Der neue Sonnenwinkel 70 – Familienroman. Michaela Dornberg
Sie konnte ihm nicht wirklich etwas vorwerfen, der war zufrieden gewesen, solange er in ihr seine Diana sehen konnte. Es war verrückt, der Mann auf dem Markt hatte ihr ein kleines Kompliment gemacht, und das hatte sie vollkommen aus der Spur gebracht. Und ja, Rosmarie Rückert, die war unglaublich nett. Und natürlich durfte sie Maja nicht vergessen, doch die musste ihr keine Komplimente, sie waren alte Freundinnen, die sich aus den Augen verloren, doch zum Glück genau im rechten Augenblick wiedergefunden hatten.
Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie erschrocken zusammenzuckte, als Rosmarie lächelnd bemerkte: »Ich denke, wir sollten jetzt aussteigen.«
Beatrix entschuldigte sich, stieg rasch aus. Der Parkplatz war voll, obwohl es erst mittags war. Abends war oftmals kaum ein Parkplatz zu finden, da mussten die Gäste ihre Autos bereits links und rechts auf der Zufahrtsstraße parken, die zum Glück breit genug war, um dann auch noch ein Auto hindurchzulassen.
Beatrix spürte ihren Herzschlag, sie war aufgeregt und freute sich wie ein Kind kurz vor der weihnachtlichen Bescherung. Gleich würde sie den ›Seeblick‹ betreten. Wenn sie das gewusst hätte, dann hätte sie doch ein ganz anderes Outfit gewählt. Sie blickte an sich herunter, Rosmarie bekam es mit: »Sie sehen perfekt aus, meine Liebe. Und das dürfen Sie mir glauben, dass ich mir da ein Urteil erlauben kann, denn ich war jahrelang ein ausgesprochener Fashionfreak, und ich habe gekauft, als gäbe es kein morgen. Doch glücklicherweise ist das vorbei. Und ich habe das jetzt auch nicht erwähnt, weil ich mich damit brüsten möchte, sondern, dass Sie mir glauben können.«
Sie betraten das Restaurant. Beatrix kam aus dem Staunen überhaupt nicht heraus. Das Haus war ja an sich schon etwas Besonderes, und dann diese unvergleichliche Lage oberhalb des Sees mit einem geradezu fantastischen Ausblick. Davon hatte sie sich überzeugen können, als sie heraufgekommen war, um die Speisekarte im Aushang zu studieren. Sie hatte lange auf der Terrasse verweilt, hatte vom Blick auf den Sternsee nicht genug bekommen können. Und sie hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie hier nicht zu suchen hatte. Jetzt war es anders, sie war eingeladen. Und schon beim Gedanken daran hüpfte ihr Herz vor lauter Freude.
Das Restaurant war mit sehr viel Liebe eingerichtet worden, modern, aber nicht kalt und unpersönlich. Auf jedem der Tische standen frische Blumen, und auch nicht irgendwelche. Man sah, dass sie mit Sorgfalt ausgewählt worden waren. Beatrix konnte sich einfach nicht sattsehen. Welch wundervolles Ambiente!
Sie wurde aus ihren Betrachtungen gerissen, weil eine junge, sehr gut aussehende Frau sich zu ihnen gesellte. Und das musste Julia Herzog-Richter sein, die Chefin. Sie war nicht sehr groß, schlank, was für ihren Beruf ein wenig erstaunlich war. Doch das zeigte wieder mal, dass man keine vorgefasste Meinung haben durfte, wie jemand aussah, der den einen oder anderen Beruf hatte. Von solchem klischeehaften Denken musste man sich befreien.
Sie begrüßte die beiden Frauen mit einer sehr angenehm klingenden Stimme.
Rosmarie sagte: »Julia, ich sagte dir ja bereits am Telefon, dass Heinz leider verhindert ist, was er übrigens sehr bedauert.«
Sie machte Julia mit Beatrix bekannt, fügte hinzu: »Frau Sendler ist übrigens die Freundin von Maja Greifenfeld und hat auch deren Haus bezogen.«
Lächelnd wandte Julia sich Beatrix zu.
»Schön, dass ich Sie endlich kennenlerne, Frau Sendler, denn Maja hat Sie bereits angekündigt. Ich freue mich sehr, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben. Herzlich willkommen in unserem ›Seeblick‹, ich hoffe, wir werden uns jetzt öfters sehen.«
Julia war ausgesprochen sympathisch, stellte Beatrix fest, und Maja hatte nicht übertrieben. Jetzt freute Beatrix sich noch mehr, wurde aufgeregter, weil sie sich willkommen fühlte.
Julia begleitete sie zu dem für die Rückerts reservierten Tisch, einem der schönsten im ganzen Restaurant, das war nicht zu übersehen. Dabei plauderte sie mit Rosmarie, und das klang sehr vertraut. Rosmarie und Julia mochten sich, mochten sich sogar sehr. Beatrix wusste ja nicht, dass Rosmarie es gewesen war, die dafür gesorgt hatte, dass Julia den ›Seeblick‹ nicht gegen die Wand gefahren hatte, weil es keine Gäste gab und die Rechnungen auf dem Schreibtisch sich häuften.
