Die Geheimnisse von Paris. Эжен Сю

Die Geheimnisse von Paris - Эжен Сю


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ein Recht drauf, alle Schönheit zu bewundern, die ...« – »Aber, lieber Herr Herzog, reden Sie doch nicht gar zu laut,« bemerkte die Marquise, »Sie zwingen uns sonst, Sie zu meiden!« – »Wie Sie das sagen, Marquise!« erwiderte der Herzog, »ich kenne Sie ja gar nicht wieder! Kommen Sie her, reichen Sie mir Ihren Arm und machen Sie mit mir einen Gang durch die Galerie!« – »Aber doch nicht mit Ihnen!« versetzte abwehrend die Herzogin, »ach, bitte rühren Sie das Bukett nicht an! Auch den Fächer nicht! Sie zerbrechen ja doch immer alles, was Sie in die Finger bekommen.« – Der Herzog lachte so laut, daß Frau von Harville sich gewiß auf der Stelle entfernt hätte, wäre nicht im selben Augenblicke Herr Karl Robert – der junge hübsche Herr, den Frau Pipelet »den Kommandanten » zu nennen liebte – von der andern Seite hergekommen. So fürchtete sie, es könne wohl aussehen, als sei sie ihm entgegen gegangen, und blieb beim Herzoge stehen ... »Ei, der Tausend!« rief Lucenay, »wo kommen Sie denn hergeschneit, Karl Robert? Hab Sie doch eben erst in den Pyrenäen getroffen! Marquise, ein großartiger Kerl, dieser Karl Robert! Singt wie ein Schwan und tanzt wie Apollo ... Na, Sie sollen sehen, wie ich ihn aufziehe! Wünschen Sie, daß ich Sie mit ihm bekannt mache?«

      Karl Robert trat näher. Seine hohe Gestalt war gut proportioniert, sein Gesicht zeichnete sich durch die tadellose Reinheit der Züge aus, dennoch fehlte es seiner Gestalt an Grazie und Eleganz, er hatte eine steife, gezwungene Haltung, und seine Hände und Füße waren groß und gemein. Sobald er aber die Marquise von Harville erblickte, trat auf seine Züge plötzlich ein Ausdruck tiefer Melancholie, und so geschwind, daß man nicht anders konnte, als ihn für erheuchelt halten, und doch war es nicht sowohl Heuchelei, als tiefes Unglück, unsägliche Trostlosigkeit, so daß Frau von Harville, als er jetzt vor ihr stand, unwillkürlich an die unglückverkündenden Worte denken mußte, die eben aus ihrem Munde gefallen waren.

      »Ach, guten Tag, Bester,« rief Lucenay ihm zu, ihn am Arme packend, als er vorbeigehen wollte, »was fehlt Ihnen? Sie sehen ja ganz elend aus!« – Mit der kläglichsten Stimme antwortete Karl Robert, einen langen, melancholischen Blick auf die Marquise werfend: »Wohl fühle ich mich freilich gar nicht.« – »Können Sie denn Ihren ewigen Keuchhusten gar nicht mehr los werden?« fragte Lucenay, dem Anschein nach mit echter Teilnahme. – Auf Karl Roberts Gesicht trat helle Zornesröte, und heftig erwiderte er: »Wenn Sie sich für meine Gesundheit wirklich so lebhaft interessieren, dann haben Sie vielleicht morgen früh die Güte, mir eine Kondolenzvisite zu machen?« – »Wie sagten Sie?« versetzte Lucenay stolz, »gewiß, ich werde nicht ermangeln, durch meinen Lakai nach Ihrem Befinden vorfragen zu lassen.« – Karl Robert verneigte sich leicht und ging weiter. Frau von Harville stand auf, nahm Sarahs Arm, ging Herrn Karl Robert nach, der vor Unwillen schier außer sich war, und sagte im Vorbeigehen leise zu ihm: »Morgen ein Uhr bin ich bei Ihnen ..«

      Dann kehrte sie mit der Gräfin in den Ballsaal zurück und fuhr bald darauf nach Hause.

      Neuntes Kapitel. Herzogin von Lucenay.

      Rudolf war Zeuge der flüchtigen Szene zwischen der Marquise und Herrn Karl Robert gewesen, die auf den Disput zwischen ihr und dem Herzog von Lucenay gefolgt war. Die bedeutungsvollen Blicke waren ihm nicht entgangen, die zwischen beiden gewechselt worden waren, und ein geheimes Gefühl sagte ihm, daß der stattliche junge Mann einundderselbe sei mit dem, den die Pförtnersfrau »Kommandant« zu nennen liebte. Aus diesen Gedanken riß ihn Baron Graun.

      »Wenn Hoheit mir einen Moment Gehör schenken wollen,« sagte er, »so bitte ich, mir in das kleine Zimmer nebenan zu folgen, wo uns niemand hören kann. Ich möchte Ihnen kurz über die Erkundigungen berichten, die ich für Sie einholen sollte.« – Rudolf folgte dem Baron.. »Die einzige Herzogin, auf die die beiden Initialen N. und L. passen können, ist die Herzogin von Lucenay, geborne von Noirmont,« sagte der Baron, »sie ist heute abend anwesend; eben habe ich ihren Mann gesehen, der vor fünf Monaten eine Reise nach dem Orient unternahm, die ungefähr ein Jahr hatte dauern sollen, von der er aber vor einigen Tagen unvermutet zurückgekehrt ist.«

      Rudolf durchschaute alles. Besondere Veranlassung, sich für die Dame zu interessieren, hatte er nicht; es schauderte ihm aber bei dem Gedanken, daß, wenn sie wirklich bei dem Scharlatan gewesen war, ihr Name diesem Schurken bekannt sein mußte, der tatsächlich kein anderer als der Abbé Polidori war und ihr den lahmen Jungen hinterher geschickt hatte, und daß nun von ihm jeder Mißbrauch mit dem furchtbaren Geheimnis, das die Frau in seine Hände gegeben hatte, getrieben werden konnte, und auch werden würde!

