Butler Parker 175 – Kriminalroman. Günter Dönges
»Wie konnten Sie das herausfinden, Mr. Pickett?«
»Als ich zu den Fowlers kam, studierte Mrs. Elsie Fowler zusammen mit ihrer Tochter Sally den Katalog eines bekannten Versandhändlers. Wie ich weiter feststellte, hatte man bereits eine umfangreiche Bestellung angefertigt, und zwar über den Betrag von weit über zweihundert Pfund.«
»Ein Betrag, den die Familie Fowler sicher normalerweise nie für solch eine Bestellung aufwenden könnte.«
»Davon können Sie ausgehen, Mr. Parker«, bestätigte Horace Pickett, »John Fowler ist seit über einem halben Jahr arbeitslos.«
»Es ist immer wieder ein reines Vergnügen, mit ihnen zusammenzuarbeiten«, meinte Josuah Parker, »wird die Familie Fowler ungestört reisen können?«
»Das wage ich zu bezweifeln, falls man wirklich hinter ihr her ist, Mr. Parker. Deshalb habe ich ja auch angerufen und Sie hierher gebeten. Wenn Sie es wünschen, können wir die Familie Fowler nach Chigwell begleiten.«
»Was der Fall sein wird.« Parker nickte andeutungsweise, »diese Nacht gehört der Familie Fowler. Sie wird einen Wagen benutzen?«
»Einen uralten Ford, der fast auseinander fällt, Mr. Parker. Schnell ist der Wagen auf keinen Fall.«
»Dann sollte man sofort und umgehend die Startposition einnehmen«, schlug Josuah Parker vor, »Sie stehen mit Ihren Freunden in direkter Verbindung?«
»Wir benutzen die kleinen Funksprechgeräte, die Sie mir zur Verfügung gestellt haben, Mr. Parker.«
»Die Technik kann unter Umständen durchaus segensreich sein«, stellte Josuah Parker fest, »meiner bescheidenen Einschätzung nach befindet man sich jetzt in der Nähe der Fowler-Wohnung?«
»Die Fowlers wohnen in der übernächsten Straße«, lautete Picketts Antwort, »weg können sie noch nicht sein, sonst hätten meine Freunde sich bereits über Funk gemel...«
Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn das kleine Funksprechgerät in seiner Ziertuchtasche gab einen feinen Piepton von sich. Pickett zog das Gerät hervor und nahm Kontakt mit seinen Freunden auf. Parker wie Pickett erfuhren, daß die Fowlers gerade dabei waren, den Ford mit Koffern zu beladen.
»Man sollte sich das aus einer gewissen Entfernung ansehen«, meinte Josuah Parker, »möglicherweise benötigen die Reisenden Hilfe, die man dann fast rein zufällig anbieten könnte.«
*
Josuah Parker stand in einem Torweg und beobachtete die Familie Fowler. John, untersetzt und stämmig, belud den Dachgepäckträger eines wirklich uralten Ford und zeigte dabei erstaunliche Körperkräfte. Er wuchtete gerade einen fast übergroßen Koffer auf den Wagen und ließ dabei die Muskeln spielen.
Frau Elsie packte Oberbetten in den Kofferraum und stopfte Handtaschen und Kartons dazu. Elsie Fowler war rundlich und einen Kopf größer als ihr Mann.
Beide Elternteile arbeiteten schnell und schweigsam. Ihnen schien sehr daran gelegen zu sein, während der Verladearbeiten nicht gehört und damit gesehen zu werden.
Sally Fowler war dünn, aufgeschossen und schlaksig. Sie sah älter aus, als sie war, hockte auf einer niedrigen Mauer vor dem schmalen Reihenhaus und aß etwas Undefinierbares aus einer Papiertüte. Wahrscheinlich handelte es sich um Fisch und Chips.
»Weit und breit nichts von Gangstern zu sehen«, ließ Horace Pickett sich vernehmen. Er stand seitlich hinter Parker und beobachtete die Straße.
»Ein Umstand, der sich bald ändern wird«, meinte Josuah Parker, »möglicherweise will man die Familie auch erst ein Stück des Weges hinter sich bringen lassen.«
»Um sie dann auf einsamer Landstraße abzufangen?«
»Dies wollte meine Wenigkeit damit ausgedrückt haben«, bestätigte der Butler höflich. Er hatte seine Gabelschleuder aus einer der Innentaschen seines schwarzen Covercoats hervorgeholt und prüfte die Spannung der beiden Gummistränge. Er bevorzugte diese seltsame Waffe, wie sie in der Urform noch immer von Jungen gebaut und verwendet wird. Mit dem Katapult war er in der Lage, eigens dafür hergestellte Geschosse über erstaunlich weite Distanzen zu befördern, und zwar fast völlig geräuschlos.
