Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman. Michaela Dornberg
halten, außerdem wäre es gemein, das jetzt auszusprechen. Inge hatte nichts provoziert. Es war einfach so, dass die Kinder die Oma Inge und den Opa Werner mehr mochten. Fabian ging auch lieber zu seinen Schwiegereltern als zu seinen Eltern.
Heinz und sie hatten alles verkehrt gemacht, sie waren mehr mit sich statt mit ihren Kindern beschäftigt gewesen, und nun hatten sie die Quittung.
»Ich glaube, ich fahre dann auch jetzt lieber nach Hause, falls Fabian oder Ricky anrufen.«
Rosmarie war so aufgeregt, dass sie nicht bedachte, dass der Anruf wohl eher auf dem Handy statt auf dem Festnetz erfolgen würde.
Und ihr Handy hatte Rosmarie immer dabei.
Inge packte den Zitronenkuchen und die Kekse ein, dann verabschiedete sie sich von Rosmarie, begleitete sie sogar bis zur Tür und winkte ihr zu, als sie mit ihrem rasanten Auto davonfuhr, wie es sich gehörte, im rasanten Tempo. In dieser Hinsicht unterschied Rosmarie sich kaum von Sandra Münster, die mit ihrem Auto die Gegend unsicher gemacht hatte, ehe sie nach Amerika ausgewandert hatte. Sie hatte für ihre Raserei einen sehr hohen Preis bezahlt!
Inge wollte jetzt nicht an die Münsters denken, denn das würde zwangsläufig dazu führen, dass sie an Marianne von Rieding dachte, an den umtriebigen Carlo Heimberg.
Es waren schöne Zeiten gewesen, die sich nicht zurückholen ließen. Mit dem neuen Eigentümer des Anwesens war alles anders geworden. Gegen den Grafen Hilgenberg war nichts einzuwenden. Er war freundlich, zuvorkommend, und er hatte sich mit seinem Willkommensfest bekannt gemacht. Aber Feste wie früher, ein geselliges Beisammensein, das würde es nicht mehr geben. Und der Zugang zur Felsenburg war auch nur noch über einen Umweg möglich. Und da konnte man froh sein, dass es den überhaupt gab. Es bestand keine Verpflichtung, die geschichtsträchtige Ruine der Allgemeinheit zugänglich zu machen, einer stolzen Ruine, die den ganzen Sonnenwinkel dominierte und die schon etwas ganz Besonderes war.
Alles hatte seine Zeit …
An diese Worte musste Inge immer wieder denken, denn es hatte sich vieles im Sonnenwinkel verändert.
Menschen waren gekommen, Menschen waren gegangen. Sie und Werner waren älter geworden, mal zwackte es hier, mal zwackte es dort, und die grauen Haare wurden immer mehr. Die Falten im Gesicht leider auch. Pamela entwickelte sich zu einer wunderschönen jungen Dame. Nicht mehr lange, und die Verehrer würden vor der Tür Schlange stehen. Merkwürdigerweise schien die Zeit an ihren Eltern spurlos vorüber zu gehen. An denen war keine Veränderung festzustellen, die beiden waren wie immer. Sie klagten nicht über Rückenschmerzen, nicht über Schmerzen in der Hüfte oder am Knie. Sie jammerten über nichts, was das Leben mit zunehmendem Alter beschwerlich machte. Vielleicht gab es ja bei ihnen auch das eine oder andere Zipperlein, anmerken ließen sie es sich nicht.
Ihre Eltern …
Die hatte Inge heute noch nicht gesehen. Denen konnte sie direkt mal Hallo sagen, ehe sie sich wieder ihrer Bügelwäsche zuwandte. Das war so etwas, was man gern beiseiteschob. Aber es war etwas, was leider doch gemacht werden musste. Es gab keine Heinzelmännchen, die das erledigten. Sie würde nicht lange bleiben, nahm Inge sich fest vor. Sie genoss es immer wieder, mal auf einen Sprung zu ihren Eltern zu gehen, und es freute sie auch sehr, wenn ihre Mutter und ihr Vater unverhofft zu ihr kamen. Es hatte wirklich etwas für sich, wenn man Tür an Tür wohnte.
*
Ihr Vater war bereits unterwegs, er wollte einen alten Freund treffen, ihre Mutter saß in ihrem Lieblingssessel und las. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung. Doch als Teresa von Roth ihre Tochter bemerkte, legte sie das Buch beiseite.
»Du hattest Besuch, nicht wahr? Ich habe Rosmarie Rückert gesehen.«
Das bestätigte Inge.
