen Bedingungen konnte er auch Finnisch.

      Die Ostseewoche war jedenfalls ein buntes Treiben.

      1972 kam es zum Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten und 1975 gab es die Helsinkier Konferenz. Die internationale Anerkennung der DDR war faktisch seit 1971 vollzogen. Es gab Botschaften in aller Welt und ausreichend Arbeit auf diesem Gebiet. Diese Zeit war eigentlich nicht für Kleindenker und Dogmatiker geeignet. Sie eröffnete tolle Möglichkeiten auf allen Gebieten. Leider wurde sie von einem völlig überhöhten Sicherheitsdenken begleitet, das in den Folgejahren immer stärker werden sollte. Die DDR war leistungsstark und sie konnte international mithalten. Sie kam nicht von irgendwo her. In der DDR gab es schließlich Traditionen der deutschen Wirtschaft, des deutschen Ingenieurwesens und der deutschen Arbeiterschaft. Sie stand in der Tradition deutscher Akademiker und Ärzte. Die Charité Berlin hatte ihren Weltruhm zu DDR-Zeiten ja nicht verloren. Das Bauhaus Weimar/Dessau wurde auch nicht geschlossen. All das gehörte zum Stolz dieses Landes.

      Die Schlussakte der Helsinkier Konferenz erlaubte Reisefreiheit, Tourismus und Kulturaustausch für jeden Bürger der 35 Unterzeichnerstaaten. Die Menschen in der DDR forderten die Rechte und Freiheiten dieser Helsinkier Schlussakte immer stärker ein.

      Von der Unterschrift unter diese Akte bis zur praktischen Umsetzung verging natürlich viel Zeit.

      Im Jahr 1975 wurde ich als Soldat zum Grenzdienst eingezogen. Die Tragweite der politischen Rahmenbedingungen war keinem meiner Mitsoldaten klar. Wir waren Soldaten und wollten so schnell wie möglich wieder nach Hause. Die Zeit von 1½ Jahren läuft aber nach der Uhr ab und nicht nach dem Wunsch.

      Die Ausbildung war körperlich anspruchsvoll. Jeder Dicke wurde dünn und muskulöser und jeder Dünne wurde muskulöser.

      Auf die politische Ausbildung wurde auch viel Wert gelegt und es war nicht alles Blödsinn, was man vermittelt bekam.

      Ich hatte mittlerweile einige Bücher gelesen, darunter die großen Franzosen Balzac, Hugo und Zola. Ich wagte mich an Karl Marx und Friedrich Engels. Engels Werk »Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen« rang mir schon vom Titel her höchstes Interesse ab. Ich avancierte also zu einem philosophischen Spinner.

      Die Philosophie ist die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lebens. Sie wird aber auch als »die Religion der Ungläubigen« bezeichnet.

      Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten war nicht nur dazu da, DDR-Bürger am Verlassen der DDR zu hindern. Sie war die Grenze zwischen zwei Welten. Jeder, der diese Grenze direkt überwinden wollte wusste, dass er sterben konnte. Ein Umweg war auf jeden Fall ungefährlicher.

      Familienzusammenführung, Eheschließungen, auch wenn fingiert, Ausreiseanträge und Freikäufe waren eine Möglichkeit. Personen des öffentlichen Lebens mit zu kritischer Haltung konnte schon mal ein kostenfreies Übersiedeln in die BRD angeboten werden. Bei einer Eheschließung mussten natürlich die Ausbildungskosten in DM bezahlt werden. Ausreiseanträge wurden oft sehr zögerlich bearbeitet und wurden auch von Schikanen begleitet. Alle Personen, die beruflich die Möglichkeit hatten, konnten gefahrlos wegbleiben. Dazu gehörten z. B. Seefahrer, Künstler, Sportler, Wissenschaftler, Außenhandelsmitarbeiter und Reisekader aller Art. Die Zahl der Personen, die das nutzten, hielt sich in Grenzen.

