Die Forsyte Saga. John Galsworthy

Die Forsyte Saga - John Galsworthy


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von einem schwarzen Samtband um ihren dünnen Hals. Schwarz und Mauve galt bei fast allen Forsytes als eine sehr gute Wahl für die Abendbekleidung.

      Sie sah Swithin schmollend an und sagte: »Ann hat nach dir gefragt. Du hast dich seit Ewigkeiten nicht mehr bei uns blicken lassen!«

      Swithin steckte die Daumen in die Armlöcher seiner Weste und erwiderte: »Ann wird wirklich tatterig, sie braucht einen Arzt!«

      »Mr Nicholas Forsyte und seine Frau!«

      Nicholas hatte seine eckigen Augenbrauen hochgezogen und ­lächelte. Es war ihm an diesem Tag gelungen, ein Projekt zu realisieren, das den Einsatz eines oberindischen Stammes in den Goldminen von Ceylon vorsah. Das Projekt war ihm am Herzen gelegen und er hatte es endlich trotz großer Schwierigkeiten verwirklichen können – er war zu Recht zufrieden. Es würde den Ertrag seiner Minen verdoppeln, und, wie er so oft eindringlich erklärt hatte, die Erfahrung zeige ja wohl, dass der Mensch sterben müsse. Ob er nun kläglich an Altersschwäche im eigenen Land sterbe oder ob ihn durch die Feuchtigkeit unten in einer Mine im Ausland ein früher Tod ereile, mache da sicherlich wenig Unterschied, solange er durch eine Veränderung seiner Lebensweise dem britischen Weltreich genutzt habe.

      Niemand zweifelte an seinen Fähigkeiten. Seine krumme Nase in Richtung Zuhörer emporgestreckt, pflegte er hinzuzufügen: »Weil es uns an ein paar hundert dieser Kerle gefehlt hat, haben wir jahrelang keine Dividende gezahlt. Und schau dir doch mal die Aktienpreise an. Ich bekomme keine zehn Shilling dafür.«

      Er war außerdem auf Kur in Yarmouth gewesen und mit dem Gefühl zurückgekehrt, mindestens zehn Lebensjahre dazugewonnen zu haben. Er griff nach Swithins Hand und rief in einem scherzhaften Ton: »Da sind wir also wieder!«

      Nicholas Gattin, eine willensschwache Frau, lächelte hinter ihm ein Lächeln verängstigter Heiterkeit.

      »Mr James Forsyte und seine Frau! Mr Soames Forsyte und seine Frau!«

      Swithin schlug die Fersen zusammen, seine Haltung war immer tadellos.

      »Na, James, na, Emily! Wie geht’s dir, Soames? Wie geht es dir?«

      Seine Hand umschloss die Irenes und seine Augen wurden groß. Sie war eine schöne Frau – etwas zu blass, aber ihre Figur, ihre Augen, ihre Zähne! Zu gut für Soames!

      Irene war mit dunkelbraunen Augen und goldblondem Haar gesegnet, dieser ungewöhnlichen Kombination, die die Blicke der Männer auf sich zog und als Zeichen eines schwachen Charakters galt. Und die reine, sanfte Blässe ihres Nackens und ihrer Schultern über ihrem goldfarbenen Kleid verlieh ihrer Erscheinung eine anziehende Außergewöhnlichkeit.

      Soames stand hinter ihr, den Blick auf den Nacken seiner Frau gerichtet. Die Zeiger von Swithins Uhr, die er noch immer aufgeklappt in seiner Hand hielt, standen schon nach acht. Es war schon eine halbe Stunde nach seiner Essenszeit – er hatte nichts zu Mittag gegessen – und eine seltsame urzeitliche Ungeduld stieg in ihm auf.

      »Jolyon kommt doch sonst nie zu spät!«, sagte er zu Irene und konnte dabei seinen Ärger nicht verbergen. »Bestimmt hält June ihn auf!«

      »Verliebte kommen immer zu spät«, erwiderte sie.

      Swithin starrte sie an, seine Wangen färbten sich dunkelorange.

      »Sie haben nicht das Recht, zu spät zu sein. So ein neumodischer Unsinn!«

      Und hinter diesem Ausbruch schien die nicht zum Ausdruck gebrachte Gewalt von Urgenerationen zu murmeln und zu grollen.

      »Sag, was hältst du von meinem neuen Stern, Onkel Swithin«, ­sagte Irene sanft.

      Zwischen der Spitze am Ausschnitt ihres Kleides funkelte ein fünfzackiger Stern aus elf Diamanten. Swithin sah sich den Stern an. Er hatte einen guten Geschmack, was Edelsteine anging. Keine andere Frage hätte seine Aufmerksamkeit so einfühlsam auf etwas anderes lenken können.

      »Von wem hast du den?«, fragte er.

      »Von Soames.«

      In ihrem Gesicht war keinerlei Veränderung zu erkennen, doch Swithins helle Augen traten hervor, als ob ihm plötzlich etwas klargeworden sei.

