Fiona - Sterben. Zsolt Majsai
Margret schließt sich ihrer Großmutter und mir an und hakt sich bei uns unter.
„Tan... Fiona, darf ich bei Euch mitfahren?“
„Nur weil du dich korrigiert hast. Aber du musst die Rückbank mit Helena und Jody teilen.“
„Einverstanden. Fahren wir mit dem schnellen Kombi?“
„Nein, wir sind mit einem A8 da. Der ist auch schnell. Was auf dieser Fahrt aber keine Rolle spielt.“
„Na gut. Übrigens fand ich deine Rede sehr schön.“
„Danke.“
Auf dem Parkplatz verabschiede ich mich von Monica und James‘ ehemaligen Kollegen. Dann steigen wir in unsere Autos. Meine Eltern und Nicholas fahren vorne, direkt hinter ihnen wir.
Ich beobachte Margret im Rückspiegel. Sie sitzt hinten links, weil Jody und Helena sich nicht zur Trennung überreden ließen. Ich sehe Margret an, dass sie versteht, warum, aber auch, dass sie über Katharina und mich nachdenkt.
Der Platz vor dem Haus meiner Eltern füllt sich mit Autos. Einige möchten sich die Überreste von James‘ Haus ansehen. Katharina übernimmt es, sie zu führen und zu erklären, was überhaupt erklärt werden kann.
Im Haus hat inzwischen eine Cateringfirma das Buffet aufgebaut und sorgt auch für die Getränke. Mein Vater heißt kurz alle willkommen und teilt mit, dass das Buffet eröffnet ist.
Mittlerweile ist es schon fast drei Uhr.
Ich gehe zum Rauchen in den Garten. Bin damit gerade fertig, als Katharina auftaucht und sich zu mir gesellt. Ich begrüße sie mit einem innigen Kuss.
„Was macht ihr da?“
Ich fahre herum. Kevin steht auf der Terrasse und starrt uns ungläubig an.
„Wir haben uns geküsst“, erwidere ich.
„Ihr habt euch geküsst wie Mann und Frau!“
„Oder wie zwei Frauen, die sich lieben.“
„Seid ihr etwa lesbisch? Und James? Hat er davon gewusst?“
Ob James das gewusst hat? Das ist eine gute Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich so ahnungslos war, wie er immer tat.
„Es gab nichts, wovon er hätte wissen müssen“, antworte ich, immer noch einigermaßen ruhig, obwohl ich ahne, dass da gerade ein schweres Gewitter aufzieht. Kevin ist jetzt vierzehn, alt genug, um zu verstehen, was er gesehen hat, aber vermutlich viel zu jung, um es wirklich zu verstehen.
Katharina berührt meinen Arm. „Vielleicht sollte ich gehen.“
„Dann gehe ich mit!“
Sie seufzt. „Okay. Wie möchtest du, dass ich mich verhalte?“
„Weise mich nicht ab.“ Ich spüre, wie die Tränen in meine Augen schießen. „Ich ertrage alles, aber das nicht.“
„Ist gut“, flüstert sie und nimmt mich in die Arme. „Ist gut. Ich weise dich nicht ab und ich lasse dich nicht allein.“
„Danke ...“
In der Zwischenzeit hat Kevin Verstärkung geholt. Das scheint ihm ja echt nahe zu gehen. Jedenfalls taucht er plötzlich mit Margret und Nadine auf, Eleonor, Edgar und Peter dahinter. Und alle anderen beobachten uns, meine entgeisterte Mutter eingeschlossen.
