Sturm auf Essen. Hans Marchwitza

Sturm auf Essen - Hans Marchwitza


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antwortete: „Noske beordert die alten Schlächter mit dem Schutz der Republik ... Das ist der Tod der Revolution.“

      „Es stimmt nicht! Noske und Scheidemann geben das Heft nicht aus der Hand!“ erwiderte Tauten brummig. „Treibt nicht zu solchen Auseinandersetzungen wie in Berlin, dann brauchen die neuen Opfer nicht zu sein ... Jedes, auch ein neues Staatsgefüge braucht seine Ordnung, und eure Unzufriedenheit stört diese Ordnung immerfort.“

      „Ach, was hat das noch für einen Sinn, mit dir zu streiten!“ erregte sich Kramm. „Ihr habt euch nun einmal mit eurem Noske festgerannt und kommt aus der falschen Bahn nicht mehr raus.“

      Tauten beharrte auf seinem Standpunkt: „Noske und Scheidemann sind Sozialisten und Genossen, sie werden schon wissen, was notwendig ist.“

      „Euer Paktieren mit den Reaktionären ist unser Untergang! Siehst du denn das nicht!“ schrie Raup.

      „Ja, es ist tatsächlich der Untergang“, erwiderte ihm Tauten vorwurfsvoll, „weil ihr niemals vernünftig denkt. Unsereiner hat seine Erfahrung ...“

      Franz ging mit Kramm durch die einsame nächtliche Straße.

      Frauen mit Säcken bebürdet huschten an ihnen scheu vorbei; sie kehrten von ihren weiten Hamsterfahrten zurück und keuchten abgehetzt. Sie sahen die Wehrleute als ihre Feinde an, weil eine Patrouille einigen die Säckchen mit den Kartoffeln abgenommen hatte. Stübel hatte es angeordnet, bei Nacht jedermann anzuhalten; das Diebeswesen nähme überhand.

      Franz Kreusat glaubte, die gemurmelten Flüche der verängstigten Frauen zu hören: „Tagediebe! Canaillen!“

      Ja, man hielt sie für Tagediebe. Die Mutter berichtete ihm jeden Tag, was die Leute sich über sie erzählten. Wozu die jungen Faulenzer noch mit dem Gewehr auf der Straße herumtrotten, frage man; alle vernünftigen Mannsleute seien wieder an ihre normale Arbeit zurückgekehrt, nur die letzten spinnen noch weiter von Revolution. Auch sie sollten sich endlich bequemen und in die Grube gehen und nicht Wächter spielen, wo nichts zu bewachen sei.

      Franz schrie sie an: „Laß mich mit diesem Geschwätz in Ruh!“ Er nahm sein Gewehr und lief wieder wütend fort.

      Frau Kreusat zitterte vor Erschrecken. „Der rast sich jetzt wirklich verrückt!“ klagte sie.

      „Laß ihn gewähren!“ schrie plötzlich auch der Alte in Zorn. „Er ist kein Kind. Was willst du immer von ihm? Er muß doch selbst wissen, was er macht!“

      Sie schwieg und tupfte mit der Schürze ihre Augen ab.

      Mehrere Male wandelte Franz wieder das Verlangen an, das Gewehr abzugeben und lieber seine Arbeit im Schacht wiederaufzunehmen; aber Christian Wolny wurde böse: „Jetzt, wo wir jede einzelne Hand brauchen, willst du das Gewehr hinschmeißen? In Berlin fließt Arbeiterblut, unsere Genossen stehen dort ganz allein! Die Meute ist hinter ihnen her. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg müssen sich vor den Mördern verborgen halten. Geh also, wenn du kein Gewissen hast!“

      Franz Kreusat blieb.

      „Mensch, Franz“, sagte an manchen Tagen Christian, „weißt du, ich möcht’ für mein Leben gern jetzt in Rußland sein. Dort haben sie einen Kerenski zum Teufel gejagt, und die Herren Generale müssen rennen. Mensch, ich versteh’ nicht“, trauerte er, „daß es bei uns nicht vorwärtsgehen will, verdammt. Ich sag’ dir, hier fehlt ein Lenin! Die russischen Arbeiter haben ihren Lenin, verstehst du, das ist es!“

      Lenin! Franz Kreusat hörte jetzt öfters diesen Namen ... Lenin! Er wußte nicht, wer es sei, aber dieser Mann mußte eine Art Zauberer und Wundertäter sein. Christian erzählte, daß die russischen Arbeiter und Bauern zu diesem Lenin wie zu einem neuen Heiland aufschauen, aber zu einem Heiland, der ihnen predigt: „Genossen, gebt die Gewehre nicht aus den Händen! Traut keinem Schuft von General oder den sanften Burschuas, sondern kämpft, bis die konterrevolutionäre Brut sich in die Mäuselöcher verkriecht; und auch da werden wir sie noch rausholen und heraustreiben. Glaubt nicht den salbungsvollen Worten der Heuchler, denn sie sind gefährlicher als Gift. Werdet nicht weich, wenn die weichen Hände der Burschuas eure plumpen Soldaten und Bauernhände streicheln, denn sie sind gefährliche Bestienkrallen, die euer Tod sind, wenn sie sich um eure Kehle legen. Traut keinem Zarenknecht, keinem, der euch sagt: ,Die Armut hat sich immer unterzuordnen’. Arbeiter und Bauern, haltet eure Gewehre, kämpft, hetzt die Mörder aus dem letzten Winkel Rußlands, und dann seid ihr von dieser Geißel für immer erlöst. Eure Befreiung kann nur durch euch selber kommen ...“

