Dr. Daniel Classic 42 – Arztroman. Marie Francoise
Kaviar gibt es bei uns grundsätzlich nicht. Sie sind hier auf einem Bauernhof, vergessen Sie das bitte nicht. Wir selbst frühstücken gegen sechs Uhr morgens, aber unsere Wirtschafterin wird Ihnen gern bis zehn Uhr Frühstück servieren. Danach muß sie aber das Mittagessen zubereiten. Um zwölf wird gegessen, und da können wir für Sie leider auch keine Ausnahme machen. Abends gibt es nur noch eine Brotzeit mit Wurst, Käse und Schwarzgeräuchertem – übrigens alles selbstgemacht, sogar das Brot. Aber wenn Ihnen das zu deftig ist, kann ich Ihnen auch einen Früchtequark zubereiten.«
Elisa hatte das Gefühl, als müßte sie jetzt unbedingt in Ohnmacht fallen.
»Damit bringen Sie mich aus meinem ganzen Rhythmus!« begehrte sie auf. »Ich fasse es einfach nicht! Mittagessen um zwölf! Wo gibt’s denn so etwas?«
»Bei uns auf dem Gröber-Hof«, antwortete Claudia gelassen. »Sobald mein Mann und seine beiden Brüder aus dem Holz kommen, werden sie Ihre Koffer herauftragen.«
»Wie bitte?« brauste Elisa erneut auf. »Ich soll warten, bis die aus dem Holz kommen? Ich glaube, Sie haben noch immer nicht begriffen, daß ich anderes gewöhnt bin! Der Bauer ist doch noch da! Kann der nicht…«
»Mein Schwiegervater ist fünf-undsiebzig Jahre alt«, fiel Claudia ihr ins Wort. »Sie erwarten ja wohl nicht, daß der sieben Koffer über die steile Treppe heraufschleppt.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Es kann sich höchstens noch um eine halbe Stunde handeln, bis mein Mann und seine Brüder auf dem Hof eintreffen. In der Zwischenzeit können Sie sich ja den Reisestaub abwaschen und sich ein bißchen von den Strapazen der Fahrt erholen.«
Elisa war so perplex, daß sie kein Wort der Erwiderung parat hatte. Mit einem freundlichen Nicken verabschiedete sich Claudia von ihr und ging nach unten.
»Na, hast du dem verwöhnten Früchtchen das Zimmer gezeigt?« wollte ihr Schwiegervater wissen.
»Ja«, antwortete Claudia, dann schüttelte sie den Kopf. »Was die sich alles einbildet. Frühstück um elf, Mittagessen um zwei und abends noch ein Stück Weißbrot mit Kaviar.«
»Diese Frau hat wohl wirklich nicht mehr alles Tassen im Schrank«, polterte der alte Gröber. »Wenn alle Urlaubsgäste so sein sollten wie die, dann gute Nacht.«
»Nein, Vater, das glaube ich nicht«, erwiderte Claudia. »Die da oben ist mit Sicherheit ein arg verwöhntes Einzelexemplar.« Sie seufzte. »Wahrscheinlich wurde sie schon als Kind maßlos verzogen, und ihre Umwelt darf es jetzt ausbaden.«
*
Als das Telefon klingelte, wußte Holger Bogumil schon, wer dran sein würde, noch bevor er den Hörer überhaupt abgehoben hatte.
»Ich bleibe keinen Tag länger hier!« drang ihm dann auch schon die Stimme seiner Schwester ans Ohr. »Das sind Bauern!«
Holger lachte ganz ungeniert. »Natürlich, Schwesterherz. Oder hast du auf einem Bergbauernhof etwa andere Menschen erwartet?«
»Mach dich gefälligst nicht lustig über mich!« brauste Elisa auf. »Stell dir vor, die verlangen doch allen Ernstes, daß ich mich hier unterordnen soll! Frühstück nur bis zehn, Mittagessen um zwölf – das ist doch wirklich unzumutbar!«
»Nein, Elisa, das ist es ganz und gar nicht«, widersprach Holger und war dabei auf einmal sehr ernst. »Du bist nur verwöhnt, das ist alles. Vielleicht solltest du dich mal in die Lage dieser Leute versetzen. Sie können doch nicht jeden Feriengast individuell versorgen. Die arme Frau käme ja nie aus der Küche…«
»Das ist mir völlig egal!« fiel Elisa ihm ins Wort. »Wenn die schon Gäste aufnehmen, dann müssen sie auch dafür sorgen, daß diese sich wohlfühlen.«
»Du, meine liebe Elisa, würdest dich nirgends wohl fühlen, wo nicht jeder nach deiner Pfeife tanzt.« Holger schwieg einen Moment. »Soll ich ehrlich sein? Ich bin froh, daß es auf diesem Bauernhof einmal nicht nach deinem bezaubernden Köpfchen geht. Auf diese Weise wirst du nämlich lernen, daß auch du durchaus in der Lage bist, dich unterzuordnen.«
Sekundenlang war Elisa sprachlos, und das kam bei ihr nicht allzu häufig vor.
