Die Geheimnisse von Paris. Эжен Сю

Die Geheimnisse von Paris - Эжен Сю


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wenig gefehlt, so wäre dieser ihm um den Hals gefallen. Er nannte ihn seinen Retter, seinen besten Freund, ja seinen zweiten Vater. Nun sah sich Polidori nach Zeugen für die Trauung um und fand sie auch in der Person eines Geistlichen und eines Gutspächters der Umgegend. Nun wurde während einer zufälligen Abwesenheit des Großherzogs Rudolf mit Sarah getraut, und die Wahrsagung der alten Hochländerin war zur Wahrheit geworden: Sarah war die Gattin eines Thronerben geworden!

      Das von Tom und Polidori im Schach gehaltene junge Paar wußte sich so geschickt zu benehmen, daß niemand am großherzoglichen Hofe irgend etwas ahnte. Im ersten Vierteljahr dieses Verhältnisses pries sich Rudolf als den glückseligsten Menschen unter Gottes Sonne. Er bereute den Schritt auch nicht, als an Stelle der Leidenschaft ruhige Ueberlegung trat, entsagte vielmehr gern um des Besitzes des ihm angetrauten Weibes willen all jenen Träumen von einem üppigen Leben, die durch Polidoris Schilderungen in seinem Gemüt erwacht waren. Da sollte ein von Sarah mit Ungeduld erwartetes Ereignis die Ruhe, die noch immer in Gerolstein herrschte, in wilden Sturm verwandeln. In ihrer Herzensnot kam Sarah auf den Gedanken, dem Großherzog, der sie, wie seine Mutter, ganz in sein Herz geschlossen hatte, alles zu bekennen. Rudolf erschrak davor, denn wenn er sich auch der Liebe seines Vaters versichert halten durfte, so kannte er anderseits doch dessen starre Grundsätze, wenn es sich um Fürstenpflicht handelte. Auf all seine Einwände aber hatte Sarah nur die rücksichtslose Antwort: »Ich bin deine Frau vor Gott und den Menschen. Wie kannst du mir zumuten, ob des Zustandes, in den du mich versetzt hast, zu erröten? Habe ich nicht vielmehr allen Grund, stolz darauf zu sein? Warum willst du mir wehren, mich solches Zustandes laut zu rühmen?«

      Die Aussicht, Vater zu werden, hatte Rudolfs Liebe zu Sarah verdoppelt, und so hatte Tom, der die Partei seiner Schwester energisch nahm, leichtes Spiel, bekam jedoch insofern einen Strich durch die Rechnung gemacht, als ihm vom Großherzoge der Befehl erteilt wurde, die Gestüte des Landes einer Inspektion zu unterziehen. Dadurch wurde er auf die Zeit von vierzehn Tagen vom Hofe fern gehalten. Sarah versprach ihm tägliche Nachricht über den Fortgang der Angelegenheit, aber in einer Gesellschaft bei der Großherzogin-Mutter sollte es zu dem Eclat kommen, den Tom so gern vermieden hätte. Außer Sarah waren noch verschiedene Hofdamen anwesend, und als Sarah von der Großherzogin-Mutter aufgefordert wurde, sich zu ihr zu setzen, zischelten die übrigen Damen ... denn auch die unerfahrensten konnten die Augen nicht mehr verschließen vor dem, was Sarah gar nicht mehr verhehlen wollte, denn den gesegneten Zustand hätte ihr jetzt wohl kaum jemand schon angesehen, wenn sie es nicht besonders darauf angelegt hätte, sich damit zu brüsten, in der Absicht, Rudolf zum Eingeständnis seiner Ehe mit ihr zu zwingen. Die Großherzogin-Mutter mochte ihren Augen nicht trauen und sagte leise zu Sarah: »Aber, mein liebes Mädchen, Sie haben sich heute gar nicht vorteilhaft gekleidet. Sonst läßt sich Ihre Taille mit den Fingern umspannen, heute aber kennt man Sie ja gar nicht wieder!«

      Ueber die schrecklichen Ereignisse, welche dieser Entdeckung fast auf dem Fuße folgten, wird der Leser später unterrichtet werden; heute möge er sich mit der Mitteilung – die dem Leser wohl kaum noch überraschend sein wird – begnügen, daß das Mädchen, dessen Bekanntschaft er unter den Namen Marienblümchen und Schalldirne bereits gemacht hat – Rudolfs Tochter aus seiner Ehe mit Sarah war, daß aber er sowohl wie Sarah sie für tot hielten.

      Siebentes Kapitel. Der Ball

      In der Rue Plumet fuhr in der elften Nachtstunde an der Tür eines Palastes eine Staatskutsche, von zwei prächtigen Grauschimmeln gezogen, vor. Auf dem mit gefranster Decke überzogenen Bocke saß ein Hüne von Kutscher im blauen Pelzrock, mit großem Marderkragen, silbernen Tressen und Schnüren besetzt. Hintenauf stand ein gepuderter Hüne von Lakai in blauer Livree neben einem Jäger mit ungeheurem Schnauzbarte, dessen breit bordierter Hut von einem gelb und blauen Federbusche verdeckt war. Die Kutsche war mit Atlas ausgeschlagen; die Laternen warfen helles Licht hinein; Rudolf saß darin, links von ihm Exzellenz Graun, ihm gegenüber der getreue Murph. Auf seinem Leibrock trug Rudolf, dem Souverän zu Ehren, von dessen Gesandten das Ballfest gegeben wurde, zu dem Rudolf fuhr, den Stern mit Diamanten des *schen Ordens; um Walter Murphs Hals hingen Band und Emailkreuz des goldnen Adlerordens von Gerolstein; Exzellenz Graun trug die gleiche Auszeichnung.

