Die junge Gräfin 22 – Adelsroman. Michaela Dornberg
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»Du bist verrückt«, murmelte Alexandra leise vor sich hin, »total verrückt.«
Sie warf einen Blick in den Rückspiegel.
Der schwarze Sportwagen folgte ihr in immer gleichbleibenden Abstand, ob sie nun beschleunigte oder vom Gas herunterging.
Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?
Schön, der Fahrer dieses Wagens hatte ihr die Vorfahrt genommen. Es wäre beinahe zu einem Frontalzusammenstoß gekommen.
Beinahe.
Ihr war nichts passiert, an ihrem Auto war kein Schaden entstanden, es hatte nicht einmal einen Kratzer abbekommen, und bei diesem Fremden verhielt es sich ebenso.
Fahrer und Auto waren nichts passiert.
Sie hätten sich zunicken können, wären normalerweise in ihre Fahrzeuge gestiegen und weitergefahren. Sie hätte vielleicht rasch ein Gebet zum Himmel geschickt und sich dafür bedankt, dass ihr nichts geschehen war.
Warum, zum Teufel, hatte sie seine Einladung angenommen, mit ihm einen Kaffee zu trinken?
Weil er so unverschämt gut aussah?
Weil er nicht nur eine gewinnende Art, sondern wunderschöne Augen hatte, an deren Farbe sie sich nicht einmal mehr erinnern konnte.
Waren Sie grau gewesen? Oder blau? Braun auf keinen Fall, das wusste sie genau.
Wie auch immer, ob grün, schwarz, weiß oder kariert. Warum zerbrach sie sich eigentlich den Kopf deswegen?
Er war ein Fremder, und das sollte er für sie auch bleiben. Wenn sie sich von jeder Zufallsbekanntschaft gleich zum Kaffee einladen lassen würde, verbrächte sie die meiste Zeit ihres Lebens in Caféhäusern.
Aus diesen Gedanken heraus gab sie Gas, der schwere Geländewagen schoss nach vorn.
Alexandra brauchte nicht in den Rückspiegel zu schauen um zu wissen, dass der schwarze Sportwagen ihr folgte.
Also wieder runter vom Gas!
Sie hatte diesem fremden Mann versprochen, mit ihm einen Kaffee zu trinken, und ebenso hatte sie versprochen, sich nicht einfach aus dem Staub zu machen.
Was also sollten diese törichten Fluchtversuche?
Eine Waldenburg stand zu ihrem Wort.
Und im Übrigen, dieser Fremde gefiel ihr doch, sie fand ihn interessant, also würde sie die Stunde gemeinsam mit ihm schon überstehen, und danach würden sie sich die Hände schütteln und dann …, aus den Augen, aus dem Sinn.
Als sie sich entschlossen hatte nach dieser anstrengenden geschäftlichen Verhandlung nach Kaimburg zu fahren und dort einfach ein bisschen abzuhängen, durch die Fußgängerzone zu schlendern, in die Buchhandlung zu gehen, sich vielleicht auch etwas zu kaufen, hätte sie nicht im Traum daran gedacht, unterwegs unter außergewöhnlichen Umständen auch noch einen Mann kennen zu lernen.
Sie lächelte.
Frauen machten die unmöglichsten Anstrengungen, um an einen Partner zu kommen. Sie gaben Heiratsanzeigen auf, antworteten auf welche, surften im Internet auf den entsprechenden Partnerbörsen, ließen sich auf ein Speed-Dating ein.
Wenn es denn so sein sollte, lernte man Männer, Frauen aber auch im Supermarkt kennen oder, so wie in ihrem Fall, auf einer Landstraße.
Halt!
Wohin verirrten sich ihre Gedanken denn da?
Sie wollte doch überhaupt niemanden kennen lernen, und der Begegnung mit diesem Mann würde keine weitere folgen.
Sie wollte es auf keinen Fall. Sie leckte noch ihre Wunden wegen der Niederlagen mit Joe und Mike.
Außerdem …
Sie stellte nur Überlegungen an über das, was sie wollte oder nicht wollte.
Da gab es ja noch eine zweite Person in diesem Spiel, diesen Fremden, der gar nichts von ihr wollte, außer sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und deswegen nett und höflich zu sein.
