Leni Behrendt Classic 52 – Liebesroman. Leni Behrendt

Leni Behrendt Classic 52 – Liebesroman - Leni Behrendt


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die langsam die sehr breite, mit schwellenden Teppichläufern belegte Treppe emporstieg. Sie hatten alle nur den einen Wunsch, den zurückbleibenden Geschwistern Unitz nicht zu verraten, wie sterbenselend ihnen zumute war.

      Oben starrten sie sich hilflos an, und erst die harte Stimme der Mutter ließ sie wieder zu sich zurückfinden.

      »Packt eure Sachen zusammen! Wir fahren sofort nach Hause! Nicht eine Stunde mehr möchte ich das Haus mit diesem – diesem Menschen teilen. Ich erwarte von euch, daß ihr nicht um Dinge jammert, die vorläufig nicht zu ändern sind. Beweist jetzt, daß die sorgfältige Erziehung, die ich euch habe zuteil werden lassen, an keine Unwürdigen verschwendet wor­den ist.«

      Das war in einem Ton gesagt, den die Kinder an ihrer Mutter fürchteten und gegen den sie sich nie aufzulehnen wagten.

      Also bissen sie die Zähne zusammen und packten ihre Sachen. Der Autofahrer wurde verständigt, und es war knapp eine Stunde vergangen, als Frau Elisa mit ihren Kindern das Schloß verließ. Den Baron, der vor dem Portal zu ihnen trat, schienen sie nicht zu sehen. Ohne Gruß fuhren sie davon.

      *

      Eine halbe Stunde später verabschiedete Hellersen die Geschwister Unitz sehr kühl und förmlich. Zu Herzlichkeit hatte man ja auch keinen Anlaß, da man sich fremd war.

      Swen sah dem auffallend grünen Wagen nach, bis er verschwunden war. Dann ging er langsam ins Schloß zurück.

      Jetzt erst merkte er, wie müde und abgespannt er war. Die letzten Tage waren ja auch ausgefüllt gewesen mit Besorgungen und Erregungen aller Art, so daß er noch keinen Augenblick hatte zur Ruhe kommen können. Mit einem Gemisch von Wehmut und Selbstverspottung mußte er feststellen, daß es gar nicht so einfach war, über Nacht ein reicher Mann zu werden.

      Vor allen Dingen mußte er jetzt einige Stunden ruhen. Daher bat er die Herren Glang, Melch und Wieloff, die in der Halle auf ihn warteten, ihn zu entschuldigen. Sie möchten es sich im Arbeitszimmer des Onkels, das ja nun das seine war, bequem machen. Er selbst wolle sich später zu ihnen gesellen.

      Christian erhielt noch den Auftrag, die Herren gut zu versorgen; dann ging der Baron in die Räume, die er seit Tagen bewohnte. Die anderen Herren suchten das bezeichnete Zimmer auf und ließen sich in die wunderbar bequemen Sessel sinken, die am Kamin um einen Rauchtisch gruppiert standen. Christian brachte Wein, Zigarren und Zigaretten, bat die Herren, sich zu melden, falls sie weitere Wünsche hätten, und zog sich dann in seiner lautlosen Art zurück.

      »So, meine Lieben, nun wollen wir zuerst einmal Prost sagen und uns dann so langsam wieder zu uns selbst zurückfinden; denn der letzten Stunden Qual war groß«, sagte der Notar. »Das war ja das reinste Todesurteil, das ich der Frau Elisa nebst Anhang verlesen mußte. Hätten sie gewettert und getobt, dann hätte man sich das voller Schadenfreude mit ansehen können. Aber so – na, schön ist anders.«

      »Das sagst du, der du den Inhalt des Testaments doch schon kanntest?« gab der Arzt zurück und tat einen tiefen Zug aus dem Glase. »Aber was sollen wir anderen sagen, die uns das unerwartete Testament sozusagen aus allen Wolken riß?«

      »Alle Achtung vor der Selbstdisziplin dieser Frau! So jäh und unerwartet von ihrem hohen Roß gestürzt zu werden und dennoch die Würde nicht zu verlieren, das muß man anerkennen.

      Auch der Baron hat mir leidgetan. Den hat sein Erbe bestimmt nicht so gefreut, wie es eigentlich der Fall sein sollte.«

      »Das hat es auch nicht«, bekräftigte Glang. »Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, weiß Gott nicht. Es ist ein außerordentliches Päckchen, das unser Freund Leopold dem armen Kerl nebst dem reichen Erbe aufgebuckelt hat. Ihr wißt nämlich noch nicht alles, was ich weiß.«

      »Kann ich mir denken, du Rechtsverdreher!« schmunzelte Melch behaglich. »Dein Amt ist eben die Geheimniskrämerei. Läßt uns der Mensch bei dem unerschütterlichen Glauben, daß Frau Elisa nebst Anhang die Erben sind, und lächelt noch schadenfroh dazu, als uns nach der Testaments­eröffnung die Überraschung fast umwirft.«

      »Was kann ich dafür, daß ihr eine so lange Leitung habt«, wehrte Glang sich lächelnd gegen den Vorwurf. »Daß der Baron hier so plötzlich auftauchte, das muß euch doch schon zu denken gegeben haben.«

      »Hat es auch«, behauptete Melch. »Aber da wir keine Hellseher sind, konnten wir den Zusammenhang ja nicht ahnen. Denn seltsam ist und bleibt die Sache doch auf alle Fälle; das wirst selbst du Neunmalkluger zugeben müssen.