»Und du willst mein Bruder sein!« schleuderte sie Holger wütend entgegen, als sie die Sprache endlich wiedergefunden hatte, dann legte sie einfach auf. Noch immer aufgebracht, verließ sie die Telefonzelle und sah sich suchend um. Nicht einmal ein Taxi gab es in diesem Kaff!
Vorhin, in dem Bedürfnis, rasch wieder nach Hause zu kommen, war sie den weiten Weg vom Gröber-Hof nach Steinhausen zu Fuß gegangen, doch der Gedanke an den ebenso weiten Rückweg verursachte ihr regelrecht Übelkeit.
»Grüß Gott, Fräulein Bogumil.«
Erschrocken darüber, daß sie so unerwartet angesprochen worden war, fuhr Elisa herum und sah sich einem großen, schlanken Mann gegenüber, dessen widerspenstiges, schwarzes Haar sich nach allen Seiten drehte. Er war noch sehr jung, und sein Gesicht hatte etwas Lausbubenhaftes.
»Sie wissen nicht, wer ich bin, habe ich recht?« fragte er und riß Elisa damit aus ihrer Betrachtung.
»Stimmt. Im Augenblick weiß ich wirklich nicht…«
»Thomas Gröber ist mein Name«, stellte sich der junge Mann vor. »Wir haben uns kurz gesehen, als ich gestern abend Ihre Koffer noch aufs Zimmer gebracht habe.«
Elisa nickte nur, weil sie nicht zugeben wollte, daß sie gestern vor lauter Wut auf überhaupt nichts mehr geachtet hatte – inbesondere nicht auf die einzelnen Familienmitglieder der Gröbers. Ihr Zorn war auch jetzt noch nicht ganz verraucht, trotzdem mußte sie sich eingestehen, daß dieser Thomas ein sehr gutaussehender Mann war. Mit seinem schwarzen Haar und den dunklen Augen wirkte er irgendwie fast südländisch.
»Stammen Sie eigentlich von hier?« fragte Elisa aus diesem Gedanken heraus.
Thomas war sichtlich erstaunt. »Ja, warum?«
Da zuckte Elisa die Schultern. »Na ja, wenn ich Sie irgendwo anders gesehen hätte, dann hätte ich Sie vermutlich für einen Italiener gehalten.«
»Ach so.« Thomas lachte. »Da liegen Sie gar nicht so falsch, Fräulein Bogumil. Meine Urgroßmutter stammte nämlich aus Sizilien und hat ihr südländisches Aussehen schon über Generationen weitervererbt.«
Mit einem neckischen Augenzwinkern sah Elisa ihn an. »Vielleicht auch das Temperament?«
»Kann schon sein«, grinste Thomas, dann wies er nach hinten. »Da steht mein Auto. Besser gesagt, das meines älteren Bruders. Soll ich Sie mit zum Gröber-Hof nehmen, oder haben Sie hier unten noch was zu besorgen?«
Elisa seufzte. »Viel zu besorgen wird es hier nicht geben. Soweit ich es bis jetzt überblicken kann, ist dieses Steinhausen doch ein ziemliches Bauerndorf.«
»Sagen Sie das nicht«, entgegnete Thomas. »Immerhin haben wir hier einen Supermarkt.« Er grinste lausbubenhaft. »Wenn Sie aber die interessantesten Neuigkeiten erfahren wollen, dann gehen Sie lieber in den Gemischtwarenladen von Amelie Hauser. Die ist so was wie das wandelnde Tageblatt von Steinhausen – nur kostenlos.«
Elisa mußte lachen, und im selben Moment stand Thomas’ Herz in Flammen. Was für eine wunderschöne Frau diese Elisa doch war! Vor allem, wenn sie so zauberhaft lach-
te!
Natürlich bemerkte Elisa den schwärmerischen Blick, mit dem Thomas sie anschaute, und sie beschloß, sich auf diesen Flirt ruhig einzulassen. Schließlich sollte der Aufenthalt hier wenigstens eine angenehme Seite bekommen.
*
Thomas Gröber hatte das Gefühl, als sei er noch nie im Leben so glücklich gewesen wie jetzt. Die unverhoffte Begegnung unten in Steinhausen hatte die Liebe in sein Herz ziehen lassen – eine Liebe, so groß und gewaltig, wie er sie niemals für möglich gehalten hätte.
Thomas ließ seinen Blick über die Berge wandern, die ihn umgaben, während vor seinem geistigen Auge ein völlig anderes Bild stand – das Bild einer wunderschönen jungen Frau.
»Elisa«,