Der neue Sonnenwinkel Box 6 – Familienroman. Michaela Dornberg
liebenswert, außerdem waren die Rückerts gegen das, was deren Familie besaß, arm.
Es war so vieles falsch gelaufen in ihrem Leben, in ihrer Partnerschaft. Das war bedauerlich, ließ sich nicht rückgängig machen. Auf jeden Fall bereute sie nicht, Heinz geheiratet zu haben. Gut, es war nicht die große Liebe gewesen, aber Heinz hatte ihr Halt gegeben, er war wie ein Fels in der Brandung. Jetzt hatten sie eine so große Strecke nebeneinander, leider nicht miteinander, zurückgelegt. Heinz hatte ihr Sicherheit gegeben.
Ihr Herz klopfte.
Vielleicht war es ja auch Liebe, was sie miteinander verband, nur war es keine der romantischen Art. Die gab es ja vermutlich auch nicht in Wahrheit, sie wurde beschrieben, besungen, man erlebte Augenblicke, die waren wie Sternenstaub, der sich aber schnell verflüchtigte.
So viele Jahre warf man nicht weg …
Rosmarie begann zu zweifeln. Auch wenn es ihr schwerfiel, sie musste hart bleiben, Heinz glaubte ihr schon lange nicht mehr, weil sie immer nur drohte, nicht handelte.
Koffer und Reisetasche waren gepackt, alles waren nur praktische Sachen, die man untereinander kombinieren könnte.
Daran konnte man sehen, wie sehr sie sich verändert hatte. Auch von der Kosmetik und den sonstigen Pflegeartikeln packte sie nur wenig ein, von dem ihr noch verbliebenen Schmuck überhaupt nichts. Da reichte eine Armbanduhr, und ja, ihren Ehering, den würde sie natürlich nicht ablegen.
Sie wollte nicht fahren, um sich von Heinz zu trennen, sondern, um den Weg für eine Gemeinsamkeit zu finden.
Das Gewitter war weitergezogen, man hörte nur noch von ferne hier und da ein Gewittergrollen, auch der Regen hatte nachgelassen. Der Sturm hatte sich weitgehend gelegt.
Rosmarie schleppte ihr Gepäck hinunter, es fiel ihr schwer, und sie musste jetzt da durch, sie durfte nicht umkehren, denn dann würde sich niemals etwas ändern. Sie standen mit ihrer Ehe bereits kurz vor dem Abgrund, noch ein, zwei Schritte, und sie schlitterten hinein.
Auch wenn sie nur das Notwendigste mitgenommen hatte, waren die Gepäckstücke doch ziemlich schwer, der Koffer glitt ihr aus den Fingern, fiel krachend die Treppe hinunter.
Das Poltern hörte Heinz, er kam aus dem Fernsehzimmer, erfasste mit einem Blick die Lage. Er wurde blass, wirkte verunsichert, weil er niemals für möglich gehalten hätte, dass seine Frau ernst machte.
Rosmarie war, jetzt nur noch mit der Reisetasche in der Hand, unten angekommen. Sie standen sich gegenüber.
Heinz Rückert machte es sich in verschiedener Hinsicht einfach, doch er war nicht dumm, er besaß einen scharfen Verstand. Den brauchte man nicht einmal, um zu erkennen, dass Rosmarie gehen wollte.
Sie sahen sich an.
»Rosmarie, bitte geh nicht«, sagte er mit vor Erregung rau klingender Stimme.
So hatte er noch nie zu ihr gesprochen!
Schon wollte sie einlenken. Dann besann sie sich, hinter diesem Satz verbarg sich nichts. Er wollte nur seine Gewohnheiten nicht aufgeben, zumal in der nächsten Woche ein großes gesellschaftliches Ereignis stattfand, bei dem sie an seiner Seite sein sollte. Heinz und Rosmarie Rückert gehörten zu der Creme der Gesellschaft, und Rosmarie verstand zu repräsentieren.
Das machte ihr so schnell niemand nach.
»Heinz, ich muss gehen, denn sonst bleibt alles, wie es war, und wir fangen an, uns zu zerfleischen. Ich möchte mich wieder versöhnen, doch da musst auch du einen Schritt in meine Richtung machen. Und das muss mehr sein als das Zugeständnis, dass ich mir kaufen kann, was ich will.«
Heinz antwortete nicht sofort, man merkte, wie es in ihm arbeitete.
