Sturm auf Essen. Hans Marchwitza

Sturm auf Essen - Hans Marchwitza


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den befreundeten Bauern noch zu verstärken. Diese Quelle hatte er vor dem Bäcker mit keinem Wort erwähnt. Das war seine ureigene Angelegenheit ...

      Als er sich seinem Laden näherte, sah er die Kumpels, die aus der Morgenschicht gekommen waren, in kleinen Gruppen vor den Häusern hocken. Er blieb bei der nächsten Schar einen Augenblick stehen ... „Ja, wir sind also wieder zu Haus“, sagte er, „aber was trifft man hier an? Nun, man braucht es euch nicht zu erzählen. Jeder spürt es ja am eigenen Leibe.“

      „Das spürt jeder von uns, ja“, lachte der große Zermack, „nicht jeder wird heut mit Täubchen gefuttert!“ fügte er boshaft hinzu.

      „Jajajajaja ...“, seufzte der Krämer und beobachtete genau jedes Gesicht. „Und man sieht noch gar nicht, wie die Dinge weiterlaufen?“

      Es war ein behutsamer Tastversuch, aber er merkte, daß sich diese mageren, ausgedorrten Gesichter in plötzlicher Wut und in Hohn verzogen.

      „Wir hätten die Spitzbuben nicht so sanft anfassen sollen“, brummte der viereckige alte Koschewa, und er kaute heftiger an seinem Priem. „Wir hätten sie nacheinander einsperren und nicht mehr herauslassen sollen! Aber es ist noch nicht aller Tage Abend.“

      Der andere, es war der Stamm, ein ebenso harter, knochiger Mann, schwieg.

      Der Krämer fühlte diese Unterhaltung unangenehm ... „Jajajaja“, brummte auch er also, um nicht den Anschein zu erwecken, er sei einer anderen Meinung.

      „Aber es ist tatsächlich noch nicht aller Tage Abend“, wiederholte Koschewa, und an seiner gefurchten Zapfennase konnte Herr Kleinemann feststellen, daß dieser eine mit sich schon sicher nicht handeln lassen würde.

      In dieser hungrigen, immer wut- und haßerfüllten Umgebung hatte Herr Kleinemann oft dieselben Anwandlungen gehabt gegen die Herren von den Zechen; denn von denen hatte es ja immer abgehangen, ob er die vielen Schuldenlatten bezahlt bekam, oder ob diese Hungerleider gezwungen würden, weiter ankreiden zu lassen. Er glaubte, hier kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen. Und weil ihm wiederum das verlorene Geld einfiel, mußte er einmal seinem Herzen Luft verschaffen ... „Jajaja ... alles war ein verdammter Betrug, und unsereins konnte darauf hereinfallen. Man hätte mit den Gaunern wirklich anders verfahren müssen – ich hätte da an der Spitze sein dürfen ...“

      „Sei still“, brummte der Zermack und sah ihn an, „du warst ja auch einer von denen, die für den Sieg waren. Da, jetzt hängen uns allen die Fetzen vom Hintern. Und beguck dir deinen Laden ...“

      „Jajajaja ...“, grollte der Krämer, „ausgeplündert, wie leergefegt. Jaja, man hätte mit den Spitzbuben anders verfahren sollen.“

      Er ging und redete für sich in wachsender Wut: „Die Gauner, alle können getrost wieder hinterherrennen, ich werde mir künftighin erst jeden Schwindler genau ansehn ... Das werde ich bei Gott tun ... Vom Krieg her hängen noch die Kreidelatten, die werden wohl niemals mehr bezahlt werden!“

      Voller Gift betrat er seinen Laden, der ihn still und leer wie ein Grab empfing.

      Franz Kreusat ging seit einer Woche mit einer roten Armbinde und einem Gewehr auf der Straße. Er war gleich wieder ernüchtert worden und schwankte, ob er nicht einen falschen Schritt getan hätte.

      Im Arbeiter- und Soldatenrat bekämpften sich die Parteien in erbitterter Feindschaft, und auch die Wehr drohte, durch diese Gegensätze gespalten, allmählich auseinanderzurennen. Raup und Kahlstein hielten die Kumpels mit Mühe beisammen und versuchten die Lücken wieder zu stopfen. So eine Lücke mußte Franz Kreusat jetzt ausfüllen. Er fühlte sich in diesem Zwiespalt selber wie auseinandergerissen, denn außer seiner Abneigung gegen die Kasernen und die Schinder wußte er von den politischen Dingen, die sich abspielten, soviel wie gar nichts. Zum Glück war der Hermann Kahlstein da, und seine Festigkeit blieb unerschüttert. Auch die anderen Kulis, es waren ihrer noch ein halbes Dutzend, waren gute Burschen, und sie schienen zu wissen, worum es ging. Es sei vernünftig, daß er komme, sagten sie. „Die Jungen müssen die Karre wieder flottmachen. Die Alten fressen sich auf!“

      Schließlich traf er noch eine Anzahl anderer Bekannter, den Renteleit, den er vom Schacht her kannte, und den Wirrwa; beide wohnten in der neuen Zechenkolonie auf dem Salkenberg. Auch auf den großen schwarzen Zermack stieß er einmal im Arbeiter- und Soldatenrat; Zermack war vor dem Kriege sein Rutschenältester gewesen. Zermack und Raup gehörten der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei an, der sich noch verschiedene der anderen jüngeren Wehrleute angeschlossen hatten. Sie hielten enger zusammen, und sie beherrschten auch den Ton in den sehr widerspruchsvollen, ja oft stürmischen Versammlungen.

