Die Bestie von Norwich - Mystikroman. Barbara Emerson

Die Bestie von Norwich - Mystikroman - Barbara Emerson


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      Der Regen peitschte Kathy McGregor trotz ihrer Kapuze ins Gesicht, als sie aus dem Wagen stieg und in das Pub lief. Von außen erschien es nicht sehr einladend, der Wind ließ die maroden Fensterläden klappern.

      Das alte Schild über der Tür quietschte an einer rostigen Kette, die Farben des gemalten Lamms waren verblasst durch Wind und Wetter. „The Singing Lamb“ – Das singende Lamm –, Edward hatte es ihr wärmstens empfohlen. „Kathy, ich sag dir, da kriegst du eine Shepherd’s Pie, wie du sie noch nie gegessen hast.“

      Na schön, Edward, dachte sie, hoffentlich hast du recht, ich hab ordentlichen Hunger.

      Sie zog an der Tür, die knarrend nach außen schwang und fast von einer Windbö aus ihrer Hand gerissen wurde. Wärme, Licht und reges Stimmengewirr empfingen sie. Der Geruch nach Essen vermischte sich mit dem harzigen Duft eines Kaminfeuers.

      Sie schüttelte sich, zog die Kapuze vom Kopf und ging zur Theke.

      „Ein bisschen windig heute“, sagte ein älterer Mann neben ihr.

      Kathy lächelte höflich, aber sie erwiderte nichts. Als der Wirt sich ihr zuwandte, fragte sie nach Eliza. Er nickte und rief etwas über die Schulter in die Küche. Kurz darauf kam eine kleine, alte Frau heraus und sah sich um.

      „Sie wollen was von mir?“, fragte sie und musterte Kathy mit zusammengekniffenen Augen.

      „Ja. Mir wurde gesagt, wenn ich ein Zimmer suche, soll ich mich an Sie wenden. Es gäbe keine bessere Adresse.“

      „Wer sagt denn so was?“

      „Edward Cunningham vom Glasgow Sunday Observer“, erklärte Kathy lächelnd.

      „So, und Sie sind?“, fragte Eliza und verzog noch immer keine Miene.

      „Kathy McGregor, ebenfalls vom Sunday Observer.“

      „Aha. Dann kommen Sie mal mit.“

      Die Alte legte das Handtuch zur Seite, kam hinter der Theke hervor und führte sie über ein Nebenzimmer zur Treppe in den ersten Stock. Mehrere Türen trugen Nummern, bei der 17 blieb Eliza stehen. „Hier können Sie wohnen. Pro Nacht fünfzehn Pfund, mit Essen natürlich mehr. Das Bad ist auf dem Flur, aber Sie müssen es nicht teilen. Im Moment sind außer Ihnen keine Gäste hier. Wo ist Ihr Gepäck?“

      Kathy zog ihre Autoschlüssel aus der Jackentasche. „Das ist noch im Auto, ich hole es gleich rein. Sagen Sie, Eliza, würden Sie mir eine Ihrer wunderbaren Shepherd’s Pies zaubern? Edward hat unaufhörlich in den höchsten Tönen davon geschwärmt.“

      Ein Lächeln huschte kurz über das Gesicht der Alten, als sie sich umdrehte. „Werde ich tun. Zahlen Sie an der Theke und warten Sie unten im Pub, wird ’ne Weile dauern.“

      Kathy begleitete Eliza wieder nach unten, folgte Elizas Hinweis und lief nach draußen zu dem Leihwagen. Sie hatte das Gefühl, als hätte der Wind in den letzten paar Minuten an Stärke zugenommen. Er zerrte an dem Pub-Schild, ließ es knarzen und quietschen, als Kathy darunter durchlief. Ihre Haare, die unter der Kapuze hervorschauten, wurden durcheinandergewirbelt, und der Regen sprühte ihr unangenehm ins Gesicht.

      Sie hatte noch genügend Zeit, ihre Koffer in das gemütlich eingerichtete Zimmer zu tragen und die Regenjacke auszuziehen, bevor das Essen serviert wurde. Ein schmales Bett, ein Tisch mit zwei Stühlen, ein geräumiger Kleiderschrank, ein Telefon und sogar ein kleiner Fernseher waren in dem Zimmer, in dem sie die nächsten zwei, vielleicht auch drei Nächte verbringen würde. Kathy warf einen Blick aus dem Fenster, die gespenstische Moorlandschaft unter dem dicken Regenvorhang ließ sie frösteln. Die Wolken schienen fast bis zum Boden zu reichen, Nebelschwaden zogen geisterhaften Wesen gleich über das Moor.

      Als Edward ihr Devon als Reiseziel vorgeschlagen hatte, sah sie gleich die ungezähmte Wildnis vor Augen und entsann sich der Geschichten über die Geisterhunde des Moores. Je länger sie zum Fenster hinaussah, desto mehr beschlich sie eine Stimmung düsterer Trostlosigkeit. Gänsehaut überzog sie von Kopf bis Fuß, und sie schüttelte sich jäh.

