Die Forsyte Saga. John Galsworthy

Die Forsyte Saga - John Galsworthy


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ihm nur recht, wenn er sich so an dem Preis festbeißen musste. Für den Kerl drehte sich immer alles nur ums Geld. Aber hatte er wirklich zu viel bezahlt? Es musste noch viel daran gemacht werden – und er würde wohl sein gesamtes Geld brauchen, ehe er die Sache mit June geregelt hatte. Er hätte die Verlobung niemals erlauben dürfen. Sie hatte diesen Bosinney bei Baynes kennengelernt, Baynes und Bildeboy, die Architekten. Soweit er wusste, war dieser Baynes, den er kannte – er hatte was von einer alten Frau -, der angeheiratete Onkel des jungen Mannes. Von da an war sie ihm immer hinterhergelaufen. Und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie nichts und niemand mehr aufhalten. Immer bandelte sie mit irgendwelchen Versagern an. Der Kerl hatte kein Geld, aber sie musste sich ja unbedingt mit ihm verloben – ein weltfremder Springinsfeld, der sich noch in Schwierigkeiten ohne Ende bringen würde.

      Sie war eines Tages auf ihre direkte, unbekümmerte Art zu ihm gekommen und hatte es ihm gesagt. Und als ob das ein Trost wäre, hatte sie hinzugefügt: »Er ist einfach großartig, er hat sich schon oft eine ganze Woche lang nur von Kakao ernährt!«

      »Und du sollst dich jetzt auch nur von Kakao ernähren, oder was?«

      »Aber nein, es läuft doch jetzt für ihn.«

      Der alte Jolyon hatte die Zigarre unter seinem weißen Schnurrbart, der an den Enden braun vom Kaffee war, weggenommen und sie angesehen, das kleine Ding, das sein Herz so fest im Griff hatte. Er wusste besser Bescheid darüber, was es bedeutete, wenn es geschäftlich für jemanden »lief«, als seine Enkelin. Doch sie hatte seine Knie mit ihren Händen umfasst und rieb ihr Kinn daran und machte dabei ein Geräusch wie eine schnurrende Katze. Und während er die Asche von der Zigarre klopfte, war es in seiner aufgebrachten Verzweiflung aus ihm herausgebrochen:

      »Ihr seid doch alle gleich: Ihr gebt keine Ruhe, bis ihr habt, was ihr wollt. Wenn du dich unbedingt ins Unglück stürzen musst, dann tu, was du nicht lassen kannst. Aber ich wasche meine Hände in Unschuld.«

      Also hatte er seine Hände in Unschuld gewaschen und die Bedingung gestellt, dass sie nicht heiraten sollten, bevor Bosinney nicht mindestens vierhundert im Jahr verdiente.

      »Ich werde dir nicht sehr viel geben können«, hatte er zu ihr gesagt - Worte, die June nicht zum ersten Mal hörte. »Vielleicht kann ja dieser Wie-heißt-er-nochmal den Kakao beisteuern.«

      Er hatte sie kaum noch zu Gesicht bekommen, seitdem die Sache angefangen hatte. Das war nicht gut! Er hatte definitiv nicht vor, ihr viel Geld zu geben, damit dann ein Kerl, über den er nichts wusste, untätig vor sich hin leben konnte. So etwas hatte er schon erlebt, da kam nie etwas Gutes bei raus.

      Das Schlimmste war, dass er keine Hoffnung hatte, sie umstimmen zu können. Sie war stur wie ein Esel, schon als Kind. Er wusste nicht, wo das enden sollte.

      Sie mussten sich nach der Decke strecken. Er würde nicht nachgeben, ehe der junge Bosinney ein eigenes Einkommen hatte. Dass June mit dem Kerl Ärger haben würde, war klar wie Kloßbrühe; der hatte von Geld so viel Ahnung wie eine Kuh. Und die Tanten des jungen Mannes in Wales, die sie nun so eilig besuchen mussten, waren bestimmt alte Hexen.

      Und regungslos starrte der alte Jolyon an die Wand. Wären seine Augen nicht offen gewesen, hätte man meinen können, er schläft … Was für ein Vorschlag, diesen jungen Flegel Soames um Rat zu fragen! Er war schon immer so ein eingebildeter Stiesel gewesen! Als nächstes würde er sich noch als Mann von Besitz mit einem Haus auf dem Land niederlassen! Ein Besitzstreber! Pah! Wie sein Vater war er immerzu auf der Suche nach Schnäppchen, ein kaltblütiger junger Lump!

      Er stand auf, ging zum Schränkchen und fing an, seine Zigarrenkiste systematisch mit neuen Zigarren aufzufüllen. Für den Preis waren sie nicht schlecht, aber man bekam ja heute nirgendwo mehr gute Zigarren, nichts, was an die Qualität jener alten Superfinos von Hanson und Bridger rankam. Das waren Zigarren!

