Die Korrupten. Jorge Zepeda Patterson

Die Korrupten - Jorge Zepeda Patterson


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Plädoyer des Anwalts, das sie meist aufgewühlt zurückließ, aber dafür wussten sie über die Sache am Ende gut Bescheid. Der Journalist hoffte, diesmal besser abzuschneiden.

      Er ließ sich mit seiner Antwort Zeit und war erneut dankbar für das Schachtischchen, das zwischen ihnen stand. Die schmiedeeisernen Figuren stellten Persönlichkeiten des Unabhängigkeitskrieges dar: auf der einen Seite Hildalgo und La Corregidora, auf der anderen die spanischen Könige. Er saß auf der Seite der Aufständischen, Lemus auf der der Königstreuen. Tomás schöpfte Mut aus dem Gedanken, dass die Rebellen den Sieg über die Krone davongetragen hatten, auch wenn Hidalgo am Ende hingerichtet worden war.

      »Ich bin bereit, das Risiko einzugehen. Was Präsident Prida und sein Superminister Salazar dem Land antun wollen, ist unverzeihlich. Die Monopole, die Medien und sogar die Organisierte Kriminalität werden zwar durch das Präsidialsystem wieder in geordnete Bahnen gelenkt, aber dadurch wird man sie keineswegs besser im Griff haben, sondern sie werden mit dem neuen Hausherrn super zurechtkommen. Wir aber werden diese Entwicklungen teuer bezahlen, und zwar mit einem Rückschritt um zwanzig Jahre, was die bürgerlichen Freiheiten und die demokratischen Räume betrifft. Wenn uns der Skandal also helfen kann, das Ganze gegen die Wand zu fahren, bin ich entschlossen, es bis zur letzten Konsequenz durchzuziehen.«

      Tomás war von seiner Vehemenz selbst überrascht. Die halbe Nacht lang hatte er über seinen jüngsten Bekanntheitsgrad nachgedacht und über die Verantwortung, die ihm in den Schoß gefallen war, ohne dass er darum gebeten hatte. Doch erst jetzt, von Lemus auf subtile Weise herausgefordert, wurde er sich seiner Entschlossenheit bewusst.

      »›Bis zur letzten Konsequenz‹ sind sehr starke Worte, Tomás.«

      »Ich werde weder der Erste noch der Letzte sein. Seien wir ehrlich, Carlos, mein Leben war in den letzten Jahren die reinste Zeitverschwendung. Ich habe es satt, darüber nachzugrübeln, was ich alles hätte sein können und nicht geworden bin, damit ist jetzt Schluss. Und ich werde auch den wichtigen Roman, wie ich es mir vor fünfzehn Jahren eingebildet habe, nicht schreiben. Lange genug habe ich mich in Zynismus und Nachlässigkeit geübt. Weitere zwanzig Jahre von einer Affäre in die nächste zu schlittern und die Nacht zum Tag zu machen, bis meine Leber den Geist aufgibt, ist kein Plan A, an dem ich um jeden Preis festhalten muss, oder?«

      Carlos blickte ihn neugierig an. Dann wanderte sein Blick zu dem Schachbrett, als überlegte er, ihm vonseiten der Krone vehement Schach zu bieten. In gewisser Weise tat er genau das.

      »Ich habe seit jeher mehr von dir gehalten als du selbst, und es stimmt, dass dein Mangel an Selbstvertrauen deinem Talent immer wieder geschadet hat. Ich habe in all den Jahren keine Kolumne von dir verpasst; die wachsende Lustlosigkeit und Schlamperei deiner Arbeit in der letzten Zeit ist mir nicht entgangen. Dennoch haben deine Texte diesen ganz besonderen, ehrlichen Blick auf die Welt nie verloren, der sicher auch ein Spiegel deiner fehlenden Gewissheiten ist. Du gehst durch die Welt wie ein Außerirdischer, der zum ersten Mal auf der Erde ist und vorsichtig den Boden betritt, weil er sich unsicher über die Auswirkungen ist. Du fragst dich bei jedem Menschen, dem du begegnest, wie du dich verhalten sollst, als hättest du die Codes, die es zwischen den Erdenbewohnern gibt, noch nicht entziffert. Ich habe den Eindruck, dass du dich hinter deiner Trägheit und Gleichgültigkeit versteckst, weil du dich in deinem Körper und im Leben der anderen nicht zurechtfindest.«

      »Und das alles erkennst du an meinen Texten? Ich werde sie wohl noch mal lesen müssen«, erwiderte der Journalist. Es war das Erstbeste, was ihm in den Sinn kam.

      Der vertrauliche Ton, den das Gespräch angenommen hatte, machte ihn nervös. Er rutschte in seinem Sessel hin und her und bedauerte, nicht um ein Glas Wasser gebeten zu haben. Er fühlte sich entblößt. Und er war sich nicht sicher, ob das Bild, das der Anwalt von ihm hatte, wirklich auf ihn passte. Aber das versteckte Lob schmeichelte ihm auch. Also hatten nicht nur Jaime und Amelia in ihrer jugendlichen Eitelkeit um Carlos Lemus’ Anerkennung gebuhlt, bewusst oder unbewusst hatte auch er um seine Gunst geworben. Ihm fielen all die Bücher wieder ein, die er in der Hoffnung gelesen hatte, sie in Carlos’ Gegenwart einmal zitieren zu können.