      Taucht da plötzlich so ein Mann auf, wie ihn unser alter Herrgott nur in seiner besten Laune schafft, und von dem man bisher kein Sterbenswörtchen gehört, obgleich man hier seit mehr als dreißig Jahren ein und aus geht – und schnappt mir nichts, dir nichts der Frau Elisa von Hellersen das reiche Erbe vor der Nase weg. Wird nicht nur unumschränkter Herr über die prachtvolle Herrschaft Waldwinkel samt Nebengütern, sondern erbt auch noch eine Summe Geld dazu, bei deren Zahl man sich verschluckt, wenn man sie aussprechen will.

      Ist das merkwürdig oder nicht? Zumal dieser Herr dem Erb­lasser unbekannt war.«

      »Nimmst du wenigstens an«, entgegnete der Justizrat geheimnisvoll und weidete sich augenblickslang an den verblüfften Gesichtern Melchs und Wieloffs. »Und wenn ich euch nun erklärte, daß Leopold den Baron schon seit seinem zwölften Lebensjahr gekannt hat?«

      »Eine Frage habe ich, die du gewiß auch beantworten kannst: Warum nahm Leopold, der doch immer so einsam war, den Knaben nicht ganz zu sich?« wollte Melch wissen.

      »Weil der kleine Swen schon damals das verjüngte Ebenbild seines Vaters war, den Leopold ebenso glühend haßte, wie er Swens Mutter geliebt hat.«

      »Na, höre einmal, die Sache wird ja immer verzwickter.«

      »Durchaus nicht, sie ist vielmehr unendlich einfach und unendlich traurig. Leopold war schon ein alternder Mann, als er Frau Gertraude von Hellersen durch Zufall kennenlernte. Ihn packte die Liebe um so gewaltiger, da sie ihn bisher gnädigst verschont hatte. Sich dieser wirklich bezaubernden Frau zu nähern, war natürlich unmöglich: Erstens mal wegen seiner traurigen Gestalt, zweitens weil die Heißbegehrte an einen Mann gebunden war, den sie über alles liebte. Und diesen Mann, der die Frau sein eigen nannte, nach der unser armer Freund sich völlig verzehrte, haßte und beneidete er glühend. Leopold ­litt damals entsetzlich, weil ihn die unglückselige Liebe wie eine Krankheit befallen hatte. Ich glaube bestimmt, daß Leopold hauptsächlich deshalb an dem Schicksal des kleinen Swen so regen Anteil nahm, weil er der Sohn der schmerzlich geliebten Frau war. Hätte er ihr geglichen, wäre der Knabe wohl schon damals nach Waldwinkel gekommen. Da er aber ganz seines Vaters Ebenbild war, hätte Leopold es nicht ertragen können, ihn ständig um sich zu haben; denn er kämpfte gegen den Haß und Neid, der ja einen ganz Unschuldigen traf, hart an, da sich beides mit seiner sonst hochherzigen Gesinnung nicht vertragen wollte. Und dann wollte er ja auch vergessen, was ihm nimmermehr gelungen wäre, hätte er den Knaben ständig vor Augen gehabt. Aber sein Erbe sollte Swen werden, diese Tatsache stand für ihn unabänderlich fest. Und je prachtvoller sich der Knabe entwickelte, um so fester wurde Leopolds Entschluß. Jede Kleinigkeit, die Swen betraf, nahm er wichtig, und der Gedanke, den nun Erwachsenen endlich zu sich zu rufen, nahm immer festere Formen an. Wie ich vorhin schon erwähnte, war Swen im Hause seiner Verwandten ein richtiges ›Mädchen für alles‹. Er ertrug auch stets alles mit bewundernswerter Geduld, bis ihm die doch einmal riß, und er ging von Hirschhufen fort. Das jedoch verbitterte die Verwandten maßlos; denn der Baron war ein Mensch, den man nicht ungestraft in der Wirtschaft missen konnte. Er war ein äußerst tüchtiger Landwirt, der Hirschhufen hochgehalten hatte. Tatsächlich ging es nach seinem Weggang auch schnell berg­ab. Und als gar noch nach knapp einem Jahr der alte Francke starb und ein Oberinspektor verpflichtet wurde, der sich die zügellose Wirtschaft des Gutes zunutze machte und gehörig in seine Tasche wirtschaftete, da war der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten. Nun war wieder ein Fall eingetreten, wo der junge Baron seine Tüchtigkeit unter Beweis stellen konnte. Leopold war gespannt, wie er sich in fremden Diensten behaupten würde. Und das war wohl auch der Grund, weshalb er den Gedanken, ihn nach Waldwinkel zu rufen, wieder aufgab. Später kam dann allerlei dazwischen. Der Baron heiratete, ein Kindchen stellte sich ein, die junge Frau starb.


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