Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman. Michaela Dornberg
ist insgesamt okay«, sagte er, »aber an der einen oder anderen Position kann man noch etwas sparen.«
Es hörte sich gut an. Hatte er sie eben nicht verstanden? Nicht einmal zum halben Preis oder noch weniger könnte sie den Auftrag erteilen. Und das sagte sie ihm auch.
»Wer sagt Ihnen denn, dass Sie das tun sollen? Die Kosten für das neue Dach übernehme ich. Man kann es nicht mehr mit ansehen. Und je größer der Schaden, und das ist voraussehbar, umso größer die Reparaturkosten.«
Die Heimleiterin konnte den Notar nur ansehen. Sie kannte die Endsumme des Angebots, das waren nicht nur ein paar Euro, da ging es um große Summen. Margot Fischer war nicht in der Lage, etwas dazu zu sagen. Es hatte ihr die Sprache verschlagen.
Auch Rosmarie wusste nicht, was sie jetzt sagen sollte. Ihr Heinz wollte ein ganzes Dach auf seine Kosten reparieren lassen. Ihr Heinz, der wegen einer kleinen Spende herumlamentierte, der peinlich darauf achtete, auch die Spendenbescheinigung zu erhalten, damit er alles absetzen konnte.
Hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu!
Hier waren übersinnliche Kräfte am Werk!
Zuerst das mit Missie. Was vorher ein Drama gewesen war, was zu einem ernsthaften Zerwürfnis geworden war, war praktisch ein Selbstläufer geworden, hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Und das jetzt mit dem Dach … Rosmarie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Aber sie wusste, was sie zu tun hatte, sie fiel ihrem Heinz um den Hals. Dann sagte sie, überwältigt vor lauter Glück: »Danke, Heinz.«
Nun fasste auch Frau Dr. Fischer sich und bedankte sich bei dem großzügigen Spender.
Heinz ließ es sich eine Weile gefallen, genoss es sogar, doch dann meldete sich Missie, die ihn anschubste und bellte.
»Ich nehme das Angebot mit, Frau Dr. Fischer, und, versprochen, ich kümmere mich. Für das Dach muss ein Gerüst aufgebaut werden. Das wird für Sie einige Unannehmlichkeiten geben. Doch hinterher müssen Sie keine Angst mehr vor Regen und Sturm haben.«
Diese Worte waren für die Heimleiterin ein Grund, sich nochmals zu bedanken. Sie hatte Tränen in den Augen und musste an sich halten, Heinz Rückert jetzt nicht zu umarmen.
Das hätte sie nie gedacht!
Erst die Großzügigkeit von Frau Rückert. Die hatte sie mehrfach gerettet. Und nun er. Der Notar Rückert spendete, ohne mit der Wimper zu zucken, ein ganzes Dach!
Margot Fischer konnte es noch immer nicht glauben, sie musste sich erst einmal setzen, und jetzt weinte sie wirklich vor lauter Freude, Glück Ergriffenheit.
Wenn man so wollte, hatte sie alles Miss Marple zu verdanken. Die war ein ganz besonderer Hund. Und wie die Film Miss Marple letztlich alles auf die Reihe brachte, hatte es hier die kleine schwarze Mischlingshündin geschafft. Sie hatte sich in das Herz der Rückerts geschlichen. Aber sie war auch so schön und so klug, und wenn sie einen anblickte …
Frau Dr. Fischer wischte sich die Tränen weg, dann ging sie hinaus und blickte sich das Dach an.
Es war wirklich grauenvoll, in einem katastrophalen Zustand.
Am Himmel kam die Sonne zwischen zwei grauen Wolken hervor, tauchte alles in ein goldenes Licht. Leider sah man jetzt in aller Deutlichkeit auch die Schwachstellen des maroden Daches. Früher wäre sie vor Entsetzen zusammengezuckt. Jetzt blieb sie ganz ruhig. Es war nur noch eine Frage der Zeit, und wie sie Heinz Rückert einschätzte, würde binnen kürzester Zeit das Gerüst vor dem Haus stehen.
Margot merkte, wie sie sich entspannte. Sie ließ erst einmal die Arbeit sein und machte einen Rundgang. Das mit dem Dach war großartig, doch die Tiere, die waren am wichtigsten, die waren ihr Leben. Und das, was sie tat, war für sie der schönste Job der Welt. Natürlich gab es auch Schattenseiten, manche Tiere waren so traumatisiert, so aggressiv, dass man sie einschläfern musste. Manche Tiere waren verletzt, krank.
Da war es ein Glück, dass sie Tierärztin war und die Behandlung selbst übernehmen konnte.
