Die Forsyte Saga. John Galsworthy

Die Forsyte Saga - John Galsworthy


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Familienmitglieder hätten wohl in der Tat ohnehin komplett auf einen Braten verzichten können und lieber Perlhuhn oder Hummersalat gegessen, etwas, das kreativer war und weniger nahrhaft. Doch dabei handelte es sich um weibliche Mitglieder, oder, wenn nicht, um von ihren Frauen verdorbene oder von ihren Müttern, die, nachdem sie ihr gesamtes Eheleben lang Hammelrücken essen mussten, eine geheime Abneigung dagegen an ihre Söhne vererbt hatten.

      Als die große Hammelrücken-Kontroverse dann beendet war, kam der Schinken aus Tewkesbury, mit einem Hauch von westindischer Würze – Swithin brauchte so lange für seinen Gang, dass er den Ablauf des Dinners behinderte. Um sich dem Gang besser hingeben zu können, unterbrach er seine Unterhaltung für eine Weile.

      Soames beobachtete von seinem Sitz neben Tante Juley aus. Er hatte seinen eigenen Grund, warum er Bosinney unter die Lupe nahm. Es hatte etwas mit einem Bauplan zu tun, mit dem er sich schon lange trug. Der Architekt könnte für seine Zwecke in Frage kommen. Er sah clever aus, wie er da zurückgelehnt in seinem Stuhl saß und verdrossen kleine Wälle aus Brotkrumen baute. Soames bemerkte, dass sein Anzug gut geschnitten war, jedoch war er zu klein, als sei er vor Jahren gemacht worden.

      Er sah, wie er sich Irene zuwandte und etwas sagte und ihr Gesicht strahlte, wie er es oft andere Leute anstrahlen sah – ihn strahlte sie nie so an. Er versuchte zu verstehen, was sie sagten, doch Tante Juley redete gerade.

      Sei das Soames nicht immer sehr merkwürdig vorgekommen? Erst letzten Sonntag sei der gute Mr Scoles so geistreich in seiner Predigt gewesen, so sarkastisch. »Was soll es«, habe er gesagt, »einem Menschen bringen, seine eigene Seele zu gewinnen, wenn er doch all seinen Besitz verliert?« Das, so habe er gesagt, sei das ­Motto der Mittelschicht. Was habe er denn damit gemeint? Natürlich könne es sein, dass die Menschen der Mittelschicht so dachten – sie wisse es nicht. Was dachte denn Soames?

      Er antwortete abwesend: »Woher soll ich das wissen? Scoles redet doch nur Unsinn, oder etwa nicht?« Bosinney sah sich nämlich gerade am Tisch um, als ob er die Eigenheiten der Gäste aufzeige, und Soames fragte sich, was er wohl sagte. Ihrem Lächeln zufolge schien Irene offensichtlich einer Meinung mit ihm zu sein, was seine Bemerkungen anging. Mit anderen schien sie immer einer Meinung zu sein.

      Ihr Blick wandte sich ihm zu. Soames schaute schnell weg. Das Lächeln in ihrem Gesicht war verschwunden.

      Nur Unsinn? Was meine Soames denn damit? Wenn Mr Scoles nur Unsinn rede, ein Geistlicher – wem könne man dann noch glauben? Eine beängstigende Vorstellung!

      »Na ja, so ist es doch aber!«, sagte Soames.

      Während Tante Juleys vorübergehendem erschrockenem Schweigen konnte er ein paar Worte von dem, was Irene sagte, aufschnappen. Es klang wie: »Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren!«

      Doch Swithin war mit seinem Schinken fertig. »Wo kaufst du deine Pilze?«, fragte er Irene in einem Tonfall, als wolle er ihr Avancen machen. »Du solltest zu Smileybob gehen – da bekommst du sie frisch. Diese kleinen Leute, die machen sich nicht die Mühe!«

      Irene drehte sich zu ihm, um zu antworten, und Soames sah, wie Bosinney sie beobachtete und in sich hineinlächelte. Ein seltsames Lächeln hatte dieser Kerl, etwas naiv, wie ein Kind, wenn es sich über etwas freut.

      Was den Spitznamen anging, den George ihm gegeben hatte – der Pirat -, er fand ihn nicht so besonders. Und als er sah, wie sich ­Bosinney June zuwandte, lächelte auch Soames, doch es war ein höhnisches Lächeln – er mochte June nicht. Diese wiederum blickte nicht sehr erfreut drein.

      Das war keine Überraschung, denn sie hatte gerade folgende Unterhaltung mit James gehabt: »Ich bin auf dem Heimweg am Fluss vorbeigekommen, Onkel James, und habe dort ein wunderschönes Plätzchen für ein Haus gesehen.«

      James, ein langsamer und bedächtiger Esser, unterbrach den Nahrungsaufnahmeprozess.

