Dr. Brinkmeier Classic 8 – Arztroman. Sissi Merz
zu betreuen. Und jetzt nimmt er es dir übel, daß du dich engagierst. Ich glaube, du hast recht, der ist wirklich ein schwieriger Mensch. Wenn ich ehrlich sein soll, möchte ich nicht mit dem auskommen müssen.«
»Halb so wild. Mit ein wenig Geduld wird das schon gehen.«
Anna schenkte Max ein Lächeln. »Du schaffst wohl alles, was du dir vornimmst, was?«
»Leider net alles.« Er erwiderte ihr Lächeln nur angedeutet.
Da ahnte die junge Frau, was dem Landarzt durch den Sinn ging. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ließ anklingen: »Manchmal muß man sich damit abfinden, daß was net geht. Auch wenn man sich noch so sehr danach sehnt oder es sich wünscht. Mein Vater hat mal zu mir gesagt, daß es eine Kunst ist, einen Menschen ein Leben lang mit Liebe festzuhalten. Die größere Kunst aber ist es, im richtigen Moment loslassen zu können. Verstehst?«
»Ich denke schon. Und ich kann deinem Vater in dem Punkt net widersprechen.« Max schwieg eine Weile nachdenklich, Anna trank einen Schluck Wein und merkte schließlich an: »Ich will mich nicht in dein Privatleben mischen, Max. Du weißt, wie ich zu dir steh. Ich mag dich, und ich schätze unsere Freundschaft. Aber ich seh auch, daß du unglücklich bist. Als die Julia über Weihnachten in Wildenberg gewesen ist, hab’ ich erfahren, wie tief eure Gefühle gehen. Und ich finde, wenn man sich wirklich und aufrichtig liebt, dann sollte alles andere unwichtig werden. Ist man allerdings nicht in der Lage, die Liebe absolut zu setzen, nun, dann ist sie vielleicht nicht viel wert.«
»Du meinst, die Julia sollte hierherkommen, Afrika aufgeben, so wie ich es getan habe?«
Die junge Apothekerin nickte spontan. »Alles andere wäre doch auf die Dauer unfair. Sie bindet dich an sich, aber sie ist net gewillt, eure Liebe zu leben. Ist das denn recht?«
»So leicht läßt sich darüber nicht urteilen, fürchte ich. Schau, Anna, für die Julia und mich war von Anfang an klar, daß die Arbeit an erster Stelle steht. Wenn ich mich damals entschlossen hätte, in die Praxis vom Vater einzusteigen, dann wäre sie ohne mich nach Ruanda geflogen, das weiß ich.«
»Das kann ich nicht glauben!« Anna schüttelte leicht den Kopf. »Aber das ist doch... ganz falsch!«
»Für dich vielleicht, weil du eine andere Einstellung hast. Die Julia ist Ärztin mit Leib und Seele. Ich glaube, daß unsere Beziehung deshalb auch so gut funktioniert hat, weil wir uns so ähnlich sind.«
»Willst damit sagen, du könntest keine Frau lieben, die in dem Punkt anders denkt?«
»Das hab’ ich nicht behauptet. Ich versuche nur, dir klar zu machen, warum das eben eine große Liebe ist zwischen der Julia und mir. Und daß daran nichts etwas ändern kann, keine Entfernung, keine Trennung. Verstehst mich?«
»Ich fürchte, ja.« Anna erhob sich. »Dann geh ich jetzt wohl besser heim. Ich hab’ einiges zu verdauen.«
»Es tut mir leid, wenn ich dir Kummer gemacht habe, das war nicht meine Absicht. Aber du hast selbst gesagt, unsere Freundschaft ist was Besonderes, sie bedeutet uns beiden viel. Und ich schätze es, daß wir so offen zueinander sein können.«
»Ist schon recht. Dann auf ein andermal.« Anna Stadler verließ das Doktorhaus mit einem Gefühl der Enttäuschung und Niedergeschlagenheit. Sie war an diesem Abend wohl ein Stück näher an die Wahrheit über Julia und Max herangekommen. Doch diese Erkenntnis, die gefiel ihr ganz und gar nicht, machte sie der jungen Apothekerin doch deutlich, wie vergeblich ihr heimliches Sehnen bleiben mußte. Bedachte man die Tiefe der Gefühle, die Innigkeit, den Gleichklang, mit der Julia und Max aneinander hingen, dann gab es da wohl wenig Platz für Anna.
*
»Walter, bist du da?« Lilli Mannstedt schaute in die Dunkelkammer, doch ihr Mann hielt sich nicht dort auf. Auch im Atelier hatte sie ihn nicht finden können. Die junge Frau seufzte unglücklich auf. Wo mochte ihr Mann sein? Er hatte ihr versprochen, den Laden nicht zu verlassen. Und wieder einmal schien er sein Wort gebrochen, oder noch schlimmer einfach vergessen zu haben. Die Fotografin, die seit einem Jahr zusammen mit ihrem Mann das kleine Atelier im Münchner Stadtteil Haidhausen betrieb, kehrte unverrichteter Dinge in die Wohnung über dem Laden zurück. Es fiel Lilli ein wenig schwer, die Treppe zu nehmen. Sie war im siebten Monat schwanger und hatte mit diversen Beschwerden zu kämpfen. Als sie am Dielenspiegel vorbeikam, erschrak sie über ihren eigenen Anblick.
