Fiona - Sterben. Zsolt Majsai

Fiona - Sterben - Zsolt Majsai


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müssen. Das kam ja ziemlich plötzlich und heftig. Und es ist nicht so einfach, sich in der Verborgenen Welt zurechtzufinden, wenn man erst einmal ein paar Jahre in der Gefrorenen Welt gelebt hat.“

      Das stimmt natürlich auch. Ich gebe ihr einen Kuss und hake mich bei ihr unter.

      „Also gut, lass uns fahren, bevor ich es mir anders überlege.“

      „Das geht nicht, du bist die Hauptperson.“

      Ich will schon protestieren, aber dann wird mir bewusst, dass sie recht hat. Um James und Sandra geht es nicht, sie sind nicht da. Und selbst wenn ihre Seelen dabei sein sollten, was ich nicht glaube, denn das würde ich merken, so wissen die anderen nichts davon. Die meisten jedenfalls.

      Helena und Jody warten schon. Sie sind ebenfalls in Schwarz, allerdings lässiger mit Jeans und Blusen. Da wir zu viert unterwegs sind, nehmen wir einen größeren Wagen und kein Cabrio. Jody darf ihn sich aussuchen, sie entscheidet sich für einen A8.

      Diesmal fährt Katharina. Während wir auf die Schleuse zugleiten, hole ich mein Handy hervor und schicke meiner Mutter eine SMS, dass wir unterwegs sind.

      Wir treffen gleichzeitig auf dem Parkplatz vor dem Friedhof ein. Einige sind schon da und stehen vor der Kapelle herum. Ich begrüße sie und stelle Katharina und die Mädchen vor, dann gehen wir hinein.

      Rechts und links vom Altar stehen zwei geschlossene Särge. Von Ben weiß ich, dass sich darin das befindet, was vermutlich von James und Sandra übriggeblieben ist. Trotz DNA-Analyse war das nicht ganz eindeutig zuzuordnen.

      Ich bleibe kurz vor dem Altar stehen und betrachte das Kreuz. Irgendwie kann ich gut nachvollziehen, dass in solchen Momenten viele Menschen gläubig werden. Oder ihren Glauben verlieren. Je nachdem. Auch ich hätte jetzt sehr gerne etwas, woran ich mich festhalten kann. Aber da ist einfach nichts. Ich bin nur froh, dass sie ziemlich sicher nicht gelitten haben. Ich bin oft genug gestorben, um zu wissen, dass sie nicht die Zeit dafür hatten, auch nur zu merken, was geschehen ist.

      Später dann, in der Verborgenen Welt, das ist was Anderes.

      Mit tränenverschleiertem Blick setze ich mich rechts in die vorderste Reihe und Katharina setzt sich daneben. Helena und Jody nehmen hinter uns Platz.

      Wenig später kommen Eleonor und die Geschwister von James. Ich begrüße sie. Eleonor sieht mich lange an, dann nickt sie langsam, bevor sie sich auf der anderen Seite neben mich setzt.

      Michael, Nilsson und John sind die Letzten, die hereinkommen. Unwillkürlich muss ich daran denken, was die Leute wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass ein Vampir an der Zeremonie teilnimmt.

      Die Zeremonie selbst blende ich aus. Da ich weiß, dass nichts von dem stimmt, was der Priester erzählt, interessiert es mich auch nicht. Erst als mich Katharina heimlich anstupst, werde ich aufmerksam.

      Ich sehe sie fragend an. Dabei wird mir bewusst, dass alle Leute in der Kirche irgendwie mich anstarren.

      Katharina antwortet, allerdings ohne dabei den Mund zu bewegen: „Der Priester hat dich gefragt, ob du ein paar Worte sagen willst.“

      Da es nicht das erste Mal ist, dass ich Gedanken höre, gelingt es mir einigermaßen, nichts von meiner Überraschung zu verraten.

      Ich wende mich an den Priester, der offenbar auf eine Antwort von mir wartet. Dann nicke ich und erhebe mich.

      Ich stelle mich zwischen die Särge, nicht an den Rednerpult. Da ich mich nicht vorbereitet habe, brauche ich auch keine Ablage. Und das freie Reden vor vielen Leuten bin ich sowieso gewohnt. Vor sehr vielen Leuten. Unwillkürlich muss ich daran denken, wie ich vor nicht ganz zwei Jahren zum ersten Mal vor Zehntausenden stand, ganz zu schweigen von den Millionen, die es später im Fernsehen gesehen haben. Damals kündigte ich ein Rockkonzert an, ein wesentlich erfreulicherer Anlass meiner Rede. Und außerdem werde ich heute ganz sicher nicht singen.

      Ich lasse meinen Blick schweifen. Links sitzt die Familie von James. Nadine, Margret, Kevin, Edgar, Peter und James‘ Mutter, die mir aufmunternd zulächelt. Auf der anderen Seite meine Eltern, Mamas beide Schwestern, Papas Schwester und Bruder. Weiter hinten sitzt auch Monica, daneben Luke Koolman. Sogar Elaine ist da.

