Kinderärztin Dr. Martens Classic 3 – Arztroman. Britta Frey
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Wo nur Birger wieder blieb? Immer öfter sah Ute Deiter auf die Uhr. Was war nur in der letzten Zeit mit ihm los, fragte sie sich. Begann ihre schöne, heile Welt zu zerbröckeln?
Ute Deiter war eine junge Frau von einunddreißig Jahren. Hübsch sah sie mit ihren halblangen dunkelbraunen Locken aus. Ihr Leben bestand aus ihrem Mann Birger und den beiden kleinen Töchtern, der achtjährigen Ramona und der fünfjährigen Inka.
Birger arbeitete als Ingenieur in einer großen Firma in der Stadt. Er verdiente gut, und sie hatten ihr Auskommen. In ihrer hübschen geräumigen Vierzimmerwohnung am Stadtrand fühlte sich die kleine Familie wohl. Ute Deiter war glücklich und zufrieden in ihrer kleinen heilen Welt. So war es jedenfalls bis vor einiger Zeit gewesen. Bis vor einiger Zeit, das waren ein paar Wochen. Trotzdem kam es Ute vor, als wären Monate vergangen, seitdem sich Birger so verändert hatte. Er wich ihr aus, und das tat Ute weh. Sie konnte es nicht begreifen, denn sie selber war sich nicht bewusst, etwas getan zu haben, was Birger gekränkt haben könnte. Doch genauso schlimm wie das Ausweichen Birgers war sein längeres Ausbleiben nach seinem Feierabend in der Firma. Mal kam er eine Stunde später, und dann wieder sogar zwei oder drei Stunden. Ute wusste nicht, wie lange ihre Nerven diese dauernde Belastung durchstehen würden.
Auch an diesem schönen Frühlingstag wartete Ute schon fast zwei Stunden auf ihren Mann. Sie wurde von Minute zu Minute trauriger. Sie wartete an diesem Tag nicht allein. Da waren auch Ramona und Inka, denen der geliebte Vati versprochen hatte, dass sie an diesem Freitag alle vier in das in der Nähe gelegene Hallenbad gehen würden.
Erneut sah Ute Deiter auf die Uhr. Viel später durfte Birger nicht kommen, denn dann würde es an diesem Tag nichts mehr mit dem Schwimmen werden.
Noch eine weitere Stunde wurde ihre Geduld auf die Probe gestellt.
Es war siebzehn Uhr vorbei, als Ute hörte, wie Birger die Wohnungstür aufschloss und wenig später die Küche betrat. Die beiden Mädchen hatten es auch gehört. Ehe Ute etwas sagen konnte, standen Ramona und Inka in der offenen Küchentür.
»Gehen wir jetzt zum Schwimmen, Vati? Wir haben schon so lange auf dich gewartet. Du hast es uns doch versprochen«, bestürmte Ramona ihren Vati.
»Tut mir leid, Schatz, heute lohnt es sich nicht mehr, es ist zu spät geworden. Wir müssen es auf einen anderen Tag verschieben. Ich musste heute wieder länger arbeiten. Ihr könnt ja noch ein wenig draußen zum Spielen gehen.«
»Du hast es aber versprochen, und draußen spielen will ich nicht«, begehrte Ramona auf.
»Ich habe gesagt, heute nicht mehr, und dabei bleibt es. Wenn du nicht an die Luft willst, dann geh ins Kinderzimmer.«
Ute sah, wie ihre Große gegen die Tränen ankämpfte, und sie konnte sich gut vorstellen, wie enttäuscht die Achtjährige in diesem Moment sein musste.