Der Platz von Miss Marple war jetzt frei. Margot ging in eine Box hinein, streichelte eine Boxerhündin, die ein wenig apathisch in einer Ecke saß.
»Komm, Emma, ich habe einen schöneren Platz für dich.«
Emma ließ sich streicheln, stand auf, folgte Margot.
Sie war ein zahmes, gutmütiges, pflegeleichtes Tier, und sie war wunderschön. Doch eines stand jetzt schon fest. Emma würde, es sei denn, es geschah ein Wunder, den Rest ihres Lebens im Tierheim verbringen. Sie war alt, konnte nicht mehr gut sehen, und laufen konnte sie auch nicht mehr richtig. Ein solches Tier holte man sich nicht nach Hause. Emma war zu ihnen gekommen, weil der Besitzer verstorben war, und niemand von den Erben wollte Emma haben, das Haus und das Geld des Verstorbenen schon. Dass Emma ihm am Herzen gelegen hatte, dass sie über viele Jahre hinweg eine treue Begleiterin gewesen war, dass sie Sonne in das Herz des alten Herrn gebracht hatte, das interessierte niemanden. Aber so war das Leben.
Gleich nebenan war ein junger Dalmatiner untergebracht. Er war ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Als der Besitzer festgestellt hatte, dass ein Hund Arbeit machte, Auslauf brauchte, hatte man ihn ins Tierheim gebracht. Da musste man kein schlechtes Gewissen haben.
Dalmatiner waren derzeit nicht so in. Doch Margot Fischer konnte sich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als der Dalmatiner-Film gelaufen war. Da hatte es zunächst einen Ansturm auf die Züchter gegeben, hinterher einen Ansturm auf das Tierheim.
Alf, so hieß der Hund, würde irgendwann einen neuen Besitzer finden. Es hatte bereits mehrere Interessenten gegeben, doch die hatte Margot abgelehnt. Auch wenn das Tierheim aus allen Nähten platzte, war das für sie kein Grund, Platz zu schaffen. Sie prüfte die Bewerber auf Herz und Nieren, und wenn es ihr nicht passte, wenn sie ein ungutes Gefühl hatte, gab sie keines der Tiere her.
Es waren Lebewesen, keine Spielzeuge, die man, wurde man ihrer überdrüssig, einfach in die Ecke stellte oder, schlimmer noch, entsorgte. Das hatte es auch schon gegeben.
Als sie weiterging, atmete sie tief durch.
Der Himmel hatte ihre Gebete erhört!
Sie würden ein neues Dach haben. Eine riesige Last fiel von ihr ab, und ansonsten …, irgendwie würde es weitergehen.
Sie traf eine ihrer freiwilligen Helferinnen und erzählte ihr, was passiert war. Diese wunderbare Neuigkeit konnte sie einfach nicht für sich behalten.
*
Inge Auerbach war gerade mit der Zubereitung des Mittagessens fertig, als die Haustür zugeschlagen wurde, jemand in der Diele polterte.
Ein Lächeln glitt um Inges Lippen.
Das konnte nur Pamela sein, die machte sie immer lautstark bemerkbar. Und wenn sie heute besonders laut war, dann musste das ein gutes Zeichen sein.
Inge kannte ihre Jüngste, sie konnte in ihr lesen wie in einem Buch.
Pamela kam in die Küche gestürmt. Inge betrachtete sie voller Wohlgefallen. Pamela wurde immer hübscher. Ihr ausdrucksvolles schmales Gesicht wurde von braunen Locken umrahmt, ihre großen grauen Augen blitzten. Nicht mehr lange, und die jungen Männer würden vor ihrem Haus Schlage stehen. Pamela war etwas Besonderes.
»Mami«, Pamela schleuderte ihre Schultasche in die Ecke, »in Mathe habe ich eine Eins, und in Englisch, da habe ich die beste Arbeit geschrieben, mit Abstand die beste. Der Durchschnitt war grottenschlecht. Außer mir hatte niemand eine Eins. Nun ja, es liegt mir halt im Blut, weil meine leibliche Mutter ja …«, sie brach ihren Satz ab, »Mami, tut mir leid.«
Inge nahm ihre Jüngste in die Arme.
»Liebes, es muss dir doch nicht leidtun. Die Muttersprache deiner leiblichen Mutter war Englisch. Darüber können wir doch reden.«
Pamela lehnte sich an ihre Mutter, die nicht wirklich ihre Mutter war, weil man sie als Kleinkind adoptiert hatte. Und diese Adoption war der wunde Punkt zwischen ihnen, den niemand berühren wollte.
Eine