Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman. Michaela Dornberg
wie der Prinz auf einem weißen Pferd, der seine Angebetete auf sein Schloss holte. Ein Schloss war das Herrenhaus zwar nicht, aber stattlich und beeindruckend war es schon, und nicht zu vergessen die Felsenburg. Die toppte alles, sogar ein Schloss.
Roberta versuchte erneut, Nicki zu erreichen. Es war wieder vergebens, und jetzt machte sie sich ernsthafte Sorgen. Sie hätte Nicki überreden müssen.
Es wäre nicht gegangen, sie hätte es mit Engelszungen versuchen können, und Nicki hätte nein gesagt. Sie war so aufgebracht gewesen. Viel Lärm um nichts, anders konnte man es nicht nennen. Wäre Nicki geblieben, dann hätte sich alles in Wohlgefallen aufgelöst.
Sie versuchte es erneut, und sie nahm sich vor, es gegebenenfalls die ganze Nacht über zu versuchen, wieder meldete Nicki sich nicht.
Es war wirklich zu dumm!
*
Als Maren aus der Schule kam, entdeckte sie ihren Bruder, der sich hinter dem Fahrradschuppen versteckte und einen verstörten Eindruck machte. Hatte er wieder mal eine Arbeit versemmelt?
Das war leider in letzter Zeit häufiger vorgekommen, aber zum Glück machte ihr Vater deswegen kein Theater. Also gab es keinen Grund, dass er sich versteckte und sich nicht nach Hause traute.
»Tim, wieso bist du noch hier? Du hast doch bereits seit einer Stunde frei?«
Tim war blass und aufgeregt.
»Ich traue mich nicht, den Schulhof zu verlassen«, sagte er leise.
Das war neu.
Dass andere Jungen ihm auflauerten, das war ausgeschlossen. Tim hatte eine sehr verbindliche Art, und er war überall beliebt. Und weil er sehr sportlich war, wollte man ihn auch immer im Team haben.
»Tim, was ist passiert?«
Tim holte Luft.
»Die Mama steht da vorn auf der Straße. Vielleicht will sie uns ja entführen.«
Ihr Bruder!
Manchmal war Tim wirklich noch so richtig klein. Er durfte sie auf jeden Fall nicht mehr diese Filme mit Mord, Totschlag und Entführungen ansehen. Das machte etwas mit ihm, und ihr Papa wäre sicherlich sehr entsetzt, wenn er das wüsste.
»So ein Quatsch, Tim. So einfach geht es in Wirklichkeit nicht, das funktioniert ganz easy nur im Film. Bist du dir sicher, dass es Mama ist?«
Jetzt war Tim empört.
Was sollte denn diese Frage?
»Maren, ich kenne unsere Mama doch. Außerdem erkennt man sie jetzt erst recht an ihren bunten Haaren. Das ist ja so krass, so peinlich.«
Das fand Maren auch. Kein Kind wünschte sich eine Mutter, die wie ein Paradiesvogel aussah. Es wäre anders, wenn sie eine coole Sängerin wäre oder so was, die durften auch bunte Haare haben, doch keine Mutter.
»Bestimmt will sie mit uns reden«, bemerkte Maren, die sich erinnerte, dass das das Anliegen ihrer Mutter gewesen war.
»Das wollen wir doch nicht, Maren.«
Tim war wirklich klein.
»Nein, wir wollen das nicht, aber wir müssen das hinter uns bringen, sonst kommt sie immer wieder. Ich möchte nicht, dass der Papa sich Sorgen macht oder dass er traurig ist.«
Das wollte Tim ebenfalls nicht, also trottete er neben seiner großen Schwester her, die ganz cool war. Tim konnte ja nicht sehen, dass sie ganz schönes Herzklopfen hatte.
Es war wirklich ihre Mutter, die da aus einem Auto stieg, sich ihnen näherte, ihre Arme ausbreitete.
Tim traf Anstalten, in diese Arme zu laufen. Maren hielt ihn gewaltsam zurück.
»Bist du verrückt, Tim?«, zischte sie.
Tim blickte seine Schwester schuldbewusst an. Er hatte für einen Augenblick vergessen, dass nichts mehr so war, wie er es von früher her kannte. Da war er unbeschwert gewesen, hatte sich mehr als nur einmal in die Arme seiner Mama geflüchtet.
Weil nichts passierte, ließ Ilka ihre Arme sinken.