Schließlich war er bei diesem Beinahe-Zusammenstoß der Schuldige gewesen, weil er wie ein Besessener auf die Kreuzung zugerast war und es nur ihrer Geistesgegenwart und ihrem schweren Geländewagen zu verdanken gewesen war, dass nichts passiert war.
Sie hatten die Stadtgrenze von Kaimburg erreicht.
Alexandra beschloss, nicht mehr in den Rückspiegel zu sehen und sich auch nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen über ein wie, was, warum.
Eine Stunde!, sagte sie sich, eine Stunde würde sie ihm geben. Danach hatte sie noch hinreichend Zeit, ihren ursprünglichen Plan durchzuführen, und einen Kaffee hätte sie eh irgendwo getrunken.
Sie schaffte es gerade noch, bei Gelb über eine Ampel zu fahren.
Eigentlich eine Chance, ihn jetzt abzuhängen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
Dieser Gedanke geisterte nur eine Sekunde durch ihren Kopf.
Nein!
Sie wollte nicht gemein sein, also fuhr sie rechts ran und wartete brav so lange bis die Ampel wieder auf grün umschlug, dann fuhr sie an. Er war wieder hinter ihr und schenkte ihr, das konnte sie erkennen, ein hinreißendes Lächeln.
Alexandra spürte, dass sie rot wurde. Sie ärgerte sich deswegen, war aber insgeheim froh, dass er das zum Glück nicht sah. Wer weiß, was er sich sonst noch darauf eingebildet hätte.
Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie ihr Ziel. Vor dem Café gab es genügend Parkplätze.
Alexandra suchte sich einen, stieg aus, und da war er auch schon an ihrer Seite.
»Zwei-, dreimal haben Sie darüber nachgedacht mich abzuhängen«, bemerkte er lachend. »Danke, dass Sie es nicht getan haben. Ich wäre wirklich untröstlich gewesen.«
Wie peinlich, dass ihm das aufgefallen war. Alexandra gab ihm darauf besser keine Antwort, denn sonst hätte sie es zugeben müssen.
Gemeinsam gingen sie auf das Café zu, ehe sie es betraten, warf Alexandra ihm einen verstohlenen Blick zu. Seine Augen waren grau-blau.
Höflich hielt er ihr die Tür auf.
Es waren nur wenige Gäste da, was Alexandra wunderte, denn normalerweise war es hier immer voll.
Sie hatten freie Platzwahl, und Alexandra hätte sich sofort für einen Fensterplatz entschieden. Der Fremde aber deutete auf einen Tisch neben einem alten Kamin, in dem allerdings kein Feuer brannte, sondern, wahrscheinlich mehr zur Dekoration, mächtige Buchenscheite aufgestapelt waren.
»Sollen wir uns dorthin setzen?«, erkundigte er sich höflich.
Diesen Platz hätte Alexandra niemals ausgesucht, aber deswegen einen Aufstand machen? Wegen einer Stunde?
Sie folgte ihm durch den Raum zu dem Tisch am Kamin, ließ sich den Stuhl zurechtrücken.
Höflich war er, dachte sie, denn welcher junge Mann machte das heutzutage noch? Einer Frau den Stuhl zurechtrücken.
Er setzte sich ihr gegenüber, schaute sie mit einem nicht zu deutenden Gesichtsausdruck an, der sie irritierte. Hoffentlich lief sie jetzt nicht rot an wie eine überreife Tomate! Um das zu verhindern sagte sie rasch: »Ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen.«
Er zuckte zusammen.
»Oh, bitte entschuldigen Sie, Alexandra. Sie verwirren mich so sehr, dass ich sogar die elementarsten Höflichkeitsformen vergesse. Hendrik«, stellte er sich vor, »Hendrik Hoorgen, und ich komme aus …«
Sie winkte ab und hinderte ihn am Weitersprechen.
»Danke, Ihr Name reicht mir, ich möchte nicht Ihren Lebenslauf hören.«
Dieser Satz war dumm, aber sie konnte ihn jetzt nicht mehr zurücknehmen. Hoffentlich blieb es bei diesem einen Fauxpas. Verflixt noch mal! Perfekte Umgangsformen hatte sie praktisch mit der Muttermilch eingesogen, und nun benahm sie