Das Restaurant war erstaunlich gut besucht, obwohl es noch recht früh war und man eigentlich viel lieber den Abend wählte, um lecker essen zu gehen. Die meisten Gäste waren allerdings Männer, woraus man schließen konnte, dass man sich vermutlich zu Geschäftsessen im ›Seeblick‹ verabredet hatte, und da schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe. Man aß vorzüglich und konnte dabei auch noch Geschäfte abwickeln. Sie kannte das mit diesen sogenannten Geschäftsessen von Horst, der auch ein Faible dafür hatte. Die Essen fanden entweder im Restaurant statt oder in der Villa, die sie gemeinsam bewohnt und die sie für immer verlassen hatte. Doch nein, an Horst, an ihr bisheriges Leben, wollte sie jetzt nicht denken. Außerdem kam sie überhaupt nicht dazu, denn Rosmarie begann zu reden, und Beatrix stellte sehr schnell fest, was für eine gute Erzählerin sie doch war.
Es dauerte nicht lange, da bekamen sie einen Gruß aus der Küche, eine unglaubliche Köstlichkeit, und nur wenig später wurde das Essen serviert, extra für die Rückerts zubereitet.
Diese Fischsuppe war so gut, dass man sie nur ganz still, beinahe andächtig, genießen konnte. Und wenn sie hier oben so privilegiert wäre wie die Rückerts, dann würde sie sich die Suppe täglich bestellen, solange, bis sie ihr zu den Ohren herauskam. Die von ihr zubereitete Suppe schmeckte nicht schlecht, wurde allgemein gelobt, und sie aß sie auch immer, wo sie serviert wurde. Sie hatte auch die berühmte Bouillabaisse überall in Frankreich gegessen, auch in Marseille. Nichts kam mit der Suppe mit, die sie gerade aß. Und das sagte sie Rosmarie auch.
»Da wird Julia sich freuen, aber Heinz und ich finden ja ebenfalls, dass es sie nirgendwo so gut gibt. Manchmal steht sie auf der Karte, und dann sollten Sie sich diesen Genuss nicht entgehen lassen.«
Eigentlich war es jetzt nicht der Augenblick, es anzusprechen, aber herumeiern wollte sie auch nicht.
»Dazu brauche ich aber erst einmal einen Job.«
Rosmarie winkte ab.
»Den werden Sie bekommen, meine Liebe, ich bin ganz fest davon überzeugt. Teresa kann es nicht entscheiden, sie muss mit mehreren Leuten darüber reden, aber auf sie hört man. Sie genießt nicht nur im Internat, sondern auch im Gymnasium sehr große Autorität. Würde ihr Vorstoß auf Ablehnung stoßen, hätte sie mich längst angerufen. Dass Sie noch nichts gehört haben, ist ein gutes Zeichen. Ich bin überzeugt davon, dass man Sie zu einem Gespräch einladen wird.«
Sie trank etwas, blickte Beatrix ein wenig nachdenklich an, überlegte, dann sagte sie: »Bitte, halten Sie mich nicht für neugierig. Doch warum haben Sie nie in Ihrem Beruf gearbeitet, nachdem Sie mit dem Studium fertig waren.«
Sie kannten sich zwar nicht lange, sie hatte bereits einiges von sich preisgegeben, doch jetzt erzählte sie der aufmerksam lauschenden Rosmarie ihre Lebensgeschichte, alles, sie ließ dabei nichts aus.
»Ich wollte einfach wieder ich selbst sein«, schloss sie ihre Erzählung.
Rosmarie bestärkte sie darin, das Richtige getan zu haben, versprach ihr, sie jederzeit zu unterstützen, bat sie, sie anzurufen, wenn sie Probleme hatte oder einfach nur mit jemandem reden wollte.
Auch wenn Beatrix sich damit wiederholte, weil sie es bereits mehr als nur einmal gesagt hatte. »Danke, doch warum tun Sie das für mich, Frau Rückert?«
»Also, das Frau Rückert, Frau Sendler, das lassen wir jetzt erst einmal bleiben. Ich bin Rosmarie, und zu dir werde ich Beatrix sagen.«
Die schüttelte den Kopf.
»Nein, das bitte nicht, Bea …, und danke …, ich bin jetzt ziemlich überwältigt.«
Bea erinnerte sie an Stella, die untergetaucht war, aber auch an Cecile. Vielleicht lag es daran, dass sie ungefähr gleichaltrig waren. Wie auch immer, sie hatte Bea von Anfang an in ihr Herz geschlossen. Und alles, was sie gesagt hatte, war nicht einfach so dahergesprochen, sie meinte es ganz aufrichtig, und deswegen fragte sie nach. Und Bea erzählte ihr ohne Scheu alles, was Rosmarie wissen wollte.
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