Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 3 – Familienroman. Michaela Dornberg
zusammen.
»Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Ich glaube, ich ziehe mir noch eine Strickjacke an, und du kannst anfangen die Zettel zu schreiben, ja?«
Gerda war froh, für einen Augenblick den fragenden Blicken ihrer Tochter zu entrinnen.
Noch war es gut gegangen!
Sie war gerade noch an einer Katastrophe vorbeigeschrammt.
Die Kraft, einfach cool zu bleiben, würde sie nicht immer haben.
Und dann?
Daran wollte Gerda jetzt nicht denken.
Sie musste alle trüben Gedanken vertreiben und sich daran freuen, dass Leonie so glücklich war.
Und war es nicht das, was zählte?
Wegen Leonie hatte sie ihr Leben verändert, hatte alles auf sich genommen, und sie würde weiterhin alles tun, ja, das würde sie.
Hier zu leben führte bei ihr von einer Überreaktion zur nächsten, dabei war doch überhaupt noch nichts passiert.
Und es würde nichts passieren.
Doch nicht hier!
Sie holte aus ihrem Schrank eine beige Strickjacke und zog sie über. Die Farbe war nicht besonders kleidsam für sie, dadurch wirkte sie noch blasser. Aber Gerda konnte einfach nicht die Energie aufbringen, eine andere Jacke anzuziehen. Viel bringen würde alles nichts. Zum einen ging sie nicht auf einen Schönheitswettbewerb, und ihr Frieren, das konnte man nicht mit einem dicken Pelz verhindern, das kam von innen.
Sie lief zurück ins Wohnzimmer, dort saß Leonie am Tisch und schrieb mit ordentlicher Schrift: »Schwarzer Kater zugelaufen. Wenn Sie ein Tier vermissen, dann melden Sie sich bitte bei Schulz.«
Und dann schrieb sie die Adresse dazu.
Gerda lobte ihre Tochter, weil sie das so schön gemacht hatte, doch in ihrem Inneren wünschte sie sich, dass sich sehr schnell jemand meldete.
Nicht auch noch eine Katze, wirklich nicht!
*
Hinter Roberta lag eine ziemlich anstrengende Sprechstunde, manchmal war es wirklich wie verhext, da gaben sich die Problemfälle die Klinke in die Hand.
Sie war froh, es hinter sich zu haben, jetzt kam nur noch eine Frau, die unbedingt mit ihr sprechen wollte, doch da es sich dabei um die Tochter einer Patientin handelte, war Roberta bereit, mit der Frau zu reden. Roberta kannte die Tochter nicht und fragte sich, was die wohl von ihr wollte, denn ihre Mutter war erst vor zwei Tagen in der Praxis gewesen, Roberta hatte mit Hilde Hellwig alles durchgesprochen, alle Werte waren einwandfrei.
Hilde Hellwig war eine höchst sympathische Frau, sie war grauhaarig, hatte ein schmales Gesicht, wache Augen, sie war interessiert, war mittelgroß, schlank und trug dezente sportliche Kleidung.
Sie war fit, und Roberta wünschte sich, im Alter von Hilde Hellwig auch noch so gut drauf zu sein. Dass Roberta einmal bei Hilde Hellwig einen Hausbesuch machen musste, lag einzig und allein daran, dass sie vor einiger Zeit einer allgemeinen Grippewelle zum Opfer gefallen war. Aber das war längst überwunden.
Die Tür ging auf, eine junge Frau trat ziemlich forsch herein. Sie war groß, kräftig, trug ziemlich auffallende Kleidung, hatte blondierte Haare und war ziemlich geschminkt.
Das sollte die Tochter von Hilde Hellwig sein?
Roberta konnte es kaum glauben.
Die Frau kam an den Schreibtisch und sagte mit einer nicht gerade sympathisch, ein wenig hart klingenden Stimme: »Hallo, ich bin Cornelia Hellwig, danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«
Roberta bot ihr einen Platz an, sie hatte sich noch nicht von ihrer Überraschung erholt.
»Tja, als Patientin werden Sie mich wohl hier niemals sehen«, sagte Cornelia, »da bevorzuge ich einfach die Facharztpraxen in der Stadt. Dort fühle ich mich besser aufgehoben als hier auf dem Lande.«
Diese dumme Pute!
Roberta blieb ganz ruhig.
