Sinfonie der Lust | Erotischer Roman. Ayana Hunter

Sinfonie der Lust | Erotischer Roman - Ayana Hunter


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im Internet galten andere Regeln. Wenn es peinlich wurde, konnte man verschwinden oder sich einfach ignorieren. Das ging im realen Leben leider nicht so leicht. Oder zum Glück? Schon war er gedanklich wieder bei Juliette, die dieses Verschwinden auch im realen Leben praktizierte.

      Doch als er erneut in sein Postfach schaute, verschwanden diese Gedanken. Er hatte eine neue Nachricht von Clara erhalten. Diese bestand lediglich aus einem Zwinkersmiley. Marc kam es so vor, als würde ihm diese winzige Pixelgrafik verschwörerisch zublinzeln. Sein Herz machte einen Hüpfer, aber er musste sogleich über diesen absurden Gedanken lächeln und wegen seiner überschwänglichen Freude den Kopf schütteln. Wie konnte er sich mit so wenigen Informationen über sie so sehr verleiten lassen. Er klappte den Rechner zu und beschloss, noch mal runter ans Wasser zu gehen, um die wundervolle Abendstimmung der realen Natur zu genießen.

      Zwei Stunden später war er wieder zurück und seine Finger juckten, den Rechner doch noch mal einzuschalten. Clara war noch online. Ohne lange darüber nachzudenken, schickte er ihr einen Smiley mit einer kleinen Rose und – um das etwas abzumildern – einem erneuten Zwinkersmiley.

      Clara antwortete prompt, sie bedankte sich artig und lenkte das Gespräch auf den »Anti-Klassik-Thread«. Es gingen ein paar weitere Nachrichten hin und her, und als Marc am späten Abend im Bett lag, erfüllte ihn eine eigenartige Freude. Was machte dieses Internet mit ihm? War er dabei, den Bezug zur Realität zu verlieren?

      Am darauffolgenden Tag ertappte er sich dabei, dass er im Büro immer wieder mit dem Gedanken spielte, auf seinem Dienstrechner das Forum zu besuchen, um nach Clara zu schauen. Aber er blieb streng zu sich selbst, als Chef musste er Vorbild sein: Privates hatte in der Arbeitszeit zu Hause zu bleiben. Das verlangte er von seinen Mitarbeitern und deshalb musste er an sich selbst dieselben Maßstäbe stellen.

      Aber als er am Abend nach Hause kam, führte ihn sein erster Weg wieder an den neuen Computer. Clara war erneut online. Hatte sie vielleicht bereits auf ihn gewartet? Kaum dass er sich eingeloggt hatte, erhielt er eine Nachricht von ihr:

      28.05. 19:05

      Betr.: Hallo JohnnyB

      Da bist du ja endlich ;-)

      Clara

      Schon wieder machte sich diese irrationale Freude breit. Er musste das Gefühl einfach in den Griff kriegen. Trotzdem schrieb er ihr eine überschwängliche Nachricht:

      28.05. 19:25

      Betr.: Ein Kompliment

      Es ist schon verrückt, ich kenne dich gar nicht, aber wenn ich deine Beiträge lese, fühle ich, dass ich in dir eine verwandte Seele gefunden habe.

      Unser Musikgeschmack liegt so ziemlich auf der gleichen Welle. Du liebst klassische Klaviermusik, leichten Jazz und du verschmähst auch nicht gut gemachte Popmusik. Wenn du zu bestimmten Themen etwas schreibst, hat das immer Hand und Fuß und oft ist es sogar so, dass du genau das sagst, was ich denke.

      Deine Meinung in dem unmöglichen Anti-Klassik-Thread zum Beispiel oder deine Empfehlungen für vergessene Klavierstücke (denen ich auf jeden Fall nachgehe) oder wie du in dem Metal-Thread diesem »Hammer« Paroli geboten hast … Ich freue mich sehr darauf, mit dir meine Gedanken auszutauschen. Deinen Beitrag in dem Thread »Hatte Robert Schumanns Frau was mit dem jungen Brahms?« fand ich sehr interessant. Ich sehe das wie du, es war sicher nur eine platonische Liebe und in einer anderen Zeit hätte Clara Schumann möglicherweise tatsächlich etwas mit ihm angefangen. Ist meine Vermutung richtig, dass dein Spitzname von ihr stammt? Oder heißt du im wahren Leben auch so? Man merkt aber, du hast eine große Hochachtung vor dieser Frau, die es mit ihrem extravaganten Gatten nicht immer einfach hatte.

      So, jetzt werde ich aber noch ein wenig stöbern. Ich freue mich auf deine Antwort.

      JohnnyB

      Hatte er jetzt vielleicht ein wenig übertrieben? Er vertrieb aber diesen Gedanken schnell wieder und beschloss, sich erst einmal von der Fixierung auf Clara zu lösen. Er schaute sich noch ein wenig in dem Bereich des Forums um, der mit »Ich spiele selbst« überschrieben war. Er antwortete einem Anfänger des Klavierspiels auf simple Fragen zur Spieltechnik. Im wahren Leben hätte er sich nie dazu berufen gefühlt, anderen etwas von seiner Erfahrung mitzuteilen. Als Lehrer war er eigentlich nicht geeignet. Aber hier war das etwas anderes.

