Der neue Sonnenwinkel Box 6 – Familienroman. Michaela Dornberg
Angela reichte ihr die Schokolade, und plötzlich hatte auch Tim es eilig, die Küche wieder zu verlassen. Er traute seiner großen Schwester nicht.
Maren und Tim hingen sehr aneinander, besonders, seit das mit ihrer Mutter passiert war. Aber sie waren Geschwister, da gab es immer Rivalitäten, besonders, wenn da eine sehr dominante große Schwester war. Aber um die beiden musste man sich keine Sorgen machen, sie waren ganz wunderbare Kinder und für die Damen von Bergen auf jeden Fall eine große Bereicherung.
Angela beeilte sich mit dem Kakao, und als sie den in das schöne Wohnzimmer brachte, stand auf dem Tablett auch noch eine Schale mit Keksen, von denen sie wusste, dass die beiden die sehr mochten.
Nachdem sie ihren Kakao genossen hatten, natürlich auch die Kekse, und von der Schokolade war außer dem Papier längst nichts mehr zu sehen, sagte Maren: »Wir haben euch aus Ägypten auch etwas mitgebracht.«
Sie griff in ihre Tasche und holte für Sophia einen kleinen Skarabäus hervor, aus weißem Alabaster.
Tim schenkte Angela ebenfalls so einen kleinen Mistkäfer, den man in Ägypten an jeder Ecke fand, allerdings war der türkis, und natürlich hatte Maren dazu sofort etwas zu sagen: »Angela, Tim war nicht davon abzubringen, den zu kaufen, obwohl es kein echter Türkis ist, er ist nur angemalt.«
Tim hätte beinahe angefangen zu weinen, das allerdings verhinderte Angela, indem sie sagte: »Es ist aber genau richtig für mich, türkis ist zufällig eine meiner Lieblingsfarben, und ich hatte schon mal einen türkisen Skarabäus, doch der hat sich scheinbar in Luft aufgelöst, danke, dass ich jetzt einen neuen habe.«
Tim begann zu strahlen, warf seiner Schwester einen triumphierenden Blick zu, und die war sauer, jetzt keine Punktlandung erreicht zu haben.
Es war schnell vergessen, weil es sehr viel zu erzählen gab, und so wurde es für alle so richtig schön. Gewiss wäre es so weitergegangen, wenn Marens Handy nicht geklingelt hätte. Ihr Vater wollte, dass sie nach Hause kamen.
»Schade, ich komme morgen wieder«, rief Tim, umarmte Angela und Sophia.
»Ihr habt uns wirklich gefehlt«, sagte Maren, und dann umarmte auch sie die beiden Damen, doch sie tat es anders herum. Sie fing bei Sophia an, dann kam Angela. Und die begleitete ihre Besucher noch zur Tür, winkte, bis von den beiden nichts mehr zu sehen war.
»Sie sind so wonnig«, strahlte Sophia, als ihre Tochter wieder ins Wohnzimmer kam, »jetzt erst merke ich, wie sehr sie mir gefehlt haben. Und ist es nicht rührend? Sie haben an uns gedacht und uns sogar etwas mitgebracht.«
Sie sprachen über Maren und Tim, und Angela atmete insgeheim auf.
Das mit dem verloren gegangenen Job interessierte ihre Mutter nicht mehr. Vorerst nicht. Wie sie ihre beharrliche Mutter kannte, würde sie darauf zurückkommen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber sie liebte sie über alles, ihre Mama, und Angela bedauerte nicht einen Augenblick lang, dass sie für ihre Mutter ihr altes Leben aufgegeben hatte.
An ihren Exmann dachte sie nicht einmal mehr, und sie war so unglaublich froh, dass sie auf Teresa von Roth gehört und ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte. Angela von Bergen, das klang viel, viel schöner als Angela Halbach, doch darum war es ihr nicht gegangen. Es war für sie nur unerträglich gewesen, den Namen eines Mannes zu tragen, der ihre Mutter eiskalt in ein Heim gesteckt hätte und der grausam darauf bestanden hatte, dass der seinerzeit abgeschlossene Ehevertrag Punkt für Punkt umgesetzt wurde. Obwohl sie für diesen Mann alles getan hatte, war ihr aus dieser Ehe nicht ein einziger Cent geblieben.
Es war vorbei!
Alles war gut, wie es war!