      „Das ist Lenin, ja!“ erzählte Christian. „Die rassischen Bauern und Arbeiter hätten sich lieber zerreißen und kreuzigen lassen, ehe sie auf ihren Lenin verzichtet oder ihn gar den Mördern preisgegeben hätten. Nur unsere Masse läßt sich verwirren und gibt Karl und Rosa den Canaillen preis“, trauert Christian. „Sechs Wochen nach der Revolution müssen sie sich vor der Soldateska versteckt halten, verstehst du? Und wir trotten hier wie Idioten in den Straßen, und in Berlin warten die Genossen vergebens auf Hilfe ...“

      Fritz Raup sagte an einem Nachmittag zu Franz: „Komm mit, wir haben heute eine Sitzung des Arbeiter und Soldatenrats, werden dich da vielleicht brauchen.“ Franz Kreusat nahm sein Gewehr und ging mit. Er wohnte einer solchen Sitzung zum erstenmal bei. Die Redner der beiden Arbeiterparteien waren die Parteisekretäre Schigalski und Teichmann. Schigalski, ein mittelgroßer, dicklicher Mann mit immer mürrischem, schon faltigem Gesicht, verteidigte in seiner Rede die „Zentralen Beschlüsse und Entscheidungen“, um die es in dieser Sitzung ging, und bekämpfte jeden selbständigen Vorschlag der „Linken“, die er offensichtlich haßte und als dauernde Unruhestifter behandelte.

      Teichmann, ein großer, zur Fülle neigender Mann mit einem weichen, rosigen Gesicht, pflegte jedesmal mit der Redensart zu beginnen: „Wir von der Linken müssen dagegen opponieren ...“ Aber nach einer langen Rede, in der er noch mehrere Male seine Opposition gegen die „Zentralen Beschlüsse“ zum Ausdruck brachte, wandte er sich an die schweigenden Unabhängigen mit dem versöhnlichen Ratschlag: „Ich denke, ich habe auch in eurem Sinne gesprochen, Genossen. Aber damit die Genossen von der Rechten nicht denken, daß wir eine eigene Geschichte betreiben wollen, bin ich dafür, daß wir die oben gefaßten Beschlüsse – ich betone: mit Vorbehalt – anerkennen!“

      Der größere Teil der Unabhängigen nickte zu Teichmanns Vorschlag, und nur eine Minderheit, das waren Zermack, Fritz Raup und einige Genossen von den Zollvereinschächten, wandten sich gegen die Zustimmung. Miller, der Vorsitzende des Soldatenrats, der mit angestrengt arbeitendem Gesicht dasaß, schien noch unentschieden zu sein.

      Zermack meldete sich zu Wort. Er war groß, hager und von jener Ruhe, bei der man nie erraten konnte, ob sie nicht in der nächsten Minute zu einem gefürchteten Sturm umschlug. „Wer sind denn die Leute, die diese zentralen Anordnungen treffen?“ fragte er, und in seinen stark überbuschten Augen war all seine Abneigung gegen die „gedrechselten Reden“ zu sehen. „Der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat ist ein Sammelsurium von gefügigen Dummköpfen und eingeschlichenen Saboteuren, Offizieren und Feldwebeln“, sagte er, „die von den reaktionären Stäben in die rückkehrenden Regimenter eingeschmuggelt wurden. Das ist der Inhalt des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrats. Jawohl! Und Noske bedient sich jetzt seiner gegen die Revolution. Was sind das denn für revolutionäre Beschlüsse, sich selber preiszugeben“, fragte der große Mann grollend, „wie der Beschluß auf der letzten Vollkonferenz in Berlin, in der man der Reaktion wieder das Recht läßt, ihre Vertreter in die Nationalversammlung zu schicken?“

      Schigalski unterbrach ihn empört: „Fang doch nicht wieder mit den alten Geschichten an! Wir können unmöglich hier die Moskauer Zustände einführen. Dagegen wehrt sich das ganze Volk.“

      „Ihr fragt ja das Volk nicht mehr nach seiner Meinung“, antwortete ihm Zermack, „ihr hört nur noch auf die Meinung eines Stinnes und Krupp und schaut närrisch nach euerm Hindenburg, der euch die Generale Gröner und Lüttwitz als Berater und Beschützer der Republik bereitstellt, aber die Meinung der Arbeiter bedeutet euch allen nichts. Der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat ist nicht mehr unsere maßgebliche Instanz“, fuhr der Häuer fort, „er hat sich durch seine Abhängigkeit und


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