»Ja, und ich habe mich über Rosmaries Besuch wirklich gefreut. Früher hätte es nicht für möglich gehalten, dass es einmal so sein würde.«
»Sie hat sich sehr zu ihrem Vorteil verändert, und was sie für das Tierheim tut, das ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Apropos Gold, Rosmarie verkauft tatsächlich Stück um Stück ihres teure Schmucks und spendet den Erlös dem Tierheim. Frau Dr. Fischer ist überglücklich, auch wenn sie teilweise ein schlechtes Gewissen hat, denn sie weiß natürlich, dass Rosmarie beim Verkauf nur einen Bruchteil dessen bekommt, was der erlesene Schmuck einmal gekostet hat.«
»Mama, Rosmarie hängt nicht mehr daran, und es ist doch besser, dass sie den Schmuck verkauft und damit Gutes tut, anstatt ihn im Tresor vergammeln zu lassen.«
»Ja, das stimmt schon. Und Heinz ist wirklich über sich hinausgewachsen. Hättest du es jemals für möglich gehalten, dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Tierheim ein neues Dach spendiert?«
»Nein, das hätte ich wirklich nicht, Mama. Andererseits kann er alles von der Steuer absetzen, Heinz sorgt schon dafür, dass er keinen Schaden davonträgt. Es ist gemein, so über ihn zu reden«, korrigierte Inge sich sofort, »Heinz hat sich ebenfalls verändert. Und glaubst du wirklich, dass das einzig und allein diesem kleinen Hund zuzuschreiben ist, Mama?«
Teresa zuckte die Achseln, Inge warf ihrer Mutter einen bewundernden Blick zu. Wie schön sie heute wieder aussah in ihrem blassrosa Cashmerepullover, den sie zu einem schlichten grauen Rock trug. Eine graue Perlenkette vervollständigte das Bild. Die grauen Haare hatte sie schlicht hinter die Ohren gekämmt. Aus ihrem schmalen, aristokratischen Gesicht blickten wache Augen in die Welt. Inge wurde ganz warm ums Herz, wenn sie ihre Mutter sah, und sie wünschte sich von ganzem Herzen, ihre Eltern noch für viele Jahre an ihrer Seite zu haben.
»Auf jeden Fall hat dieses Tierchen etwas in Heinz berührt«, sagte Teresa. »Vielleicht hat er eine viel empfindsamere Seele, als wir glauben, und er versteht es vortrefflich, das hinter einer Maske zu verbergen. Er war gewiss nicht immer der Mann, der er jetzt ist. Denk doch daran, wie erstaunt wir alle waren, als plötzlich wie aus dem Nichts Cecile aufgetaucht ist, seine Tochter, von deren Existenz er keine Ahnung hatte. Das Kind, das er mit seiner großen Liebe Adrienne Raymond hat, von der durch widrige Umstände getrennt wurde. Es kann doch sein, dass damals sein Herz gebrochen ist und er es seither verschlossen hielt, um nicht noch einmal eine solche Enttäuschung zu erleben.«
»Mama, du liest zu viele Romane«, sagte Inge, »auch Adrienne hat gelitten, sie wusste nicht, dass Heinz sie nicht einfach verlassen hat, sondern dass er nach Deutschland plötzlich zurück musste. Sie hat nie geheiratet, sie hat ihr Kind allein aufgezogen.«
»Was keine Schwierigkeit war, weil die Raymonds unendlich reich sind, und Adrienne jede Hilfe hatte und sich keine Sorgen machen musste. Freilich, ein gebrochenes Herz kann man mit keinem Geld auf der Welt heilen. Heute käme so etwas nicht mehr vor, da ist man international vernetzt und bleibt permanent in Verbindung. Ja, ja, die Zeiten haben sich sehr verändert.
Manches ist gut, auf manches könnte man verzichten. Manchmal bin ich richtig froh, dass ich schon so alt bin und mich nicht mehr intensiv mit all den Neuerungen beschäftigen muss.«
Teresa blickte ihre Tochter an.
»Gibt es einen Grund dafür, dass du hier bist, Inge? Wie ich weiß, wolltest du doch heute einen Bügeltag einlegen.«
Ihrer Mutter entging nichts, sie vergaß nichts.
»Ich wollte einfach nur hereinschauen, Mama«, antwortete Inge. »Vielleicht ist das auch nur ein Vorwand, weil ich mich vor dem Wäscheberg drücken will.«
»Warum gibst du die Wäsche nicht heraus, oder warum lässt du das nicht deine vortreffliche Zugehfrau machen?«, wollte Teresa wissen.
»Ach, weißt du, Mama, wenn man sich erst einmal drangemacht hat, ist es nicht so schlimm. Beim Bügeln kommen einem die besten Gedanken, und man kann auch Aggressionen abbauen.«
Teresa blickte ihre Tochter skeptisch an.
»Na ja, ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass ich mich darum nicht kümmern muss. Apropos kümmern. Ist es nicht schön, dass Sophia wieder so vieles selbst machen kann, dass man sich um sie nicht mehr kümmern muss? Ich habe es ja gern getan, und ich würde es auch weiterhin gern tun, aber Sophia war so unglücklich,