Die Bestie von Norwich - Mystikroman. Barbara Emerson

Die Bestie von Norwich - Mystikroman - Barbara Emerson


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dunkle Gedanken hatten sich mit den ersten Sonnenstrahlen verflüchtigt, eine ausgiebige Dusche brachte ihre fröhliche Stimmung zurück. Es sah aus, als wären die letzten Regenwolken abgezogen, der Himmel zeigte sich blassblau, und der Wind war nicht mehr so stark. Kathy warf einen Blick aus dem Fenster zu der Moorlandschaft, die am Vorabend und in der Nacht so düster war. Im Licht der Morgensonne zeigte es sich in sattem Grün und wirkte freundlich.

      Punkt acht rief sie Edward an, der vermutlich schon gewartet hatte, denn der Klingelton erklang kaum, da hörte sie seine muntere Stimme.

      „Guten Morgen, guten Morgen. Na, wie geht es meiner Star-Reporterin?“

      „Edward Cunningham, ein wenig Ernst würde dir bestimmt weiterhelfen, den begehrten Platz in der Nachrichtenredaktion zu erhalten“, zog sie ihn auf, wohl wissend, dass dies ein wunder Punkt war. Seit Jahren sehnte Edward sich nach diesem Posten, doch immer wurde er vertröstet.

      „Ha, ha, ich lache später“, brummte er unwillig, und sie spürte, dass es ihn tatsächlich getroffen hatte. „Nun sag schon, wann fährst du los? Bist du gut vorbereitet? Hast du das Buch gelesen?“

      Kathy musste lachen. „Also, ich habe gelernt, dass man seine Fragen nacheinander stellen und dem Interviewpartner genügend Zeit für Antworten lassen sollte. Aber gut, ich beantworte sie der Reihe nach. Ich fahre gleich los, ich bin gut vorbereitet und ich habe das Buch fast durchgelesen.“

      „Fast? Kathy, der Mann wird wissen wollen, ob du den Schluss kennst. Deswegen ist schon einmal ein Reporter bei ihm abgeblitzt.“

      Kathy schluckte. Daran hatte sie nicht gedacht. „Du meine Güte, das wusste ich nicht. Edward, du kennst es. Verrate mir bitte den Schluss.“

      Sie verstand nicht, was er leise vor sich hinmurmelte, doch dann hörte sie ihn wieder laut und deutlich. „Also gut, schreib mit oder merk es dir. Es wird wichtig sein, glaub mir.“

      Kathy machte sich Notizen und steckte den Zettel in die Manteltasche. Das würde sie bis später behalten können, aber wer weiß, ein Zettel konnte nie schaden. Wer hätte auch gedacht, dass dieser Schriftsteller gezielte Fragen über seine Bücher stellen würde. Immerhin wurde er interviewt, und nicht umgekehrt.

      *

      Sie verabschiedete sich von Edward, fuhr pfeifend los und folgte der Straße nach Süden. Rasch ließ sie die kleine Ortschaft Belstone hinter sich. Sie hatte bereits am Abend zuvor gedacht, dass sie noch einen freien Tag anhängen könnte, um die wilden Hochmoorflächen oder die Stätten aus stein- und bronzezeitlichen Epochen zu erkunden. Im Zuge ihrer Recherchen für dieses Interview hatte sie erfahren, dass das Dartmoor Anfang der Fünfziger Jahre zum Nationalpark ernannt worden war, vormals war es königliches Jagdgebiet gewesen.

      Ganz in den Anblick der vorbeiziehenden Landschaft vertieft, hätte sie fast das kleine Holzschild mit der verwitterten Inschrift „Stratton Hall“ übersehen. Rasch trat Kathy auf die Bremse, bog ab und gelangte schon gleich zu einem hohen Metallzaun, der in der Tat an ein Gefängnis erinnerte. Vor einem schmiedeeisernen Tor, in dessen dunklen Gitterstäben die großen Buchstaben S und H prangten, musste sie anhalten. Kathy drückte den Klingelknopf und lauschte.

      „Ja?“, krächzte eine undefinierbare Stimme durch das Gerät.

      „Guten Tag, mein Name ist Kathy McGregor, ich komme vom Glasgow Sunday Observer und möchte …“

      „Kommen Sie herein, Sie sind spät dran!“ Die blechern wirkende Mitteilung klang vorwurfsvoll, und Kathy runzelte die Stirn. Das Interview war für 9.30 Uhr angesetzt, sie war noch zehn Minuten zu früh.

      Das Tor schwang auf, und Kathy fuhr weiter, folgte der Auffahrt bis zum Anwesen. Nach einer Kurve sah sie das Haus und pfiff unwillkürlich durch die Zähne.

      Stratton Hall erhob sich eindrucksvoll vor ihr. Das Herrenhaus aus dunklem Stein erweckte mit seinen Zinnen und Türmen den Eindruck einer Burg. Zahlreiche Fenster, die sich zum Teil hinter Gitterstäben befanden, glitzerten im frühen Morgenlicht wie listige Augen. Efeu rankte sich an den Steinwänden empor, kleine Türme flankierten den Eingang wie zwei steinerne Wachposten.