Es gab Sprüche, die sich immer wieder bewahrheiteten, sie glaubte an »Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.«
Das hatte sich für sie mehr als nur einmal erfüllt, sie glaubte daran, und auch an »Wenn eine Tür sich schließt, tut sich eine andere auf.«
Oben auf dem Anwesen bei Mathias von Hilgenberg hatte sie den Traumjob schlechthin gehabt, sie war Eventmanagerin gewesen für einen exklusiven Personenkreis. Sie hatte es genossen, doch sie wusste, dass das jetzt nicht das Ende war. Sie fühlte es, es würde noch mehr kommen, etwas, was das gerade übertraf.
Ob sich ihr Traum erfüllen würde, doch noch einen Partner zu finden, jemandem, der so tickte wie sie, für den eine Verbindung ein gegenseitiges Geben und Nehmen war, jemanden, mit dem sie sich blind verstand, jemanden, dem klar sein musste, dass sie mit ihrer Mutter im Gepäck reiste, denn ohne die würde sie niemals mehr etwas tun. Sie war sehr verwundbar geworden, und auch wenn es ihr Wunsch war, wusste sie wohl, dass der sich vermutlich nicht erfüllen würde.
Das Leben ging weiter.
Sie konnte dankbar sein, besonders dafür, dass es ihrer Mama wieder so gut ging, dass sie sich allein unterwegs mit einem Rollator, daheim mit einem Stock oder sogar ohne eine Gehhilfe bewegen konnte.
Das Leben war schön!
Und sie würde das bekommen, was das Schicksal für sie bereit hielt …
*
Nicki fand in ihrer Post eine Ansichtskarte von der Tempelanlage von Carnac, und spätestens seit dem Zeitpunkt wusste sie, dass Peter und die Kinder wieder daheim waren. Sie mussten vor der Postkarte angekommen sein.
Was hatte das zu bedeuten?
Nicki wusste es nicht, eigentlich konnte sie augenblicklich eh keinen klaren Gedanken fassen. Seit Mathias bei ihr gewesen war, hatte sich alles geändert. Sie hatte sehr über ihr Leben nachgedacht, und damit war sie längst noch nicht fertig.
Sie hatte einen Gedanken gefasst, mit dem sie sich immer mehr beschäftigte, doch da er für sie so ungeheuerlich war, traute sie sich nicht, laut darüber nachzudenken, schon gar nicht, mit jemandem darüber zu sprechen. Nicht einmal mit ihrer Freundin Roberta, und das hatte schon etwas zu bedeuten, denn mit der sprach sie eigentlich über alles.
Doch ehe sie sich wirklich aufraffte, musste sie Klarheit in ihr Leben bringen, Tabula rasa machen.
Und so etwas war verdammt schwer! Besonders, wenn man ja nicht einmal wusste, was man wirklich wollte.
Sie betrachtete die Karte, las die liebevollen Worte, und sie zuckte zusammen, als ihr Handy klingelte.
Die Anruferin war Maren, an die sie gerade erst noch gedacht hatte. Wenn das keine Gedankenübertragung war.
Sie meldete sich und versuchte, ihrer Stimme einen munteren Klang zu geben.
»Maren, wie schön, dass du anrufst, ich habe gerade deine wunderschöne Ansichtskarte aus Ägypten aus meinem Briefkasten geholt. Vielen Dank dafür.«
Maren ging darauf nicht ein, sie hatte offensichtlich überhaupt keine Lust auf einen Small Talk, und Roberta fragte sich, ob Peter mit seinen Kindern gesprochen hatte.
»Du kommst nicht mehr zu uns«, sagte Maren auch sofort, ohne auf das einzugehen, was Nicki da gesagt hatte.
Nicki schluckte.
»Wie kommst du denn darauf?« Das war eine dämliche Frage, und Nicki bereute die auch sofort, Maren war ein sehr sensibles, feinfühliges Mädchen.
Nicki bekam nicht sofort eine Antwort und erkundigte sich deswegen ein wenig angstvoll: »Maren, bist du noch da?«
»Der Papi hat schlechte Laune und ist traurig, du hast deine Sachen abgeholt, und dein Schlüssel lag bei uns im Briefkasten.«
Es stimmte, und Nicki war spätestens jetzt klar, dass es nicht sehr sensibel gewesen war, es so zu handhaben. Sie war nur nach ihrer eigenen Befindlichkeit gegangen, ohne darüber nachzudenken, was ein derartiges Handeln mit den Kindern, vielleicht auch mit Peter, machen würde.
Manchmal hatte sie wirklich das Gemüt eines Fleischerhundes!
»Maren, ich …, du …«
Sie war nicht in der Lage, einen vernünftigen Satz auf die Reihe zu bringen.