      Wie ein zarter Duft trug ihn dieser Gedanke zurück zu jenen wundervollen Nächten in Richmond, als er nach dem Abendessen rauchend mit Nicholas Treffry und Traquair und Jack Herring und Anthony Thornworthy auf der Terrasse des Crown and Sceptre gesessen hatte. Wie gut seine Zigarren damals doch waren! Der arme alte Nick – tot, und Jack Herring – tot, und Traquair – tot, an dieser Frau gestorben, und Thornworthy – schrecklich zittrig und schwach auf den Beinen (kein Wunder bei seinem Appetit).

      Von allen Freunden aus diesen Tagen schien nur noch er selbst ­übrig zu sein, außer natürlich Swithin, und der war so monströs dick, dass mit ihm nichts anzufangen war.

      Kaum zu glauben, dass das schon so lange her war, er fühlte sich doch noch jung! Von all seinen Gedanken, als er dort stand und seine Zigarren zählte, war dies der schmerzlichste, der bitterste. Sein Haar war weiß und er war einsam, doch im Herzen war er noch jung und grün hinter den Ohren. Und jene Sonntagnachmittage im Hampstead Heath, an denen der junge Jolyon und er einen Spaziergang gemacht hatten, entlang der Spaniard’s Road zum Highgate Cemetery und von dort nach Child’s Hill und wieder zurück durch den Park, um dann im Jack Straw’s Castle essen zu gehen – wie vorzüglich seine Zigarren damals doch gewesen waren! Und das ­Wetter! Jetzt gab es ja gar kein richtiges Wetter mehr.

      Als June noch ein kleiner Knirps von fünf Jahren war und er jeden zweiten Sonntag mit ihr in den Zoo ging, weg von der Gesellschaft jener zwei guten Frauen, ihrer Mutter und ihrer Großmutter, und er ganz oben beim Bärengehege Brötchen auf seinen Regenschirm pikste, um ihre Lieblingsbären anzulocken, wie gut seine Zigarren da doch waren!

      Zigarren! Er hatte es noch nicht einmal geschafft, seinen Gaumen zu überdauern – den berühmten Gaumen, auf den die Männer vor gut dreißig Jahren schworen. Und wenn sie von ihm sprachen, sagten sie: »Forsyte hat den besten Gaumen in ganz London!« Den Gaumen, dem er gewissermaßen seinen Wohlstand verdankte – den Wohlstand der gefeierten Teemänner, Forsyte und Treffry, deren Tee wie kein anderer ein romantisches Aroma hatte, den Zauber einer sehr außergewöhnlichen Authentizität. Um das Haus von Forsyte und Treffry im Zentrum herrschte eine Atmosphäre von Unternehmertum und etwas Geheimnisvollem, von besonderen Geschäften auf besonderen Schiffen in besonderen Häfen mit besonderen Menschen aus dem Orient.

      Er hatte gearbeitet in diesem Geschäft! Damals hat man noch richtig gearbeitet! Diese jungen Spunde wussten doch kaum, was das überhaupt hieß! Er hatte auf jedes Detail geachtet, über alle Abläufe Bescheid gewusst, hatte dafür manchmal ganze Nächte durchgearbeitet. Und er hatte seine Händler immer selbst ausgesucht, darauf war er stolz gewesen. Seine Menschenkenntnis, so sagte er immer, war der Schlüssel zu seinem Erfolg gewesen, und von diesem meisterhaften Talent des Auswählens Gebrauch zu machen, war das Einzige, was ihm wirklich Spaß gemacht hatte. Das war keine Karriere für einen Mann seiner Fähigkeiten gewesen. Selbst jetzt noch, wo das Geschäft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt worden war und der Erfolg nachließ (er hatte seine Anteile schon vor Längerem verkauft), grämte es ihn sehr, wenn er an diese Zeit zurückdachte. Wie viel weiter er es doch hätte bringen können! Er wäre ein großartiger Jurist gewesen! Er hatte sogar darüber nachgedacht, für das Parlament zu kandidieren. Hatte nicht Nicholas Treffry so oft zu ihm gesagt: »Du könntest alles, Jo, wenn du nur nicht so v-verdammt vorsichtig wärst!« Der gute alte Nick! So ein guter Mensch, aber auch so ungestüm! Der berüchtigte Treffry! Er hatte nie vorsichtig gelebt. Jetzt war er tot. Der alte Jolyon zählte mit ruhiger Hand seine Zigarren und es kam ihm der Gedanke, ob er selbst vielleicht zu vorsichtig gewesen war.

      Er steckte die Zigarrenkiste in die Brusttasche seines Mantels, knöpfte die Tasche zu und ging die lange Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf, wobei er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte und sich am Geländer stützte. Das Haus war zu groß. Nach Junes Heirat, sollte sie diesen Typen jemals heiraten, was anzunehmen war, würde er es vermieten und sich eine Wohnung suchen. Wozu sollte er länger ein halbes Dutzend Bedienstete durchfüttern?

      Ein Butler kam auf sein Läuten hin – ein großer, bärtiger Mann mit leisem Gang und einer besonderen Begabung fürs Stillsein. Der alte Jolyon ordnete ihm an, seinen feinen Anzug bereitzulegen, er wolle im Klub zu Abend essen.

      Seit wann sei die Kutsche, die Miss June zum Bahnhof gebracht hatte, wieder zurück? Seit zwei? Dann solle er um halb sieben vorfahren!


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