Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 3 – Familienroman. Michaela Dornberg
irgendwie gehetzt wirkende Frau, die man leicht übersehen konnte.
»Ich bin Inge Auerbach«, sagte Inge, »ich bin die Mutter Ihrer Vermieterin, an die Sie sich wenden können, wenn mit dem Haus etwas nicht in Ordnung sein sollte. Ich glaube, meine Telefonnummer hat man Ihnen bereits gegeben.«
Gerda nickte.
»Und nun bin ich gekommen, um Sie herzlich willkommen zu heißen, und weil das so üblich ist, bringe ich Ihnen Salz und Brot.«
Sie reichte Gerda den hübsch verpackten Korb. Gerda nahm ihn zögernd entgegen. »Danke.«
Wie sollte sie sich jetzt verhalten?
Diese Frau Auerbach machte einen netten Eindruck, erwartete sie jetzt mehr? Wahrscheinlich, denn sonst würde sie gehen. Sie hatte sich doch bedankt.
Inge zögerte.
»Wollen Sie …, äh …, wollen Sie einen Moment hereinkommen?«, erkundigte Gerda sich schließlich. Insgeheim wünschte sie sich, Frau Auerbach möge es ablehnen. Das tat sie leider nicht, im Gegenteil, sie sagte: »Gern.«
Was blieb Gerda also übrig, als beiseite zu treten und Inge an sich vorbei zu lassen.
Gerda führte ihre Besucherin ins Wohnzimmer, dabei hielt sich das Gastgeschenk so ungelenk auf dem Arm, als wisse sie nicht, wohin damit.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Am ganzen Verhalten von Frau Schulz spürte Inge, dass sie nicht gern gesehen war. Sie hätte die Einladung ablehnen müssen, doch nun war sie halt hier. Aber große Umstände wollte Inge Frau Schulz nicht machen, und sie würde sich auch nicht lange aufhalten. Sie hätte nicht herkommen dürfen, das war gewaltig nach hinten losgegangen.
»Machen Sie sich bitte keine Umstände«, sagte Inge, doch Frau Schulz bestand darauf, etwas anbieten zu wollen, und so sagte Inge: »Ein Wasser vielleicht.«
Gerda Schulz verschwand mit ihrem Korb in der Küche, und Inge sah sich um. Die wenigen Möbel, die im Raum standen, waren hübsch. Aber alles wirkte nur so hingestellt, es gab keine Bilder an den Wänden, nichts, was einen Raum gemütlich machte. Im Grunde genommen sah es so aus, wie ein Raum, in den man gerade einziehen oder aber ausziehen wollte. Es war unpersönlich.
Bemerkte Gerda, die gerade mit Gläsern und Wasser zurückkam, Inges Blick?
»Wir sind noch lange nicht fertig«, entschuldigte sie sich. »Gerade mal das Zimmer meiner Tochter haben wir geschafft … Möchten Sie es sich einmal ansehen?«
»Ja, gern«, bestätigte Inge. Viel Lust hatte sie nicht, aber sie wurde irgendwie das Gefühl nicht los, dass es für Gerda Schulz wichtig war.
Gemeinsam gingen sie hinauf ins Obergeschoss, und an den offenen Türen konnte Inge sehen, dass die meisten Zimmer nicht möbliert waren. Da konnte man sich wirklich die Frage stellen, warum diese Frau für sich und ihre Tochter nicht nur eine Wohnung gemietet hatte statt ein ganzes Haus. Eine Wohnung wäre völlig ausreichend gewesen.
»Da sind wir«, sagte Gerda in ihre Gedanken hinein und wies stolz auf ein Zimmer. Inge erinnerte sich, dass es früher das Schlafzimmer von Ricky und Fabian gewesen war. Ohne eine grosse Erwartungshaltung trat Inge in den Raum und blieb verblüfft stehen.
Das war ja unglaublich!
Ein so schönes Zimmer hatte sie wirklich noch nie zuvor gesehen, und das sagte sie auch.
Gerda wurde rot vor Freude.
»Meine Leonie wusste genau, was sie wollte. Und mit diesem Zimmer hatten wir unglaubliches Glück. Es gibt es nur dieses eine Mal, eine Produktion hat sich nicht gelohnt. Die Nachfrage war nicht da, außerdem sind die Kosten zu hoch.«
Inge hatte nicht sehr viel Ahnung von den Preisen der Möbel, die heutzutage auf dem Markt waren. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die alle paar Jahre etwas Neues haben mussten, sondern liebte ihre gewohnte Umgebung. Doch von Design und Qualität hatte sie eine Ahnung, und das hier war gut und teuer!