      Ich hole tief Luft. „Die meisten von euch werden es ungewohnt finden, dass ich so wenig rede.“ Ich warte, bis das verhaltene Lachen verklungen ist. „Aber ich musste halt immer für James mitreden.“ Pause. „Nein, ein Mann vieler Worte war er nicht, der großen aber schon. Obwohl er durchaus reden konnte. Ich möchte nicht wissen, wie viele Leute nur darum neue Häuser gekauft haben, weil James sie ihnen verkauft hat. Er war auch keiner, der die Gefahr gefürchtet hat. Die meisten hier werden wissen, dass er zehn Jahre lang als Agent gearbeitet hat. Er hat mich auch in meiner bis vorletzten Mittwoch schwärzesten Stunde unterstützt, vor sechs Jahren. Und wie wenig er die Gefahr gefürchtet hat, das sieht man auch daran, dass er mich geheiratet hat.“ Ich warte wieder, bis das Lachen verstummt. „Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat, aber in der ersten Augusthälfte passieren die Katastrophen in Intervallen von drei Tagen. Am 6. August Hiroshima, am 9. August Nagasaki und am 12. August King Valley. Und ja, das ist schwarzer Humor. Tiefschwarzer Humor. Genau die Art, die auch James so geliebt hat. Er konnte die bösesten Pointen bringen, ohne auch nur einen einzigen Muskel in seinem Gesicht zu verziehen. Ich meine, das fiel ihm ja auch nicht schwer, seine Gesichtsmuskeln waren völlig unterentwickelt. Aber ...“ Ich mache eine kleine Pause, bis sich alle wieder beruhigt haben. „Aber ich habe mit der Zeit gelernt, ihn zu verstehen, immer ganz genau zu wissen, was er denkt, was er fühlt. Das bleibt normalerweise nicht aus, wenn man das Leben zusammen verbringt, wenn man sich so liebt, wie wir uns geliebt haben.“ Ich mache wieder eine Pause, diesmal, um mich selbst zu beruhigen und ein paar vorwitzige Tränen abzuwischen. „Es waren Kleinigkeiten, die ihn verraten haben, insbesondere die Augen.“ Ich sehe, wie Eleonor nickt. „Dass er keine Gefühle zeigte, hieß nicht, dass er keine hatte. Im Gegenteil, er hatte sogar sehr tiefe. Auf ihn traf das Sprichwort vom stillen Wasser sehr zu.“ Ich halte inne und muss mir eingestehen, dass ich an meiner Grenze bin. „Ich … ich könnte noch so viel über James erzählen. Und über Sandra. Aber es geht nicht, tut mir leid. James, ich werde dich nie vergessen.“

      Katharina springt auf und hilft mir, wieder zur Sitzbank zu gelangen. Dann vergrabe ich das Gesicht in beiden Händen und bin dankbar, als mein Weinen in Orgelmusik untergeht.

      Irgendwann ist endlich diese Messe auch vorbei und die Särge werden auf kleine, elektrische Wagen geladen, die fast lautlos ihre Last zur letzten Ruhestätte transportieren. Ich gehe zusammen mit Eleonor vorneweg, auf meine ausdrückliche Bitte hin begleitet mich auch Katharina, was einige fragende und sogar missbilligende Blicke auslöst. Eleonor allerdings scheint damit kein Problem zu haben, denn sie hakt sich bei mir unter und sagt leise: „Sie wird dich beschützen.“

      Ich blicke sie erstaunt an, aber mehr kommt von ihr nicht. Sie lächelt nur. Ich sehe zu Katharina auf der anderen Seite und ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie es auch gehört hat.

      Es ist ein langer Weg bis zur Grabstelle, insbesondere bei unserem Tempo. Ich hänge düsteren Gedanken nach, die sich vor allem um Zanda drehen. Zwischendurch scanne ich die Umgebung nach James ab, doch er ist definitiv nicht da. Ich spüre, wie mein Bauch sich verkrampft.

      Am Grab lässt der Priester noch einige Bibelstellen los, dann werden die Särge hinuntergelassen. Zuerst James, dann direkt darüber Sandra. Meine Mutter drückt mir eine rote und eine weiße Rose in die Hand, die ich pflichtschuldig auf die Särge fallenlasse.

      Während die Friedhofsangestellten, angeleitet von Martin Cartwright, das Grab zuschütten, lassen James‘ Familie und ich die Beileidsbekundungen über uns ergehen. Als Michael ankommt, halte ich kurz die Luft an, weil ich an Eleonors Hellsichtigkeit denken muss. Während ich Michael umarme, flüstere ich ihm ins Ohr: „Nicht erschrecken, meine Schwiegermutter wird dich erkennen.“

      So ist er zum Glück vorbereitet und lächelt sanft, als Eleonors Gesichtszüge kurz entgleisen. Dann wirft sie mir einen Blick zu und ich schenke ihr ein angedeutetes Lächeln. Das scheint sie wieder zu beruhigen, Gott sei … Wem auch immer.

      Nachdem die Prozedur


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