»Ich hätte nach Adrienne suchen müssen, ich hätte diese Liebe nicht aufgeben dürfen. Nachdem ich sie verloren hatte, habe ich alle Gefühle abgeschaltet, mich auf die Arbeit gestürzt. Als du in mein Leben kamst, da sah ich eine Chance für einen neuen Beginn, weil du nichts von mir gefordert hast, du warst mit dem zufrieden, was ich bereit war zu geben. Das war nicht viel, denn mit Adrienne waren auch meine Träume verschwunden. Rosmarie, wir hatten beide unsere Gründe, es miteinander zu wagen. Und schlecht war es doch nicht. Hättest du dich nicht so sehr verändert, dann hätte es auch weiter so laufen können. Wir haben funktioniert, und …«
Sie unterbrach ihn.
»Du sagst es, wir haben funktioniert, doch Heinz, das kann nicht alles gewesen sein. Das reicht mir nicht mehr. Ich weiß nicht, was ich wirklich will, ich weiß nicht, was kommen wird. Aber ich bin neugierig auf etwas, was neu beginnen kann. Anders. Ich möchte es auf einen Versuch ankommen lassen, und es wäre ganz wundervoll, dich dann an meiner Seite zu haben.«
Er antwortete noch nicht, man sah ihm allerdings an, wie es in ihm arbeitete.
»Heinz, wir haben so viele Jahre nebeneinander verbracht, ohne uns zu kennen. Ist es jetzt nicht an der Zeit, dass sich etwas ändert?«
Sie reichte ihm schon wieder die Hand. Es war an der Zeit, dass er sie endlich ergriff.
»Wir haben viel zu wenig miteinander geredet. Aber ich denke auch, dass es nie zu spät ist für einen Neuanfang …, ich habe mal irgendwo gelesen, dass Veränderung keine Angst machen darf, sie erfordert Mut …, ich glaube, mit dir an meiner Seite kann ich es schaffen, Rosmarie. Ich will dich wirklich nicht verlieren. Ich komme mit, nicht zu Cecile, zu der können wir später reisen, nein, nur du und ich …, aber lass mir bitte noch etwas Zeit.«
Dieser letzte Satz gab den Ausschlag. Es würde sich nichts verändern, denn für Heinz würde es tausend Gründe geben, nicht sein Büro zu verlassen.
Sie musste jetzt konsequent sein.
»Ich gebe dir Zeit bis morgen Mittag. Du hast hervorragende Mitarbeiter, die dich während deiner Abwesenheit würdig vertreten können. Denen kannst du die Vorgänge übergeben.«
»Und der Ball?«
Rosmarie winkte ab.
»Heinz, sie werden ohne uns tanzen und feiern. Ich lasse keine Ausreden mehr gelten. Wenn du es wirklich willst, dann kommst du morgen mit mir. Wir fahren einfach los und sehen, was kommt. Mit dir an meiner Seite fahre ich bis ans Ende der Welt, Heinz, und das ist nicht nur dahergesagt. Das meine ich auch so. Du machst klar Schiff in dem Notariat, ich hier im Haus. Da wir beide weg sein werden, ist es notwendig, Meta das Zepter zu übergeben. Sie wird auch auf Beauty und Missie aufpassen, da können wir ganz unbesorgt sein.«
Heinz Rückert zögerte. Man konnte ihm ansehen, wie es in ihm arbeitete. Dann gab er sich einen Ruck.
»Einverstanden, Rosmarie, machen wir es so. Aber wir nehmen auf jeden Fall meinen Wagen.«
Typisch Mann.
Rosmarie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Klar nehmen wir deinen Wagen, mein Lieber, der ist ja viel bequemer.«
Sie spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, wie sich ein Gefühl von Leichtigkeit, aber auch leiser Hoffnung in ihr ausbreitete. Damit hatte sie nicht gerechnet, sie war so überwältigt, dass sie einfach nichts sagen konnte.
Als sie die zwei Schritte auf ihn zuging, die sie voneinander trennten, wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit über in der eleganten Diele gestanden hatten, neben dem heruntergefallenen Koffer. Und so hatten sie Gespräche geführt, die, wenn sie Glück hatten, ihr Leben veränderten.
Sie umarmte ihn, und dann küsste sie ihn sehr sanft und sehr zärtlich. Dabei hatte sie Herzklopfen, war aufgeregt, als tue sie etwas Verbotenes. Dabei küsste sie doch nur ihren Ehemann.
Überrumpelte sie ihn jetzt?
Sie hatte keine Ahnung, sie hatten sich schon lange nicht mehr geküsst.
Auf jeden Fall schien es ihm zu gefallen, denn nach anfänglichem Zögern erwiderte er ihren Kuss, und das fühlte sich sehr gut an. Es war schön.
War das jetzt bereits der Beginn eines Neuanfangs?
Es