„Ich verstehe das nicht“, sagt Nadine. „Wir haben James doch gerade eben beerdigt.“
Ich mustere sie und dann Margret. Sie reagiert sofort: „Jetzt verstehe ich, dass Jody und Helena am Knutschen waren. Aber ich verstehe auch nicht, wie ihr so … so gefühllos sein könnt! Das ist die Beerdigungsfeier deines Mannes!“
Ich atme tief durch. „Was wird das denn? Eine Abrechnung? Urteilt ihr immer nach dem ersten Anschein? Wie kommt ihr überhaupt auf die Idee, James würde sich über irgendetwas aufregen, was hier passiert?“
„Wie kannst du es wagen?“, flüstert Nadine. „James würde niemals etwas Derartiges gutheißen! Er war durch und durch anständig und ...“
„Halt! Stopp! Bevor du irgendetwas sagst, was du später bereuen würdest! Und erzähl mir bitte nicht, was James gut oder nicht gut fand! Ich glaube, du hast ihn gar nicht gekannt! Ich habe in den sechs Jahren eine Menge mit ihm zusammen erlebt und ich weiß, was er nicht gut fand und was ihn nicht gestört hat. Was glaubst du überhaupt, was ein Geheimagent macht?“
Nadine wendet sich an ihre Mutter: „Warum sagst du eigentlich nichts dazu? Es geht um James!“
„James ist tot“, erwidert Eleonor leise. „Und er hat Fiona geliebt, das wissen wir doch alle. Und ich weiß genau, dass Fiona ihn geliebt hat. Ich kenne die Hintergründe nicht für das, was wir gerade gesehen haben, aber ich weiß, dass es uns nicht zusteht, darüber zu urteilen. Ich bin mir sicher, dass Fiona niemals etwas tun würde, was James wehtun könnte.“
Mir fallen plötzlich einige Dinge ein, die ich getan habe und die James wehgetan haben, aber das behalte ich lieber für mich. Außerdem war es ja gegenseitig … Boah, Fiona, du fängst doch jetzt keine Abrechnung mit einem Toten an?!
„Danke“, sage ich. Meine Stimme zittert. Kommt auch nicht oft vor.
„Ich glaube das einfach nicht, Oma!“, ruft Margret. „Wie kannst du nur so was sagen?“
„Weil ich meinen Sohn geliebt habe. Und weil ich gesehen habe, wie er Fiona angeschaut hat. Und weil ich Fionas Seele gesehen habe.“
„Oh nein, nicht das schon wieder“, stöhnt Edgar.
Während ich mich darauf einstelle, dass es in diesem und heftigerem Ton weitergeht, drängelt sich plötzlich mein Vater in unserer Richtung durch und stellt sich vor mich.
„Ich glaube nicht, was ich hier gerade erlebe“, sagt er ruhig, aber sehr bestimmt. „Wir sind alle, und ich betone: alle, hier, weil wir von James und von Sandra Abschied nehmen möchten. Ich werde nicht dulden, dass dieser Anlass durch irgendwelche Vorwürfe und Vorhaltungen gegen wen auch immer in den Dreck gezogen wird. Und ich kann euch auch noch sagen, dass ich ein wenig den Hintergrund kenne und mir sehr, sehr sicher bin, dass James Fiona ganz sicher keine Vorwürfe machen würde. James war nicht nur mein Schwiegersohn, er war auch mein Freund, mit dem ich viel geredet habe, und ich bin mir absolut sicher, dass er sich genauso vor Fiona stellen würde. Also, bitte, beruhigt euch alle.“
Ich bewundere meinen Vater. Er schafft es tatsächlich, dass Margret sich umdreht und zum Buffet geht. Nach kurzem Zögern folgen Nadine und Kevin ihrem Beispiel.
Mein Vater wirft uns einen kurzen Blick zu, dann geht er wieder ins Haus. Er ist wütend, das sehe ich ihm an, aber er hat sich gut im Griff.
Eleonor kommt zu uns. „Bitte entschuldigt das Verhalten meiner Tochter“, sagt sie. „Der Schmerz macht sie ungerecht.“
„Ich … ich kann es ja verstehen“, erwidere ich und wische meine Tränen mit einem Taschentuch, das Katharina mir reicht, ab. „Es ist selbst für mich schwer zu begreifen, was da geschieht. Und die anderen sehen ja nicht, was du siehst.“
„Das stimmt. Ich kann auch sehen, dass Katharina kein gewöhnlicher Mensch ist, genauso wenig wie dieser … Michael heißt er, glaube ich.“
„Ich bin auch kein gewöhnlicher Mensch.“
„Das weiß ich, denn ich habe in deine Seele schauen dürfen“, sagt Eleonor lächelnd.
„Wann?“, erkundigt sich Katharina stirnrunzelnd.
„Als wir bei Nadine zu ihrem Geburtstag eingeladen waren. Bei der Gelegenheit wurde Sandra gezeugt.“
„So genau wollte ich es gar nicht wissen“, murmelt Katharina, aber sie lächelt.
Eleonor legt eine Hand auf meinen Arm. „Ich glaube, ich gehe jetzt wieder zu meinen Lieben und beruhige sie ein wenig.“