      Sie wandte sich ab, ging hinab in die Schankstube und erfreute sich an dem fröhlichen Geplauder der Gäste und der Wärme des Kaminfeuers. Ganz langsam fiel das dunkle Gefühl wieder von ihr ab und machte wohliger Behaglichkeit Platz.

      *

      Edward Cunningham saß an seinem Schreibtisch in der Redaktion und starrte gedankenverloren zum Fenster hinaus. Kathy sollte bereits in Devon angekommen sein, sie war schon früh mit dem Wagen aufgebrochen. Er war bereits einige Male in der Grafschaft gewesen, eigentlich war es ein Zufall, dass dieser Landsitz des Schriftstellers Mark Westley ganz in der Nähe des kleinen Ortes Belstone lag, den Edward bereits von seinen eigenen Reisen her kannte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er an die gute Küche des Pubs dachte, in dem er stets übernachtet hatte.

      Edward riss sich nur widerwillig von dem Blick nach draußen los und widmete sich seiner Reportage, aber schon nach wenigen Minuten wanderten seine Gedanken wieder davon weg.

      Er dachte verträumt an Kathy. Sie war für ihn eine besondere Person. Schon seit sie in dieser Redaktion arbeitete, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Bislang hatte er es jedoch noch nicht geschafft, es ihr gegenüber offen zuzugeben. Er spürte aber deutlich, dass sie für ihn ebenfalls etwas empfand. Auch wenn sie es immer überspielte, doch er wusste es genau.

      Aber seit dem Mittag, seit sie zu dieser Reise nach Devon aufgebrochen war, war er besorgt um sie. Eine leise Ahnung machte sich in ihm breit und flüsterte ihm Gefahr für sie zu.

      Unsinn. Energisch wischte Edward den Gedanken beiseite und tippte weiter an der Reportage, blieb eisern daran, bis der Bericht fertig war. Während er ihn zu seinem Vorgesetzten brachte, breitete sich wieder dieser Gedanke in ihm aus. Kathy war immerhin alleine unterwegs, es war eine weite Strecke und was könnte nicht alles passieren? Edwards unerschöpfliche Fantasie gaukelte ihm schreckliche Bilder vor, die er rasch verscheuchte.

      Es half kaum etwas, einige der Vorstellungen setzten sich hartnäckig fest und verfolgten ihn sogar noch auf dem Nachhauseweg. Doch er musste sich gedulden. Kathy würde sich erst am nächsten Morgen melden, gleich um acht Uhr.

      *

      Die Shepherd’s Pie war köstlich, Edward hatte ihr nicht zu viel versprochen. Das Lammhackfleisch verlieh dem Gericht die würzige Note, und zusammen mit dem gebackenen Kartoffelpüree obenauf ergab es einen unvergleichlichen Geschmack.

      Edward. Bei dem Gedanken an ihn kribbelte es in Kathys Bauch, sie sah sein warmes Lächeln und die ewig strubbeligen Haare vor sich. Sie dachte erneut an seine Begeisterung, als er ihr das Angebot für diese Reportage gemacht hatte.

      „Kathy“, hatte er gesagt, „du kennst doch den Schriftsteller Mark Westley, ja? Dieser Kerl lebt zurückgezogen auf einem alten Landsitz in der Grafschaft Devon, am Rande des Dartmoor National Parks.“

      „Devon!“, hatte Kathy entsetzt ausgerufen. „Du weißt, wie weit das ist?“

      „Ja, ich war schon mehrmals dort, als ich noch für die London Times gearbeitet habe“, hatte Edward geantwortet, Kathy eine Hand auf den Arm gelegt und sie eindringlich angesehen. „Bitte, es wäre eine Sensation für unsere Zeitung, wenn wir dieses Interview drucken könnten.“

      „Gib mir einen Tag Zeit, um darüber nachzudenken“, hatte Kathy gemurmelt, und nun saß sie hier. In einem verregneten Landstrich im südwestlichen England, nahe der Stadt Okehampton in einem kleinen Örtchen namens Belstone. Bei Dartmoor musste sie stets an Sherlock Holmes und den Hund von Baskerville denken, der in diesem Hochmoor sein Unwesen getrieben hatte, zumindest in den Büchern von Sir Arthur Conan Doyle.

      Ihre Gedanken wanderten zu dem Schriftsteller Mark Westley. Nur selten gewährte er ein Interview. Kathy war enorm aufgeregt, dass sie es führen durfte. Edward hatte ihr diesen Job überlassen, weil er selbst dafür keine Zeit hatte. Und zudem würde der Schriftsteller bestimmt lieber von einer Frau interviewt werden als von einem Mann, so lauteten Edwards Worte.

      Kathy vermutete aber noch etwas anderes, nämlich, dass Edward ihr die Gelegenheit geben wollte, mit einem erstklassigen Interview vor dem Chef des Glasgow Sunday Observer zu glänzen und somit endlich in die Riege der Top-Reporter


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