      »Dir ist doch bestimmt langweilig zu Hause«, sagte er. »Du kannst jederzeit vorbeikommen und mit mir zu Abend essen, du wirst von mir immer den besten Wein bekommen, den man in London nur kriegen kann.«

      »Miss June Forsyte – Mr Jolyon Forsyte! … Mr Boswainey! …”

      Swithin machte eine Bewegung mit seinem Arm und brummte: »Zu Tisch jetzt – zu Tisch!«

      Er führte Irene hinein, da sie nicht mehr sein Gast gewesen war, seit sie eine Braut war. Für June war Bosinney zuständig, der einen Platz zwischen Irene und seiner Verlobten zugewiesen bekam. Auf Junes anderer Seite saßen James und Nicholas’ Frau, gefolgt vom alten Jolyon mit James‘ Frau, Nicholas mit Hatty Chessman, Soames mit Tante Juley, und mit Swithin schloss sich der Kreis wieder.

      Familienessen der Forsytes folgten gewissen Traditionen. Es gab zum Beispiel kein Horsd’oeuvre. Weshalb das so war, wusste keiner. Unter den jüngeren Familienmitgliedern gab es die Theorie, dass es am horrenden Preis für Austern lag. Wahrscheinlich lag es aber eher an dem Wunsch, zur Sache zu kommen, an einer guten praktischen Denkweise, die zu dem umgehenden Entschluss führt, dass Horsd’oeuvres ein klägliches Nichts sind. Nur James und seine Familie konnten einer Gepflogenheit, die fast ausnahmslos überall in der Park Lane verbreitet war, nicht widerstehen und brachen hin und wieder mit dieser Tradition der Forsytes.

      Das Einnehmen der Plätze ist gefolgt von einer stillen, fast schon mürrischen Unachtsamkeit den jeweils anderen gegenüber. Diese hält bis zum ersten Gang an, wird jedoch hin und wieder von Bemerkungen unterbrochen wie: »Tom geht es wieder schlecht. Ich weiß einfach nicht, was mit ihm los ist!« »Ich nehme an, Ann kommt morgens nicht runter?« – »Wie heißt der Arzt nochmal, Fanny?« »Stubbs?« »Der ist ein Quacksalber!« – »Winifred? Sie hat zu viele Kinder. Vier sind es, richtig? Sie ist klapperdürr!« – »Was hat dich dieser Sherry gekostet, Swithin? Der ist mir zu trocken!«

      Mit dem zweiten Glas Champagner macht sich eine Art Summen bemerkbar, bei dem es sich, wie sich nach dem Ausblenden von Nebengeräuschen und dem Ausmachen des Ursprungs herausstellt, um James handelt, der eine Geschichte erzählt. Das dauert dann eine ganze Weile. Manchmal zieht es sich sogar bis zum wohl unumstrittenen Höhepunkt eines jeden Festmahls der Forsytes – dem Hammelrücken.

      Es hat bei den Forsytes noch nie eine Dinner-Party ohne Hammelrücken gegeben. Irgendwas an seiner saftigen Solidität macht ihn angemessen für Menschen einer gewissen Stellung. Er ist nahrhaft und schmackhaft, die Art von Essen, an die man sich erinnert. Er hat eine Vergangenheit und eine Zukunft, wie eine Einzahlung bei der Bank. Und er bietet Diskussionsstoff.

      Jeder Zweig der Familie beharrte auf einer bestimmten Gegend, aus der das Fleisch stammen musste – der alte Jolyon schwor auf Dartmoor, James auf Wales, Swithin auf Southdown, und Nicholas behauptete, dass, auch wenn die Leute spotten mochten, nichts über Neuseeland ginge! Was Roger betraf, dem »Original« unter den Brüdern, der musste sich unbedingt seine eigene Herkunftsgegend ausdenken, und mit der eines Mannes, der einen neuen Beruf für seine Söhne kreiert hatte, würdigen Findigkeit hatte er einen Laden entdeckt, der deutsches Hammelfleisch verkaufte. Als ihm deshalb Vorhaltungen gemacht wurden, hatte er, um zu beweisen, dass er im Recht war, eine Metzgersrechnung vorgezeigt, die belegte, dass er mehr bezahlt hatte als alle anderen. Daraufhin hatte sich der alte Jolyon zu June gedreht und in einem seiner Anfälle von Philosophie gesagt: »Glaub mir, sie sind ein verrückter Haufen, diese Forsytes – du wirst das schon noch merken, wenn du älter wirst!«

      Nur Timothy hielt sich aus der ganzen Sache raus, denn obwohl er bei Hammelrücken herzhaft zugriff, hatte er, wie er sagte, Angst davor.

      Für jeden, der sich von einem psychologischen Standpunkt aus für die Forsytes interessiert, ist diese Hammelrücken-Eigenheit von höchster Wichtigkeit. Sie zeigt nicht nur ihre zähe Hartnäckigkeit, sowohl in Bezug auf die gesamte Familie als Gemeinschaft als auch auf jeden als Einzelperson, sondern sie kennzeichnet sie auch als in ihrer Beschaffenheit und


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