      Franz Kreusat ging öfters mit dem jungen Christian Wolny oder mit dem schweigsamen Kramm Patrouille. Christian Wolny war in seinem Alter. Sein rundes, gutes Gesicht und seine hellen Knabenaugen hatten Franz Kreusat gleich gewonnen. Vielleicht wurden sie darum so schnell Freunde, weil in beiden noch viele verborgene Wünsche und Hoffnungen träumten. Und doch waren sie im Charakter ganz verschieden; Franz Kreusat schwankte immerfort und fühlte sich an manchen Tagen düster wie eine Grubennacht; er schleppte an seinen schweren Erinnerungen wie an Bergen.

      Christian dagegen war immer leicht und unternehmend und nannte Franz „Grübler“ und „Griesgram“, wenn dieser alles schwärzer sah. „Mensch, schau doch nicht so verdrossen darein“, stieß er ihn aus seinem Grübeln, „wir werden bald neue Stürme erleben. Mensch, ich lass’ die Hoffnung nie fahren. Erst muß sich der Schlamm legen, verstehst du, damit man das Gute von dem Unrat unterscheiden kann.“

      Kramm war grober, und er neigte weniger zu Phantastereien und Träumen. Auch ihm war nie ein Stück Brot geschenkt worden. Seine Hände waren groß und schwer vom Kohleschaufeln, und sein Gesicht trug, obwohl er noch keine dreißig Jahre zählte, schon die blauen Narben der „ewigen Bergleute“. Deshalb seine Liebe für Spartakus, deshalb seine Wut, wenn die Dummköpfe auf der Wache von dem verrückten Stübel, den man merkwürdigerweise zum Wachhabenden gemacht hatte, alarmiert, mit den Maschinengewehren und Handgranaten hinaushetzten. Stübel, der sich immer – wenigstens auf der Wache – sehr radikal aufführte, hatte es verstanden, sich dieses Postens während der Verwirrung zu bemächtigen, anscheinend mit Unterstützung der „Mäßigen“ im Arbeiter- und Soldatenrat.

      Die meisten der anderen Wachleute waren gleichgültige und abgestumpfte Schlepper; auch einige kleine Geschäftsleute, durch Stübel angezogen, waren darunter. Sie drehten sich heut nach dieser und morgen nach jener Parteirichtung, wie die Ereignisse gerade für die eine oder andere günstiger erschienen. Heute verdammten sie Noske als Kaisersozialisten und am nächsten Tage die Unabhängigen als schlapp und wankelmütig, und nächstens die Spartakisten, weil diese keine Ruhe gäben. Diese Sozialisten wirkten wie vielbeinige Insekten, die sich nach allen Seiten zugleich zu bewegen versuchten. Dieser Zustand verwirrte Franz Kreusat, und wenn er nicht an den Unabhängigen einen stärkeren Halt gefunden hätte, dann hätte er das Gewehr schon am ersten Tag wieder abgegeben.

      Auch die alten „Mehrheitler“ zogen ihn nicht sonderlich an, obwohl Franz Kreusat durch sein Buch ebenfalls Mehrheitssozialist geworden war. Es waren ihrer wohl an die zehn; einige waren vom Schacht und die anderen aus den umliegenden Werken. Franz Kreusat schien es, als lebten diese Genossen nur ihren vergangenen Erfahrungen, und er hatte den Eindruck, als wären sie auf dem halben Wege, rückwärts schauend, stehengeblieben. Nur sobald es ihnen einer der Jüngeren vorhielt, dann fuhren sie wild auf: „Und ihr Grünschnäbel? Ihr rast mit eurem Wahnsinnstreiben in den offenen Abgrund! Es läßt sich nichts im Handumdrehen ändern. Auch die Politik verlangt Geduld und ruhigere Überlegung!“

      Diese „Geduld und ruhigere Überlegung“ empfanden die Jungen wie einen unbequemen Strick, an dem man sie immer zurückhielt, wenn sie sich eiliger vorwärtsbewegen wollten.

      Zwischen Raup und Tauten tobte jeden Tag der Streit. Tauten, ein rundlicher, älterer Mann mit einem Spitzbart, war Mitglied der Mehrheitssozialdemokratischen Partei und Ortsvorsitzender des Alten Bergarbeiterverbandes.

      „Ihr seid Sklaven eurer Geduld“, warf Raup Tauten vor. „Noske läßt in Berlin die Arbeiter abschlachten, ihr predigt aber noch weiter Geduld und ruhige Überlegung! Ihr überlegt euch


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