»Es ist Ihre Entscheidung«, sagte sie, »dafür haben wir ja zum Glück die freie Arztwahl in unserem Lande. Was kann ich für Sie tun?«
Sie hatte nämlich überhaupt keine Lust, sich lange mit dieser grässlichen Person aufzuhalten.
»Nun, meine Mutter Hilde Hellwig ist ja Patientin bei Ihnen, und sie ist von Ihnen vollkommen angetan, und deswegen kam ich auf die Idee, dass Sie vielleicht mal mit ihr reden sollten. Auf Sie hört meine Mutter.«
»Und worüber soll ich mit Ihrer Mutter reden?«, erkundigte Roberta sich.
»Wie Sie wissen, lebt meine Mutter allein in diesem großen Haus. Sie sollte es verkaufen, sich eine kleine Wohnung nehmen.«
Wie war diese Frau denn drauf?
»Und weswegen sollte Ihre Mutter das tun?«
»Weil sie in ihrem Alter das Haus und den Garten nicht in Ordnung halten kann.«
Da steckte etwas anderes dahinter.
»Als ich im Haus war, habe ich festgestellt, dass im Haus und auch im Garten alles ganz hervorragend in Ordnung war. Frau Hellwig, das können Sie nicht vorschieben. Wollen Sie mir nicht sagen, was wirklich dahintersteckt, warum Sie möchten, dass Ihre Mutter das Haus verkaufen soll?«
Cornelia war wütend.
Sie hatte es sich einfacher vorgestellt.
»Weil ich mir auf Mallorca eine Ferienwohnung kaufen möchte. Ich habe da ein Angebot, das man so schnell nicht wieder bekommt.«
Das verschlug Roberta beinahe den Atem. Das musste man sich mal vorstellen, und die Frau war dreist genug, um zu ihr zu kommen, um sie um Mithilfe zu bitten.
»Und weil Sie sich eine Ferienwohnung kaufen wollen, soll Ihre Mutter ihr Haus verkaufen?« Roberta bemühte sich nicht einmal, ihre Stimme freundlich klingen zu lassen.
Cornelia zuckte die Achseln.
»Na und? Ewig kann sie die Arbeit im Haus ohnehin nicht machen, und sie muss eh verkaufen, und irgendwann erbe ich eh alles, ich bin allein, habe keine Geschwister. Da kann meine Mutter jetzt verkaufen, und ich kann mir einen Herzenswunsch erfüllen. Wie sagt man doch – es ist besser, mit einer warmen Hand zu geben.«
Es wurde ja immer schlimmer.
Roberta holte tief Luft.
»Frau Hellwig, Ihre Mutter ist fit, sie fühlt sich in ihrem Haus sehr wohl. Das hat sie mir selbst gesagt, und sie wird wunderbar mit allem fertig. Außerdem hat sie Unterstützung durch eine langjährige Hausangestellte. Es besteht also wirklich kein Anlass für Ihre Mutter, etwas zu verändern. Außerdem«, Roberta machte eine kurze Pause, ehe sie fortfuhr: »wer sagt Ihnen denn, dass Sie erben werden?«
Cornelia bekam einen flackernden Blick.
»Weil ich die Tochter bin, oder …, wissen Sie etwas, was ich nicht weiß? Dann schalte ich sofort meinen Anwalt ein.« Welch grässliche Person!
»Kommen Sie herunter, ich weiß nichts, und in der Regel spreche ich mit meinen Patienten auch nicht über Erbschaftsangelegenheiten. Ich bin Ärztin, keine Rechtsanwältin. Aber Sie sollten sich mal fragen, was Sie da aus rein egoistischen Motiven verlangen. Nur um Ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, verlangen Sie von Ihrer Mutter, dass sie die Umgebung verlässt, in der sie seit Jahrzehnten lebt, in der sie sich wohlfühlt und die mit vielen schönen Erinnerungen für sie verbunden ist. Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie da von Ihrer Mutter verlangen?«
Cornelia bekam einen roten Kopf, stand abrupt auf.
»Mir ist nur bewusst, dass von Ihnen keine Hilfe zu erwarten ist, aber eine kleine Provinzärztin wie Sie kann halt nicht groß denken. Tut mir leid, dass ich hergekommen bin.«
Ohne sich zu verabschieden, rannte Cornelia Hellwig hinaus, und Roberta sah ihr wie einem bösen Traum hinterher.