»Da hat sich Ihre Tochter wirklich etwas ganz Besonderes ausgesucht. So etwas sind Möbel, die später einmal Antiquitäten werden. Danke, Frau Schulz, dass Sie mir das Zimmer Ihrer Tochter gezeigt haben, es …«
Inge brach ihren Satz ab, weil etwas Schwarzes blitzschnell an ihr vorbeihuschte, mit einem eleganten Satz auf das Bett sprang.
»Haben Sie eine Katze?«, erkundigte Inge sich verblüfft. Damit hätte sie jetzt nicht gerechnet.
Zum ersten Mal huschte so etwas wie ein Lächeln um Gerdas schmalen Mund.
»Die Katze hat uns ausgesucht.«
Dann erzählte sie Inge, wie Blacky in ihr Haus gekommen war und dass sie durch Aushänge versucht hatten, den Besitzer zu finden, dass sich bislang jedoch niemand gemeldet hatte.
»Ich hatte nie ein Haustier, und meinetwegen müsste der Kater auch nicht hier sein, aber Leonie ist wie vernarrt in ihn, sie ist insgesamt völlig aus dem Häuschen, und ich habe meine Tochter noch nie zuvor in ihrem Leben so glücklich gesehen. Sie hat das Haus im Sonnenwinkel entdeckt, es hat wohl alles so sein müssen.«
»Und Sie?«, konnte Inge sich nicht verkneifen zu fragen. Bildete Inge es sich nur ein, oder verdüsterte sich das Gesicht von Frau Schuld?
Gerda Schulz zuckte die Achseln.
»Wichtig ist für mich, dass Leonie glücklich ist. Nur das zählt«, sagte sie. »Sollen wir hinuntergehen? Viel gibt es hier noch nicht, auch mein Schlafzimmer ist noch nicht fertig. Das muss ich Ihnen gar nicht erst zeigen, und ansonsten …« Sie beendete den Satz nicht, sondern machte sich daran, die Treppe wieder hinunterzugehen.
Inge folgte ihr, und sie war sehr nachdenklich. Sie liebte ihre Kinder über alles, und manchmal hatte man sie sogar damit aufgezogen, eine Übermutter zu sein. Doch was war dann diese Frau? Sie richtete ihr ganzes Leben auf ihre Tochter aus. Das war nicht normal. Man konnte seine Kinder auch mit seiner Liebe erdrücken. Und wie sollte es denn später einmal werden? Noch war diese Leonie auf ihre Mutter angewiesen. Doch irgendwann gingen Kinder ihren eigenen Weg, das war nun mal der Lauf der Dinge. Dann würde Gerda Schulz in ein tiefes Loch fallen. Doch darüber musste sie sich jetzt wirklich nicht den Kopf zerbrechen.
Als sie sich gegenübersaßen, versuchte Inge, ein Gespräch in Gang zu bringen. Das war etwas, was ihr wirklich nicht schwerfiel, weil sie ein sehr kommunikativer Mensch war. Bei Gerda Schulz hatte Inge das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. Nach dem zweiten, dritten Satz versandete das Gespräch im Sande, und es war ziemlich mühsam, wieder etwas aufzubauen und von vorne zu beginnen.
Inge trank schnell ihr Wasser aus, dann stand sie auf.
»Ich will Sie nicht länger aufhalten, Frau Schulz«, sagte sie. »Wenn Sie …, äh, wenn etwas nicht in Ordnung ist oder wenn Sie Hilfe brauchen …, da können Sie sich jederzeit gern an mich wenden. Aber auch sonst, ich meine, wenn Sie Fragen haben, wenn Sie mal Lust auf einen Kaffee haben, unser Haus steht Ihnen jederzeit offen. Und bitte glauben Sie, das ist nicht nur so dahergesagt.«
Gerda bedankte sich artig, und Inge wusste schon jetzt, dass diese Frau nichts in Anspruch nehmen würde. Gerda Schulz würde sich nur melden, wenn vielleicht mal die Heizung ausfiel oder es etwas gab, was sie selbst nicht hinbekommen würde.
Gerda begleitete sie zur Tür, und Inge hatte das Gefühl, dass sie froh war, sie losgeworden zu sein.
Die beiden Frauen verabschiedeten sich voneinander, und Inge war noch nicht einmal die erste Stufe hinuntergegangen, als Gerda auch schon die Haustür zuschlug.
Was war das nur für eine merkwürdige Frau, wobei merkwürdig vielleicht überhaupt nicht das richtige Wort war. Sie war eher gehetzt, und Angst, ja, Inge wurde das Gefühl nicht los, dass Gerda Schulz Angst hatte. Aber wovor? Hier im Sonnenwinkel konnte man sich sicher fühlen. Hier war die Welt wirklich noch in Ordnung, und in der Siedlung selbst hatte es noch nie Einbrüche gegeben. Die nächste Polizeistation war in Hohenborn. Inge war sich sicher, dass die paar Beamten, die dort Dienst machten,