»Hallo Maren, hallo Tim, mein kleiner Liebling …, wollt ihr mich nicht richtig begrüßen?«
Das schlug wirklich dem Fass den Boden aus.
Was erwartete ihre Mutter eigentlich?
Maren warf ihrer Mutter einen erbitterten Blick zu. Dann sah sie sich erst einmal vorsichtig um, nicht etwa, weil sie eine Entführung befürchtete, wie Tim es angedeutet hatte. Nein, sie hoffte, dass niemand vorbeikam, den sie kannte oder gar einer von den Lehrern. Das wäre jetzt voll peinlich. Ihre Mutter fiel auf, und die bunten Haare, die waren wirklich mehr als krass.
»Was willst du?«, herrschte Maren ihre Mutter an. »Wir haben dir doch bereits gesagt, dass du uns in Ruhe lassen sollst. Wir wollen nichts mehr mit dir zu tun haben. Wir haben Papa, und der kümmert sich um uns, der würde uns niemals verlassen.«
Verflixt!
Ilka hatte es sich anders vorgestellt, und sie war wirklich der Meinung gewesen, dass sie nur die Arme ausbreiten musste, und Maren und Tim rannten hinein. Besonders Tim, der war doch stets ein Mama-Kind gewesen.
»Ich bin eure Mutter«, sagte Ilka, und wie sie es aussprach, klang es ein wenig theatralisch und wenig überzeugend.
Tim wollte etwas sagen. Maren kniff ihn so heftig in den Arm, dass er am liebsten aufgeschrien hätte. Er war ein Junge! Die jammerten nicht. Tapfer unterdrückte er seinen Schmerz.
»Wie eine Mutter hast du dich aber nicht verhalten«, Marens Stimme klang wütend, und das war sie auch.
Oh, es würde viel Überzeugungskraft kosten, Maren wieder auf ihre Seite zu bringen. Wie schade, dass sie Tim nicht allein getroffen hatte. Mit dem wäre alles sehr viel einfacher gewesen.
»Nun gut, es war vielleicht nicht richtig, wie ich mich verhalten habe«, gestand Ilka ein, »aber jeder Mensch macht Fehler. Ich wollte halt bloß ein bisschen Spaß haben. Darauf hat jeder Mensch ein Recht.«
Die Kinder antworteten nicht. Maren hielt ihren Bruder fest umklammert, den die Begegnung mit der Mutter sichtlich mitnahm.
»Du kannst machen, was du willst. Es interessiert uns nicht mehr, und jetzt lass uns in Ruhe.«
Ilka wurde wütend.
»Hallo, kleines Fräulein, was ich tue und was nicht, das bestimmst du nicht. Ich bin eure Mutter, und ich habe Rechte. Hat euer Vater euch gegen mich aufgehetzt?«
Jetzt mischte Tim sich ein.
»Nein, das hat der Papa nicht. Das würde er nicht tun.«
Maren fühlte sich durch die Situation sichtlich überfordert. Ilka war, auch als Gunte, ihre Mutter, die jetzt so anders war, die Ansprüche anmeldete, die ihr Angst machten.
»Kinder können entscheiden, wo sie bleiben wollen. Wir haben uns für Papa entschieden. Kapier das endlich und lass uns in Ruhe. Komm nicht mehr her. So, wie du aussiehst, ist es nur …, nur …, nur peinlich.«
Sie wandte sich an ihren Bruder.
»Komm, Tim, wir gehen.«
Die Kinder gingen weg, und Ilka erkannte, dass sie schlechte Karten hatte. Die Kinder würden nicht zu ihr kommen. Und jedes Gericht der Welt würde berücksichtigen, dass sie die Familie verlassen hatte. Das Böswilligkeitsprinzip gab es zwar nicht mehr. Aber wenn die Kinder sich bei einer Befragung für ein Leben bei ihrem Vater entscheiden würden, konnte sie nichts machen. Peter war stets seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen, er hatte den Kindern ein Heim geschaffen, er hatte, um für sie da zu sein, sogar seinen anspruchsvollen Job aufgegeben.
Die Fakten sprachen für ihn, keine Frage.
Aber sie brauchte Geld, und Unterhalt für die Kinder wäre eine so wunderbare Lösung gewesen.
Zuerst einmal würde sie sich die bunten Haare wegmachen lassen. Sie fand es