      »Ach ja?«, sagte er. »Wo war das denn?«

      »Ganz in der Nähe von Pangbourne.«

      James steckte ein Stück Schinken in den Mund und June wartete.

      »Ich nehme an, du weißt nicht, ob es sich dabei um freien Grundbesitz handelte?«, fragte er schließlich. »Über den Grundstückspreis weißt du wahrscheinlich auch nichts Näheres, oder?«

      »Doch«, erwiderte June. »Ich habe mich erkundigt.« Ihr kleines resolutes Gesicht glühte unter der kupferroten Krone und sah verdächtig eifrig aus.

      James blickte sie mit einer Miene wie ein Inquisitor an.

      »Wie? Du willst doch wohl nicht Land kaufen, oder?!«, rief er aus und legte seine Gabel ab.

      June war sehr ermutigt durch sein Interesse. Sie hatte schon lange den Plan gehegt, dass ihre Onkel sich selbst und Bosinney etwas Gutes tun und Landhäuser bauen sollten.

      »Natürlich nicht«, erwiderte sie. »Ich habe mir gedacht, dass es ein ganz wundervolles Plätzchen wäre – für dich oder für irgendwen -, um ein Landhaus zu bauen!«

      James blickte sie von der Seite an und steckte ein zweites Stück Schinken in den Mund …

      »Es heißt, Land sei dort sehr teuer«, sagte er.

      Was June für persönliches Interesse gehalten hatte, war nur die unpersönliche Erregung eines jeden Forsyte, wenn er hört, dass etwas Besitzwürdiges in andere Hände zu gelangen droht. Doch sie weigerte sich einzusehen, dass ihre Chance vertan war, und beharrte auf ihrem Standpunkt.

      »Du solltest aufs Land ziehen, Onkel James. Ich wünschte, ich hätte viel Geld, dann würde ich keinen Tag länger in London bleiben.«

      James war bis ins Innerste seines langen dünnen Körpers aufgerührt. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass seine Nichte so entschiedene Ansichten hatte.

      »Warum ziehst du nicht aufs Land?«, wiederholte June. »Es würde dir wirklich guttun.«

      »Warum nicht?«, fragte James aufgebracht. »Land kaufen – inwiefern soll mir das denn bitte guttun, Land zu kaufen, Häuser zu bauen? – Ich würde keine vier Prozent für mein Geld bekommen!«

      »Na und? Dafür würdest du frische Luft bekommen.«

      »Frische Luft!«, rief James aus. »Was soll ich denn bitte mit frischer Luft anfangen?«

      »Man sollte doch meinen, jeder mag frische Luft«, erwiderte June verächtlich.

      James wischte sich mit seiner Serviette über den Mund.

      »Du weißt nicht, was Geld wert ist«, sagte er ihrem Blick ausweichend.

      »Nein! Und das werde ich hoffentlich auch nie!« Und dann biss sich die arme June schrecklich gekränkt auf die Lippe und schwieg.

      Warum waren ihre Verwandten nur so reich, während Phil nie wusste, woher er das Geld für den Tabak am nächsten Tag nehmen sollte. Warum konnten sie nicht etwas für ihn tun? Aber sie waren ja so selbstsüchtig. Warum konnten sie keine Landhäuser bauen? Sie besaß diesen ganzen naiven Dogmatismus, der so rührend ist und mitunter zu so großen Erfolgen führt. Bosinney, zu dem sie sich enttäuscht wandte, sprach gerade mit Irene, und Junes Stimmung wurde sogleich eisig. Ihr Blick wurde starr vor Wut wie der des alten Jolyon, wenn jemand seine Absichten durchkreuzte.

      James war ebenso aufgewühlt. Er hatte ein Gefühl, wie wenn jemand versucht hätte, an seinem Recht, sein Geld zu fünf Prozent zu investieren, zu rütteln. Jolyon hatte sie verzogen. Von seinen Mädchen hätte keine so etwas gesagt. James war immer ausgesprochen liberal im Umgang mit seinen Kindern gewesen und das Bewusstsein dessen verstärkte dieses Gefühl noch. Er stocherte lustlos in seinen Erdbeeren, überhäufte sie dann mit Sahne und aß sie schnell auf. Wenigstens die sollten ihm nicht entgehen.

      Kein Wunder, dass er aufgebracht war. Nach vierundfünfzig Jahren (er war so früh wie gesetzlich nur möglich als Anwalt zugelassen worden) des Vereinbarens von Hypotheken, des Sicherstellens eines stetigen Levels hoher und sicherer Zinsen bei Investitionen, des Durchführens von Verhandlungen nach dem Grundsatz, das Bestmögliche aus anderen herauszuholen, ohne seine Sicherheit


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