Lilli Mannstedt war eine schöne junge Frau mit einem ebenmäßigen Gesicht, halblangem hellbraunem Haar und tiefblauen Augen. Doch in den vergangenen Monaten hatte der Kummer ihr sehr zugesetzt. Sie war blaß, unter ihren Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Mit der Schwangerschaft hatte sie mehr Gewicht zugelegt als nötig gewesen wäre. In dem einfachen Hängerkleid fand sie sich unförmig und häßlich. Es mochte auch daran liegen, daß Walter sie so distanziert und abschätzig behandelte, seit sie runder geworden war. Dabei hatte er sich Kinder gewünscht. Lilli dachte an die erste Zeit ihrer Ehe zurück. Damals waren sie noch glücklich miteinander gewesen. Der Plan, gemeinsam einen kleinen Laden zu eröffnen, sich selbständig zu machen, hatte Walter beflügelt. Doch auch bereits zu diesem Zeitpunkt hatten sich erste Risse in ihrem Traum vom Glück gezeigt.
Walter Mannstedt war kein treuer Mann. Er hatte Lilli mit Phantasie und Ausdauer umworben, sie eine Weile auf Händen getragen und scheinbar nur für sie gelebt. Aber irgendwann hatte er das Interesse verloren. Er hatte angefangen, sich nach anderen Frauen umzudrehen. Und Lilli vermutete, daß er kurze Affären gehabt hatte. Sie war zunächst blind gewesen für die allzu deutlichen Anzeichen. Und als sie die Wahrheit nicht mehr übersehen konnte, hatte sie dennoch die Augen davor geschlossen. Sie wollte Walter nicht verlieren, redete sich ein, ihn zu lieben. Und sie wartete sehnsüchtig darauf, daß seine Gefühle für sie wieder so wurden wie zu Beginn ihrer Ehe.
Als Lilli schwanger geworden war, hatte sie aufgeatmet. Nun würde alles gut werden, sagte sie sich mit naiver Hoffnung. Und tatsächlich hatte sich ihre Ehe wieder gebessert.
Walter war mehr zu Hause, er kümmerte sich um seine Frau und schaute eine Weile keine andere an. Allerdings dauerte dieser Zustand nicht allzu lang. Und nun war es wieder das alte Lied; ihr Mann
war auf Abwegen, das ahnte Lilli. Und sie war viel unglücklicher, fühlte sich viel hilfloser als jemals zuvor.
Als sich unten die Ladenklingel meldete, verließ die junge Frau die Wohnung. Sie dachte an einen Kunden, doch es war ihr Mann, der da kam. Er beachtete sie nicht, verschwand ohne ein Wort in der Dunkelkammer. Wenig später betrat Regina Kampe das Fotoatelier. Regina machte bei den Mannstedts eine Ausbildung zur Fotolaborantin. Lilli hatte das junge Mädchen von Anfang an nicht gemocht. Regina war sehr selbstbewußt. Und sie schien auf die Frau des Chefs, wie sie Lilli nannte, herabzublicken. Das war ein deutliches Zeichen. Lilli ahnte, was vorging. Und die Situation erschien ihr zunehmend unerträglich.
Ohne die Auszubildende zu beachten, folgte sie ihrem Mann. Walter arbeitete an einigen Abzügen, die am Morgen bestellt worden waren. Er warf Lilli einen knappen Blick zu und fragte auf die gleiche Weise: »Stimmt was nicht? Geht es dir schlecht?«
»Ja, es geht mir schlecht. Aber das hat nichts mit der Schwangerschaft zu tun«, erwiderte sie bestimmt. »Ich möchte, daß du Regina entläßt. Sie hat ihre Lehre fast beendet. Wir können uns in der momentanen Situation keine Angestellte leisten.« Sie drehte sich um und wollte gehen, als sie ihren Mann sagen hörte: »Das kommt nicht in Frage. Regina ist fleißig und anstellig. Ich habe keinen Grund, ihr zu kündigen. Und ich habe auch keine Lust, auf all deine Launen einzugehen. Du bist nicht die erste Frau, die ein Baby erwartet.«
»Sie ist also anstellig, aha.«
»Lilli, ich warne dich, fang jetzt keinen Streit an. Ich habe zu arbeiten, also laß mich bitte in Ruhe!«
»Ich will dir mal was sagen, Walter, ich lasse dich gerne in Ruhe. Und zwar total. Ich habe es nämlich satt, mich hier behandeln zu lassen wie ein Eindringling. Und das freche Grinsen dieses Mädchens mag ich mir auch nicht länger anschauen.«
»Was willst du damit sagen? Wirfst du sie selbst raus? Von mir aus, solange ich mir dir Finger nicht schmutzig machen muß...«
»Ich