Die junge Gräfin 22 – Adelsroman. Michaela Dornberg

Die junge Gräfin 22 – Adelsroman - Michaela Dornberg


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nachdenken«, sagte er schließlich.

      Alexandra wollte ihn sofort festnageln.

      »Versprochen, Enno?«

      Wieder ein Zögern.

      »Du kannst ganz schön nerven«, bemerkte er schließlich, »also gut, versprochen.«

      Alexandra konnte nicht anders, sie sprang auf, machte ein paar Schritte auf ihn zu und umarmte ihn herzlich.

      »Danke, Enno«, flüsterte sie ihm ins Ohr, als habe er ihr ein besonders schönes Geschenk gemacht. Dabei war sie doch bemüht, ihm zu helfen. Den Dank schuldete er eigentlich ihr, aber das sah er wohl nicht so.

      »Tja, dann will ich mal wieder«, sagte er, machte sich aus ihrer Umarmung los. »Entschuldige, dass ich hier so hereingeplatzt bin …, ich mein, ganz so ohne Voranmeldung.«

      Wie hatte er das jetzt gemeint? Ehrlich? Ironisch?

      »Ist schon okay, Enno. Wir haben, so hoffe ich, jetzt alle Unstimmigkeiten ausgeräumt. Willst du nicht noch ein wenig bleiben? Meinethalben auch zum essen.«

      Er winkte ab.

      »Nö, lass mal gut sein, ich habe noch einen Termin, und heute Abend habe ich noch eine wichtige Verabredung …, spring mal über deinen Schatten und nimm mal eine Einladung von mir an, Alexandra. Frag Sabrina, meine Feste sind immer ein Erlebnis der besonderen Art.«

      »Danke, Enno, ich werde dich gern mal auf Beyen besuchen, schon allein wegen eurer herrlichen Pferde. Aber die Feste feiere mit anderen. Ich weiß, dass Sabrina sich immer amüsiert. Aber ich bin da anders als meine Schwester. Ich teile auch nicht ihre Leidenschaft für die Jagd. So ist jeder Mensch eben anders und hat andere Ambitionen.«

      Da er nicht sofort etwas sagte, fuhr sie fort: »Du, Enno, mit dem Besuch meine ich es wirklich ernst.«

      »Ich …, äh …, nun, ich würde mich freuen, Alexandra, aber …, nun, wenn, dann musst du wohl meinetwegen kommen. Ich …, ich habe alle Pferde …, nun, ich habe sie verkauft. Mein Vater hatte Spaß an ihnen, ich eher nicht.«

      Alexandra schaute ihn an, ohne etwas zu sagen.

      Er wurde rot.

      »Verflixt noch mal, ich habe sie verkauft, weil ich das Geld gebraucht habe …, und ich mache mir wirklich nichts aus Pferden.«

      Er umarmte sie flüchtig.

      »Dann mach es mal gut«, sagte er. »Auch wenn der Anlass nichts zum freuen war. Es war schön, dich mal wiederzusehen, Alexandra. Du siehst gut aus.«

      Als habe er bereits zu viel gesagt, wandte er sich ab.

      »Dann adieu.«

      Er stolperte zur Tür und beeilte sich hinauszukommen.

      »Auf Wiedersehen, Enno«, antwortete sie, war sich aber nicht sicher, ob er das noch mitbekommen hatte.

      Enno Freiherr von Beyen …

      Würde er ihre Worte in den Wind schlagen?

      Würde er sie beherzigen?

      Er hatte versprochen, darüber nachzudenken. Das konnte er ernst meinen, aber er konnte es auch nur so dahergesagt haben, um Ruhe vor ihr zu haben.

      Hoffentlich, hoffentlich besann er sich, schon allein um seiner Eltern willen, die sich wirklich im Grabe herumdrehen würden, wenn sie wüssten, welchen Ausverkauf ihr einziges Kind da gerade veranstaltete.

      Alexandra griff zu ihrem Telefon, um ihre Schwester anzurufen. Doch sie musste von einer Angestellten erfahren, dass Sabrina gerade mit den Kindern unterwegs war, zu irgendeinem Kindergeburtstag.

      Schade.

      Aber aufgeschoben war nicht aufgehoben. Sie würde es später noch einmal versuchen, und sie würde Sabrina bitten, ebenfalls noch einmal auf Enno einzureden.

      Der winzigste Schritt in die richtige Richtung wäre bereits ein Erfolg.