      Steinerne Löwen saßen links und rechts neben den Treppenstufen, die zur Eingangstür führten, sie blickten starr und irgendwie überheblich.

      Dieses graue und kalte Gebäude strahlte eine nicht greifbare Bedrohung aus. Kathy zog verängstigt die Schultern nach oben. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob dies alles eine gute Idee gewesen war. Selbst die knorrigen, alten Bäume, die das Anwesen säumten, wirkten bedrohlich. Vielleicht sollte sie einfach auf der Stelle wieder umdrehen?

      Aber nein, Kathy, das ist Unsinn. Nun stell dich nicht so an und erfülle deinen Job, sagte sie im Stillen zu sich selbst. Du musst nur ein Interview führen und eine gute Reportage darüber schreiben.

      Sie parkte den Wagen neben dem Aufgang zum Haus und nahm ihre Tasche vom Beifahrersitz.

      Ein Geruch nach Moder und nassen Blättern kroch ihr in die Nase, als sie ausstieg und zur Tür ging. Weiche Knie und ein flaues Gefühl im Magen zeugten von ihrer unbegründeten Angst. Ein Schwarm Krähen ließ sich lautstark krächzend auf den Bäumen nieder, ihre heiseren Schreie fuhren Kathy in die Glieder und verstärkten ihr ungutes Gefühl.

      An dem dunklen Holz der Eingangstür glänzten goldene Drachenköpfe, die wohl mit dem Ring in ihrem Maul als Türklopfer dienen mochten. Noch bevor Kathy dazu kam, einen davon zu benutzen, wurde ihr geöffnet, und eine Frau in schwarzer Kleidung starrte sie feindselig an.

      „Kommen Sie herein, der Herr wartet bereits auf Sie“, sagte sie in strengem Ton, ihre Stimme war schrill und unangenehm.

      Kathy fühlte sich beinahe genötigt, eine Entschuldigung zu murmeln, aber ihr blieben die Worte im Hals stecken. Die Vorhalle von Stratton Hall war beachtlich groß, mehrere Türen und Durchgänge waren zu sehen. Am Ende der Halle brannte ein Feuer im Kamin. Der große Teppich in der Mitte lag offenbar schon lange da, er war recht abgetreten. Doch alles war peinlich sauber gehalten, die Ritterrüstungen, die die Wände säumten, blitzten und blinkten. Ihre Hellebarden und Lanzen wirkten, als wären sie erst gestern hergestellt worden.

      Stumm folgte sie der Haushälterin in einen düsteren Salon, Kathy bemerkte sofort einen dezenten Geruch von Möbelpolitur. Schwere, bodenlange Vorhänge hingen vor den Fenstern, durch die verbliebenen Lücken warf die Sonne helle Flecken auf den alten Parkettboden. Ein hohes Bücherregal fesselte sofort Kathys Aufmerksamkeit. So viele alte Bücher hatte sie bisher nur in der Universitätsbibliothek von Oxford gesehen. Sie versank in diesen Anblick und vergaß für einen Moment sogar ihre Nervosität.

      „Wunderbar, nicht wahr?“

      Kathy zuckte beim Klang der weichen Stimme zusammen und erkannte die Silhouette eines Mannes, der in einem Sessel vor dem Fenster saß. Mit einer beiläufigen Bewegung zog er einen Vorhang zur Seite. Die hereinfallende Morgensonne blendete sie, sodass sie die Hand vor die Augen hob, um etwas zu erkennen.

      „Verzeihen Sie, wie unhöflich von mir.“ Der Mann erhob sich mit einer eleganten Bewegung und drückte einen Knopf an der Wand. Mit leisem Surren glitt eine Jalousie herunter.

      „Mark Westley. Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte der Mann, dessen markantes Gesicht sie jetzt erkennen konnte. Sandfarbenes Haar fiel ihm locker in die hohe Stirn, seine Nase war leicht gebogen. Augen wie Bernstein leuchteten neugierig in ihr Gesicht, und Kathy verlor sich in diesem Blick.

      „Bitte, nehmen Sie doch Platz“, sagte er mit einschmeichelnder Stimme und zeigte auf den zweiten Sessel im Raum. Ein silbernes Tablett mit einer Teekanne und geblümten Tassen wartete auf dem kleinen Tisch, der danebenstand.

      „Danke“, stammelte Kathy. Der Anblick dieses Mannes hatte sie vollkommen aus der Fassung gebracht. Sie hatte ihn zuvor bereits auf Fotos gesehen, sein Aussehen war ihr durchaus bekannt gewesen, doch dass er diese umwerfende Wirkung auf sie haben würde, hätte sie niemals gedacht. Dazu diese unglaubliche Stimme, so voller Wärme und Klang, und irgendwie auf eine seltsame Art und Weise vertraut. Kathy fühlte sich ganz benommen. Edward kam ihr kurz in den Sinn, doch sie verscheuchte


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