      »Wenn dein Plan A so wenig vielversprechend ist, wie lautet dann dein Plan B?«

      »Ich muss genau dokumentieren, inwiefern Salazar in den Mord an der Dosantos involviert ist. Bevor ich darüber nachdenke, in seine Richtung zu schießen, muss ich erst einmal sicherstellen, dass wir auch Munition haben, meinst du nicht?«

      »Sie waren in den letzten drei Jahren ein Liebespaar.«

      »Gibt es Beweise?«

      »Wahrscheinlich nicht, aber ich weiß es. Er hat es selbst am Anfang seiner Beziehung erwähnt. Die größte Befriedigung, die dir eine Liebesnacht mit einer so heiß begehrten Schönheit bereitet, liegt nicht in den Orgasmen, die sie dir beschert, sondern darin, die Heldentat zu verbreiten und den Neid deiner Freunde zu wecken. Salazar konnte der Versuchung nicht widerstehen. Aber er war nicht der Einzige.«

      »Glaubst du, dass er sie aus Eifersucht umgebracht hat?«

      »Ich weiß es nicht. Er ist nachtragend, aber eher berechnend als impulsiv. Ich fände es logischer, wenn er seine Rivalen eingeschüchtert hätte, um Pamela für sich alleine zu haben. Niemand hätte ihm das Terrain streitig gemacht, jetzt, da er der mächtigste Mann in seinem Herrschaftsgebiet ist.«

      »Das würde bedeuten, dass wir über keine Munition verfügen, die wir abfeuern könnten. Eine Geliebte zu haben, und noch dazu eine von diesem Kaliber, ist hierzulande kein politischer Fehltritt. Wenn wir ihn nicht mit dem Mord an Pamela in Verbindung bringen können, haben wir kaum etwas gegen ihn in der Hand«, sagte Tomás enttäuscht.

      »Nicht so voreilig. In der Politik ist wie bei allem im Leben die Wahrnehmung wichtiger als die Realität. Außerdem könnte ich mich irren. So manchem steigt die Macht zu Kopf; vielleicht ist Salazar durchgedreht und hat sie umbringen lassen.«

      »Und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich das herausfinden könnte. Ich versuche seit gestern, einen befreundeten Polizeireporter zu erreichen, aber er ruft nicht zurück. Wahrscheinlich ist das Thema für alle ein zu heißes Eisen.«

      »Ich glaube, da kann ich dir weiterhelfen. Nach dem Gespräch mit Amelia habe ich gleich Kontakt zu Comandante Ordorica aufgenommen. Er recherchiert in der Angelegenheit seit heute Morgen und müsste gleich hier sein. Er ist inzwischen pensioniert, aber früher hatte er die Generation von Polizisten unter sich, die heute in der Hauptstadt das Sagen hat.«

      »Ich weiß, wer Ordorica ist. Jeder kennt ihn. Ist er nicht gefährlich? Seit er sich in den Achtzigern mit Arturo ›El Negro‹ Durazo eingelassen hat, ist seine Karriere ja wohl eher zwielichtig.«

      »Niemand, der professionell im Sumpf der Gesellschaft unterwegs ist, kommt ohne Dreckspuren wieder raus. Keine Sorge. Er hat für mich schon einen Haufen Zuarbeiten dieser Art erledigt. Du kannst ihm vertrauen.«

      Tomás schwieg noch immer unentschlossen. Miguel Ordorica war die junge rechte Hand von Arturo Durazo gewesen, dem eisernen Polizeichef unter Präsident López Portillo Anfang der Achtzigerjahre. Sein Beiname »El Negro« bezog sich nicht nur auf seine dunkle Hautfarbe, sondern vor allem auf die Erpressungen und das Verschwindenlassen von Personen, die damals von ihm angeordnet worden waren. Durazo reduzierte die Kriminalitätsrate durch einen simplen Trick: Er ließ die größten Banden einfach für sich arbeiten.

      Während Tomás nachdachte, ließ er den Blick durch Lemus’ Büro schweifen. Fotos des Anwalts mit Staatsoberhäuptern, Künstlern und Intellektuellen, ein kleines Bücherregal mit ledergebundenen Erstausgaben, eine Skulptur von Giacometti – die Trophäen seines Erfolgs. Dann blieb sein Blick an einem Regal hängen, das sich auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Trotz der Entfernung konnte er Amelias Gesicht ausmachen: Ein Foto zeigte Carlos und die junge Frau gelöst lachend; er hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt. Das pure Glück, das aus ihren Gesichtern sprach, verstimmte ihn. War das womöglich das Regal, in dem Lemus seine Liebhaberinnen ausstellte?

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