»Ein Wagen«, meldete Horace Pickett überflüssigerweise, denn Josuah Parker hatte das Gefährt längst ausgemacht. Es handelte sich um einen VW-Golf, der langsam die Straße herunterkam und sich dem Ford der Familie Fowler näherte. Auch die Fowlers waren aufmerksam geworden und drückten sich schutzsuchend gegen ihren Wagen. Sally Fowler hingegen war aufgestanden und überhörte die leisen, warnenden Zurufe ihrer Eltern. Sie kam neugierig an den Straßenrand und beobachtete den näher kommenden Wagen. Dann aber riß John Fowler offenbar die Geduld. Er sprang aus der Deckung vor, ergriff den rechten Arm seiner Tochter und zerrte sie an den Ford heran.
Der VW-Golf passierte den Wagen der Fowlers, doch nichts geschah. Der Wagen rollte langsam weiter die Fahrbahn hinunter und verschwand in einer Seitenstraße.
»Ein Beobachter, Mr. Parker?« fragte Pickett leise und mißtrauisch.
»Solch eine Möglichkeit sollte man durchaus in Betracht ziehen«, gab der Butler ruhig zurück, »bei dieser Gelegenheit möchte ich übrigens bemerken, daß man meiner bescheidenen Ansicht nach nicht beabsichtigt, Sally Fowler zu erschießen.«
»Es wurde doch bereits auf sie geschossen, Mr. Parker.«
»Es muß sich um Einschüchterungsversuche handeln«, redete der Butler gemessen weiter, »Sally Fowler dürfte im Besitz eines gewissen Geheimnisses sein, das nach ihrem Tod automatisch bekannt werden könnte.«
»Und wenn man sie nur als Augenzeugin umbringen will, Mr. Parker? Dann geht Ihre Rechnung aber nicht auf.«
»Falls ihr Tod geplant war, Mr. Pickett, wäre sie bereits tot«, sagte Josuah Parker, »die Fälscher verfügen über Killer, wie meine Wenigkeit bereits zur Kenntnis nehmen konnte. Solch ein berufsmäßiger Mörder verfehlt sein Opfer nur in den seltensten Fällen.«
»So habe ich das noch gar nicht gesehen.« Pickett nickte.
»Solch eine Deutung bietet sich an, Mr. Pickett«, redete Parker weiter, »es handelt sich allerdings um eine Hypothese, wie ich bemerken möchte.«
»Der VW-Golf kommt noch mal zurück«, meldete Horace Pickett. »Sehen Sie doch, Mr. Parker, das kann kein Zufall sein.«
»Mit weiteren ungezielten Schüssen dürfte innerhalb der nächsten Sekunden fest zu rechnen sein«, antwortete der Butler, »man könnte natürlich auch eine Entführung der kleinen Sally Fowler planen.«
Josuah Parker legte eine hart gebrannte Tonmurmel in die Lederschlaufe seiner Gabelschleuder und machte sich somit schußbereit. Er brauchte nicht lange zu warten, bis er das erste Spezialgeschoß durch die Luft schwirren ließ.
*
Der Beifahrer sprang aus dem VW-Golf und lief zu dem uralten Ford. Parker sah deutlich, daß dieser Mann eine Schußwaffe in der Hand hielt. Die beiden Fowler hatten sich dicht an ihren Wagen gedrängt, während Sally ins Haus zurücklief.
Der Fahrer des VW-Golf drückte sich aus seinem Wagen und rannte hinter Sally Fowler her. Auch er trug eine Schußwaffe und rief Sally etwas nach, was der Butler jedoch nicht verstand.
Parker hatte die beiden Gummistränge weit zurückgezogen und visierte den Verfolger der kleinen Sally kurz an. Dann ließ er die Lederschlaufe los und beobachtete die Landung der hartgebrannten Tonmurmel.
Sie traf genau ihr Ziel und setzte sich auf den Hinterkopf des Verfolgers, der daraufhin einen mißglückten Salto vorwärts machte. Es blieb bei dem Versuch, der Mann klatschte satt auf die Gehwegplatten vor dem Haus und verlor dabei seine Schußwaffe.
Der Beifahrer rannte um den uralten Ford herum und wollte sich mit John und Elsie Fowler befassen. Er hatte noch nicht mitbekommen, daß sein Partner indisponiert war.
Josuah Parker schickte das nächste Geschoß auf die Reise.