      Sie verließ ebenfalls den Salon und eilte hinauf in ihre privaten Gemächer.

      Dort streifte sie erst einmal ihre Schuhe von den Füßen, dann schmiss sie sich auf ihr Bett.

      Sie war fix und fertig.

      Welch ein Tag.

      Heute würde sie nirgendwo mehr hingehen, sondern es sich daheim gemütlich machen bei einem Glas Rotwein und einer Liebesschnulze im Fernsehen. Und wenn dort nichts Entsprechendes lief, dann würde sie sich aus den eigenen Beständen etwas heraussuchen. Ihr war nach ›Casablanca‹ zumute, dem Film, in dem der unvergessene Satz gesprochen wurde – ›Ich schau dir in die Augen, Kleines‹ – ›Schlaflos in Seattle‹, würde sie sich auch noch mal ansehen mit der ergreifenden Liebesszene auf dem Empire State Building in New York, oder sie würde ›Jenseits von Afrika‹, hervorkramen, ihren Favoriten, den sie schon so oft gesehen hatte, dass sie darin beinahe selbst mitspielen konnte.

      Alexandra schloss die Augen.

      Dieser Walzer, mitten in der Wildnis.

      Alexandra seufzte.

      Warum passierte einem so etwas nicht im wahren Leben?

      Ach, was war das für ein Film!

      Nun ja, bis auf das Ende, das war traurig, supertraurig, und das war eine Realität, die jeder erleben konnte.

      Also dann doch nicht ›Jenseits von Afrika‹, dazu war sie emotional derzeit ein wenig zu angeschlagen, da sehnte sie sich nicht nach Problemen, nicht nach Schmerz und Trauer, da brauchte sie ganz einfach eine heile Welt, in die sie sich flüchten konnte.

      *

      Alexandra war wohl ein wenig eingenickt, denn sie schreckte durch das Schrillen des Telefons hoch und hatte ein wenig mühe, sich zurechtzufinden.

      Ob es Sabrina war, die mit ihrer Rasselbande wieder nach Hause zurückgekehrt war?

      Wie spät war es denn eigentlich?

      Sie machte sich nicht die Mühe, auf ihre Uhr zu sehen, um das festzustellen, weil das Läuten des Telefons nervte.

      Ein wenig ungehalten meldete sie sich.

      Es war nicht Sabrina, sondern Marion war die Anruferin.

      »Hallo, Alexandra, ich störe dich doch hoffentlich nicht bei etwas?«

      »Nein, nein.«

      »Das ist gut … Alexandra, ich rufe dich an, um dich an die Vernissage heute Abend zu erinnern. Das hast du doch nicht vergessen?«, wollte Marion wissen.

      »Nein, natürlich nicht. Aber ich werde vermutlich nicht kommen.«

      »Weil du noch immer sauer auf mich bist?«, fragte Marion, und ihre Stimme klang traurig.

      Alexandra fühlte sich schuldbewusst und irgendwo auch ertappt. Vielleicht reagierte sie deswegen ein wenig heftig: »Marion, was soll das? Ich bin nicht sauer auf dich, warum denn auch? Nein, ich arbeite, wie du weißt, hart, und heute hatte ich einen besonders anstrengenden Tag. Ich bin kaputt. Ich bin kaputt und habe ganz einfach keine Lust auf Small-Talk. Ich kann mir die Bilder ein andermal ansehen, sie hängen ja nicht bloß für heute Abend in der Galerie.«

      »Nein, das nicht, aber heute Abend ist der Künstler anwesend, und es werden interessante Gäste da sein … Alexandra, du bist so belastbar. Ich habe dich erlebt, wie du nach einem harten, ereignisreichen Tag dennoch am Abend etwas unternommen hast … Ich bin mir sicher, dass du auf jeden Fall kommen würdest, wenn mein Auszug von Schloss Waldenburg nicht gewesen wäre …, seitdem bist du verändert und mir gegenüber ziemlich kühl … Herrgott, Alexandra, bitte versuche doch, dich in meine Lage hineinzuversetzen, meine Seelenlage zu verstehen … Mein Kind wurde entführt, entführt von Leuten, zu denen Ingo Kontakt hatte.«

      »Kontakt hatte, Marion, du sprichst es aus. Ingo hat sich von diesen Leuten gelöst, er spielt nicht mehr, ist in einer Therapie, um nicht rückfällig zu werden, und Ingo hat der Polizei die entscheidenden Hinweise geliefert,


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