      Eine neue Nachricht befand sich in seinem Postkasten. Aufgeregt klickte er auf die Antwort:

      29.05. 20:42

      Betr.: Re: Ein Kompliment

      Lieber JohnnyB,

      ich habe mich über deine lange Nachricht sehr gefreut und musste bei der Erwähnung des Users »Hammer« richtig schmunzeln. Leider habe ich von dir noch nicht so viel lesen können, aber du scheinst recht zu haben, wir haben offensichtlich wirklich einen ähnlichen Musikgeschmack. Es ist schön, wenn man im Forum auf Gleichgesinnte trifft. Zumal ich momentan kaum jemanden kenne, mit dem ich mich privat über Musik austauschen kann. Du willst wissen, ob mein Name Clara ist? Na, mehr oder weniger schon ;-). Vielleicht löst du das Geheimnis ja irgendwann einmal … Clara Schumann ist mein größtes Vorbild, ich hätte sie gerne persönlich gekannt, und wenn man ihr Leben mit meinem vergleicht, so gibt es wirklich gewisse Parallelen. Aber reden wir nicht davon, das macht mich nur unnötig traurig. Sprechen wir von etwas Unterhaltsameren: »Hammer« ist schon ein wahrer Prachtkerl von Macho. So etwas hatten wir, soweit ich mich zurückerinnern kann, noch nie im Forum. Wenn du wüsstest, was er mir schon für anzügliche Nachrichten geschickt hat … Eigentlich hätte ich ihn einfach der Forumsleitung melden sollen. Andererseits finde ich seine direkte Art, die Dinge anzugehen, sogar auf eine gewisse Weise interessant. Es macht Spaß, sich mit ihm Schlagabtausche zu liefern. Dadurch wird mein eintöniges Leben irgendwie etwas bunter. Aber mal ganz im Ernst, ich glaube, wenn man »Hammer« im wahren Leben begegnet, würde er wohl schnell auf ein ziemlich normales Maß zusammenschrumpfen. Wahrscheinlich ist er ein kleines, verbittertes Männlein, das keine Frau abbekommen hat ;-). So, es klingelt, ich muss arbeiten. Vielleicht bis später?

      Höchst erfreute Grüße von

      Clara

      Marc musste lauthals auflachen, als er Claras Theorie über Ben las. Sollte er sie darüber aufklären, dass er »Hammer« alias Ben ziemlich gut kannte? Und was er für ein Baum von einem Mann war, der sich im Forum genau so präsentierte, wie er wirklich war? Nein, es war wohl besser, wenn sie ihn nicht mit ihm in Verbindung brachte. Außerdem wollte er, dass ihre Aufmerksamkeit künftig ganz allein ihm gehörte. Er wollte für sie im besten Licht erscheinen. Da konnte er sich einen groben Klotz wie Ben nicht leisten.

      Er schrieb Clara noch ein weiteres Mal zurück, äußerte sein Unverständnis in Bezug auf »Hammer« und bestärkte sie in ihrer Meinung. Dann leitete er wieder zu musikalischen Themen über. Er hatte in ihrem Profil gelesen, dass sie ebenfalls Klavier spielte, und erkundigte sich nach näheren Einzelheiten. Aber sie hatte angekündigt, dass sie arbeiten müsse. Es war spät am Abend. Was konnte sie da arbeiten? Er rechnete eigentlich nicht mehr mit einer Antwort, aber gerade in dem Moment, als er seinen ersten Ausflug in das Forum »Opus« beenden wollte, färbte sich das E-Mail-Symbol wieder rot.

      Freudig erregt öffnete er die neue Nachricht. Sie berichtete von ihrer Tätigkeit als Klavierlehrerin und erzählte ihm offenherzig von ihrer gescheiterten Pianistinnen-Karriere. Offenbar schmerzte sie der Gedanke daran noch immer. Clara fragte ihn dann noch nach der großen Miles-Davis-Tribute-Show, die in Kürze in der Max-Schmeling-Halle stattfinden sollte. Sie wollte von ihm wissen, ob er Genaueres über das Programm wüsste und welche Künstler daran beteiligt sein würden. Was sollte er dazu schreiben? Seit seinem Absturz vom Felsen hatte er sich nicht mehr um die Konzertszene gekümmert. Clara hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Diese Show hatte es schon im vorigen Jahr gegeben. Die Konzertkarten, die er damals für Juliette und sich gekauft hatte, hingen aber immer noch am Kühlschrank. Sie waren verfallen, ohne dass einer von ihnen anwesend gewesen war. Eigentlich hätte das ein toller Abend werden sollen, aber wieder einmal hatte sie ihn kurzfristig versetzt. Er hatte dann auch keine Lust gehabt, allein dort hinzugehen, zumal das eigentlich mehr ihre, als seine Musik war. Nein, auf absehbare Zeit war das Thema für ihn tabu. Er antwortete ihr in knappen Worten,


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