      »Seltsam, wie ähnlich doch mancher Mensch einem Chamäleon ist!« meinte Rudolf, »man sollte eigentlich kaum davon sprechen, aber in diesen Kontrasten, in denen zum Beispiel ich mich bewege, liegt doch ein eigentümlich pikanter Reiz. Heut bin als Fächermaler in einer gemeinen Schenke der Rue des Poix; morgen Handlungsdiener, der der Frau Pipelet ein Glas Likör anbietet; heut abend wieder einer der wenigen Menschen, die von Gottes Gnaden als Herrscher über die Erde gesetzt find.« – »Ich möchte, da wir noch allein sind,« bemerkte Murph, »eine Frage an Sie stellen: Meinen Sie im Ernste in dem italienischen Scharlatane den Abbé Polidori wiedererkannt zu haben?« – »Ganz ohne Zweifel,« versetzte Rudolf »zumal Sie ja doch gewußt haben, daß er seit einiger Zeit sich in Paris aufhält.« – »Ich habe, wenn nicht vergessen, so doch vermieden,« sagte Murph, »mit Hoheit darüber zu sprechen, ist mir doch bekannt genug, wie schrecklich Ihnen die Erinnerung an diesen Menschen ist.«

      Rudolfs Züge verfinsterten sich von neuem. Er versank in trübes Sinnen und sprach kein Wort mehr, bis der Wagen in den Hof des Gesandtschaftspalais eingefahren war, dessen Fenster sämtlich erleuchtet waren, vor dem eine doppelte Reihe von Lakaien in Staatslivree stand, die sich bis zu den Wartesälen hinzog, in denen sie von den Kammerdienern abgelöst wurden.

      Graf und Gräfin hatten bis zu Rudolfs Ankunft im ersten Empfangssaale geweilt; als er mit Murph und Graun eintrat, hefteten sich aller Blicke auf ihn. Er hatte ein so ausgesprochen fürstliches Exterieur, daß seine Erscheinung tatsächlich Sensation machte. Die Frau des Gesandten, die Gräfin, ging ihm entgegen und begrüßte ihn mit den Worten: »Hoheit, Sie erweisen uns eine so hohe Ehre, daß ich tatsächlich nicht weiß, wie ich meinen Dank in Worte kleiden soll.« – »Sie wissen doch, Frau Gräfin, daß ich es mir allezeit angelegen sein lasse, Ihnen meine Huldigung zu Füßen zu legen. Mir wird die Erinnerung an die von Ihnen veranstalteten Festlichkeiten nie aus dem Gedächtnisse schwinden, denn Feste würdig zu arrangieren, verstehen Sie ja doch sozusagen allein.« – »Hoheit sind wirklich zu gütig ...« – »Gnädige Frau, erlauben Sie mir, Ihnen meinen Arm zu bieten? Ich habe von einem Blumengarten sprechen hören, der feenhaft eingerichtet und zur gegenwärtigen Jahreszeit geradezu wie ein echtes Weltwunder wirken soll. Möchten Sie mich so glücklich machen, es mir persönlich zu zeigen?« – »Sehr schmeichelhaft, Hoheit! Aber – Sie werden bald erkennen, daß ich auch hierin all Ihrer Nachsicht bedarf, wenn der Eindruck, den Sie von diesem Weltwunder – wie Sie scherzhaft sagen – gewinnen, nicht allzu sehr hinter der Wirklichkeit zurückbleiben soll.

      Rudolf reichte der Gräfin den Arm und führte sie durch mehrere Säle, während ihr Gemahl sich mit dem Baron Graun und mit Sir Walter Murph, mit denen er schon seit Jahren intim bekannt war, angelegentlich unterhielt.

      Es war eine lange, stattliche Galerie von 40 Klafter Länge und 3 Klafter Breite, die durch ein leichtes, kuppelförmiges Glasgehäuse in etwa 50 Fuß Höhe überdacht war; ihre vier Seitenwände waren mit zahllosen Spiegeln bedeckt; kräftige Orangenbäume und große Kamelien bildeten zum Eingange hin Spalier. Bis zu dem Kuppeldache hinauf schlangen sich Girlanden von Blättern und Blüten in Spiralen; Tulpen, Narzissen, Hyazinthen, Cyklamen und Iris schufen eine Art natürlichen Teppichs, auf dem alle Farben und Schattierungen in der lieblichsten Weise vertreten waren. Bunte Papierlaternen hingen an langen Schnüren, stellenweis unter lauschigem Grün versteckt. Drei Treppenfluchten führten zu der Galerie hinauf, deren Flammenhelle das Halbdunkel gleichsam einrahmte, worin sich die Umrisse der hohen Bäume des Wintergartens zeigten, der durch zwei hohe Vorhänge aus karmesinrotem Samt halbgeschlossen war und einem Fenster von riesenhaften Dimensionen glich, durch das man in einer herrlichen Nacht auf eine schöne Landschaft hinausblickt. Geschwächt durch die Ferne und durch das Stimmengewirr auf der Galerie, verklangen die Töne des Orchesters melodisch unter den starren Blättern der exotischen Bäume. Unwillkürlich wurde in diesem Garten leise gesprochen, so daß man kaum das leichte Geräusch der Tritte und das Rauschen der Atlasgewänder hörte. Alle Sinne wurden durch die leichte, von tausend Wohlgerüchen aromatischer Gewächse erfüllte


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