      Die DDR verkaufte im innerdeutschen Handel von 1963 bis 1989 33.755 politische Häftlinge, Agenten und 250.000 Ausreisewillige für 3,5 Milliarden DM. Der Mittelsmann für diese Abwicklungen war der Ostberliner Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Vogel. Er besaß das Vertrauen beider deutscher Seiten auf Regierungsebene.

      Während meiner Armeezeit gab es zwei Fälle, die mich bis ins Mark erschütterten.

      Der Fall Werner Weinhold: Ein Mann, der 54 Autodiebstähle ausführte, während seiner Bewährungszeit ein Sittlichkeitsdelikt beging und relativ spät doch noch zu den normalen Landstreitkräften der NVA eingezogen wurde. Er wurde fahnenflüchtig und setzte sich mit Munition, einem Fahrzeug und seiner Maschinenpistole ab.

      Das gesamte Grenzregime war in Alarmbereitschaft. Die Postendichte war sehr hoch in dem Bereich, wo er letztlich durchbrach. Es war der 19. Dezember 1975, es war Vollmond und es lag Schnee. Die Sicht war wie am Tag. Weinhold stand im Waldstreifen und sah vor sich zwei Grenzsoldaten. Er schoss beiden in den Rücken und lief durch. Die Grenzsoldaten hatten ihre Waffen noch nicht mal entsichert. Beide Grenzsoldaten starben an ihren Schussverletzungen.

      Man kann alles in Deutschland an Recht und Unrecht bemühen, diese Tat ist mit Nichts zu rechtfertigen. Weinhold wurde nicht an die DDR ausgeliefert.

      Der zweite Fall, Michael Gartenschläger: Der 1961 17-Jährige zündete eine LPG-Feldscheune an und protestierte so gegen den Mauerbau. Die DDR war kein Staat, der sich auf der Nase herumtanzen ließ. Gartenschläger wurde in einem Schauprozess zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Die Bundesrepublik Deutschland kaufte Gartenschläger 1971 für 40.000 DM frei.

      Gartenschläger war kein gutes Geschäft. Er demontierte am 1. April 1976 die erste Mine des Typs SM 70an den Grenzsicherungsanlagen.

      Ich war in dieser Nacht zur Alarmgruppe eingeteilt. Die bestand aus vier Mann, die nach ihrem Grenzdienst von acht Stunden normalerweise im Bunker schlafen konnten. Es gab keine Hängematten, sondern Federböden von normalen Bettgestellen, die jeweils zu zweit übereinander in einer Betondecke verschraubt waren.

      Im Halbschlaf bekam ich mit, dass eine Minenauslösung signalisiert wurde, aber keine Detonation erfolgte. Diese Minen wurden oft durch Wild ausgelöst. Bei Tagesanbruch fuhr eine Motorradstreife zur angezeigten Stelle. Auf der Westseite des Zauns stand eine Leiter und eine Mine fehlte. Das unüberwindliche Minensystem war geknackt.

      Die erste Reaktion der Generalität war, Scheinwerfer parallel zum Grenzverlauf aufzustellen. Batterien von 180 Ah und 12-V-Suchscheinwerfer waren nicht leicht zu transportieren.

      Am 23.April fehlte eine weitere Mine.

      Der normale Grenzsoldat fragt sich: »Was ist hier los?«

      Wir wurden in die zweite Reihe beordert und in der ersten Reihe waren Sonderkräfte im Einsatz.

      In der Nacht zum 1. Mai sollte die dritte Mine abgebaut werden. Es war die Todesnacht des Michael Gartenschläger.

      Die Staatssicherheitsleute, die diese Sache erledigten, konnten in späteren Jahren nicht nach bundesdeutschem Recht verurteilt werden. Es konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, wer zuerst geschossen hatte.

      Uns Grenzsoldaten des Abschnittes wurde der Vorgang geschildert.

      Gartenschläger war schwarz gekleidet und seine sichtbare Haut war mit Ruß eingefärbt. Er stieg auf eine Leiter und machte sich an die Arbeit.

      Gartenschläger wurde ordnungsgemäß angerufen. Er zog seine Pistole und schoss in die Richtung. Die Sonderkräfte eröffneten


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