Der Duft der Aprikosen. Jutta Mattausch
diesem Morgen erwachte ich von einem jammervollen Geräusch. Es drang aus dem Stall herauf. Schnell sprang ich von meinem Lager und rannte die Treppen hinab, und da lag unser Bumbu steif auf dem Rücken. Sein Bauch war aufgebläht, die Hufe stakten senkrecht in die Höhe. Api rannen dicke Tränen übers Gesicht. Es war das erste und, wenn ich mich recht erinnere, auch das letzte Mal, dass ich sie weinen sah. In diesem Moment überwältigte mich Apis Trauer sogar mehr als der Tod von Bumbu. Ich klammerte mich an ihre Goncha, und so standen wir eine Weile, bis sie mich mit einer unwirschen Bewegung von sich schob, ihre Tränen abwischte und dreimal das Mantra Om Mani Padme Hung murmelte – möge der Esel eine gute Wiedergeburt erlangen. Dann ordnete sie meinem Vater, der neben ihr stand, an: »Bring ihn zu den Geiern!«
Vater nickte und schickte die Frauen zurück ins Haus. Zu mir aber sagte er: »Du, Norbu, kommst mit uns.« Ich war überrascht, dass Vater mir erlaubte, zum Geierplatz zu kommen. Es war das erste Mal, dass ich bei diesem Ritual dabei sein durfte.
Ein paar Männer aus der Nachbarschaft banden inzwischen Bumbu Stöcke und Seile an seine schmalen Beine. Mit vereinten Kräften hievten sie ihn auf ihre Schultern und trugen ihn durch den Aprikosengarten den Hügel hinauf, wo sie den Körper auf einer offenen Steinebene ablegten. Wir standen ein Stück abseits und mussten nicht lange warten, bis die Geier herangeflogen kamen. Riesige grauweiße Vögel mit breiten Schwingen. Sie kannten diesen Ort, wussten, dass sie hier Speise finden würden, wie schon ihre Vorfahren. Bald waren ein Dutzend Geier über uns versammelt, routiniert zogen sie ihre Kreise, kreischten heiser, stürzten wie auf ein geheimes Zeichen zur Erde und schlugen die Klauen in den Körper unseres armen Bumbu, rissen mit starken Schnäbeln sein Fleisch in Stücke. Ein kalter Schauer rann meinen Rücken hinab, obwohl die Hitze des Tages sich bereits drückend über der Hochebene ausbreitete. Gern hätte ich mich, Schutz suchend, an Vater gelehnt. Doch ich nahm mich zusammen und schaute mit festem Blick diesem gruseligen Schauspiel zu. Bald wehte ein süßlicher Geruch vom Bestattungsplatz zu uns herüber. Wo eben noch unser Bumbu gelegen hatte, blieben nur ein Haufen Knochen und ein Knäuel blutdurchtränktes Fell zurück. Ich war schockiert. Wie schnell löste sich ein Lebewesen in Nichts auf. Verschwunden und unsichtbar für diese Welt. Bei Tundup gab es Probleme wegen der Schuluniform. Offiziell durften Schüler nur in der vorgeschriebenen Uniform das Klassenzimmer betreten. Weil diese Vorschrift meist an der Praxis scheiterte, tolerierten die Lehrer es, wenn die Kinder in ihrer Alltagsgoncha kamen, genauer gesagt, sie kümmerten sich überhaupt nicht um solche Vorschriften. Als jedoch Tundups Vater, der Mon-Trommler, seinen Sohn beim Dorflehrer anmeldete, erinnerte sich dieser überraschend: »Ohne Uniform darf das Kind nicht in die Schule kommen.«
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