      »Gerade als mir Herr von Grangeneuve,« fuhr Baron Graun fort, »hierüber Aufklärung gab mit dem Beifügen, daß die unvermutete Rückkehr des Herzogs seiner Gemahlin und einem unserer ersten Elegants, dem Vicomte von Saint-Remy, höchst ungelegen komme, stellte er noch die Frage an mich, ob ich meinte, daß Eure Durchlaucht geruhen würden, sich dem Vicomte vorstellen zu lassen? Der Vicomte ist nämlich der Gerolsteiner Gesandtschaft attachiert worden und würde sich glücklich schätzen, Eurer Durchlaucht sein Aufwartung machen zu dürfen.«

      Rudolf konnte eine Bewegung der Ungeduld nicht unterdrücken und sagte: »Es kommt mir höchst ungelegen, aber abschlagen kann ich es doch auch nicht. Sagen Sie meinetwegen dem Grafen **, er möge so freundlich sein, mir Herrn von Saint-Remy vorzustellen.«

      Der Graf kam mit dem Vicomte, einem schönen jungen Herrn von etwa 25 Jahren, schlanker Figur und tadelloser Haltung, wie auch einnehmendem Gesicht, das mit einem dichten, seidenweichen Schnurrbart geziert war, während Kinn und Wangen glatt waren wie bei einem Mädchen. Die langen Schleifen seiner Halsbinde wurden von einer einzigen Perle zusammengehalten, die durch ihre Größe, die Reinheit ihrer Form und ihren blendenden Glanz von unschätzbarem Wert war. Der Vicomte besaß einen sehr großen Rennstall und trieb einen maßlosen Luxus mit Pferden und Karossen. Er war auch ein Liebhaber vom Spiel, und seine Wetten bei den jährlichen Rennen bezifferten sich auf 2–3000 Louisdor im Minimum. Das Haus, das er in der Rue de Chaillot führte, galt als Muster von Pracht und Eleganz, und doch war es stadtbekannt, daß er sein ganzes väterliches Erbe schon lange vergeudet hatte. Böse Zungen erklärten seinen Aufwand nur deshalb für möglich, weil er Beziehungen zu der steinreichen Herzogin von Lucenay unterhielt, wie es ja auch von seiten der Gräfin Sarah geschehen war. Es wurde aber hierbei übersehen, daß der Herzog die Hand auch auf dem Vermögen seiner Frau hielt, und daß der Vicomte von Saint-Remy im Jahre wenigstens 50,000 Taler verausgabte. Noch andere wollten wissen, daß er mit den Jockeys bei den Rennen unter einer Decke steckte. Die meisten indessen kümmerten sich überhaupt nicht darum, woher der Vicomte das Geld nahm, das er jährlich mit so freigebiger Hand unter die Leute brachte, gehörte er doch durch seine Geburt der höchsten Aristokratie des Landes an, über deren Hilfsquellen sich damals niemand den Kopf zu zerbrechen pflegte. Von der Damenwelt wurde er vergöttert, war er doch ein junger, stattlicher Mann und auch ein sehr schöner Mann.

      Die Vorstellung erfolgte in der üblichen Weise, Rudolf wechselte ein paar Worte mit dem neuen Mitgliede der Gerolsteiner Gesandtschaft, nickte dann leicht zum Zeichen, daß der Vicomte entlassen sei, worauf dieser sich tief verbeugte und zurücktrat. Rudolf war ein scharfer Menschenkenner, für den ein Blick genügte, sich über jemandes Charakter ein Urteil zu bilden. Gegen den Vicomte faßte er auf der Stelle Widerwillen, denn aus seinen Augen meinte er hinterhältige Schlauheit leuchten zu sehen. – In tiefen Gedanken über das seltsame Zusammentreffen, das der Zufall herbeigeführt hatte, begab sich Rudolf wieder nach dem Wintergarten und setzte sich in ein geheimes, verstecktes Plätzchen im Treibhause, neben ein Dickicht, das von einem hohen Pisangbaume fast ganz verdeckt wurde. Eine kleine, durch Gitterwerk maskierte Tür, die über einen langen Korridor zum Buffetsaale hinführte, unfern von Baum und Dickicht, stand halb offen.

      Eine Weile saß er hier in Sinnen versunken, als er durch eine ihm wohlbekannte Stimme aufgeschreckt wurde, die seinen Namen nannte. Auf der andern Seite des kleinen Dickichts saß, unsichtbar für ihn, wie er für sie, die Gräfin Sarah mit ihrem Bruder Tom, in englischer Sprache sich mit ihm unterhaltend. Tom war nur wenige Jahre älter als Sarah, hatte aber schon schneeweißes Haar. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von untilgbarer Zähigkeit und Willensstärke. Sein Blick war finster, und seine Stimme klang hohl. In seinem Gemüt schien ein tiefer Schmerz oder


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