»Nun geh schon mit Inka ins Kinderzimmer. Wir gehen einen anderen Tag ins Schwimmbad. Wenn Vati dann auch keine Zeit hat, gehen wir allein. Großes Ehrenwort. Jetzt habe ich aber für euch beide keine Zeit, ich muss zuerst das Essen für den Vati aufwärmen.«
Während Ute das Essen für Birger noch einmal zum Erwärmen in den Backofen schob, sagte sie aufgebracht: »Findest du das eigentlich richtig, Birger? Erst versprichst du den Mädchen, ins Schwimmbad zu gehen, dann lässt du uns über drei Stunden vergeblich warten. Ich verstehe dich von Tag zu Tag weniger. Was ist nur mit dir los? Es kann doch so nicht weitergehen. Erkennst du denn nicht, dass du mein Vertrauen immer mehr zerstörst? Du hast doch sonst über alles mit mir geredet. Ich will endlich wissen, was mit dir los ist.« Zornig sah Ute ihren Mann an.
Birger Deiter, ein mittelgroßer, schlanker Mann, machte eine abwehrende Bewegung mit der Rechten und sagte: »Was soll schon mit mir los sein, Ute? Du musst nicht gleich ein Drama daraus machen, wenn ich nicht so fröhlich und gesprächsbereit bin, wie du es von mir gewohnt bist.«
»Weich nicht schon wieder aus, Birger. Wenn ich das schon höre, fröhlich und gesprächsbereit. Du musst mich nicht für ein Dummchen halten. Ich habe schließlich Augen im Kopf und ein Herz, das fühlt. Wenn schon etwas zwischen uns steht, so solltest du wenigstens ehrlich zu mir sein. Aber iss erst, sonst wird es noch einmal kalt und schmeckt überhaupt nicht mehr. Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben. Sind die Mädchen und ich dir so egal geworden? Hast du uns nicht mehr lieb?«
Die ganzen Ängste der letzten Wochen kamen in Ute hoch. Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten und stürzte aus der Küche hinaus und ins Schlafzimmer. Heftig schlug sie die Tür hinter sich ins Schloss.
*
Sichtlich betroffen sah Birger hinter seiner Frau her und zuckte merklich zusammen, als er das laute Zuschlagen der Schlafzimmertür hörte.
So aufgebracht und außer sich hatte er sie noch nie erlebt. Dabei musste er innerlich zugeben, dass Ute recht hatte, wenn sie sagte, dass er sich verändert hatte. Aber es lag weder an ihr noch an den beiden Mädchen. Er liebte sie alle drei. Ute und seine Töchter waren ihm keineswegs egal. Es gab da etwas anderes, was er schon ein paar Wochen mit sich herumtrug, und er hatte sich noch nicht überwunden, mit Ute darüber zu reden. Er wusste zu gut, dass er das endlich tun musste, wenn er nicht wollte, dass es noch zu mehr Missverständnissen kommen würde. So gab er sich einen inneren Ruck und dachte: Ich muss es ihr endlich beibringen, ich muss es heute hinter mich bringen.
Nun, da Birger einen Entschluss gefasst hatte, wollte er ihn auch sofort in die Tat umsetzen. Er erhob sich, um seiner Frau ins Schlafzimmer zu folgen, da standen plötzlich Ramona und Inka vor ihm.
Ängstlich sah Ramona zu ihm hoch und fragte: »Warum ist die Mutti denn so böse, Vati? Wir haben doch ganz lieb gespielt.«
»Mutti ist nicht böse, mein Mädchen. Sie ist nur ein bisschen aufgeregt gewesen. Wisst ihr was, ihr zwei? Ihr geht jetzt noch für ein halbes Stündchen hinaus und spielt. Ich muss mit Mutti reden. Wenn du vernünftig bist und auf deine Schwester achtest, dann fahre ich heute Abend mit euch zu Großmanns Imbiss, und wir holen uns zum Abendbrot eine leckere Pizza.«
»Ich will aber keine Pizza, ich möchte Pommes mit Mayo, Vati«, sagte die fünfjährige Inka.
»Natürlich bekommst du deine Pommes, Schätzchen«, erwiderte Birger lächelnd und fuhr der Kleinen zärtlich über den braunen Lockenkopf.
»Nun komm schon, Inka, wir gehen«, forderte Ramona ihre kleine Schwester auf und zog sie in Richtung Wohnungstür.
Birger wartete einen Moment, bis sich die Tür hinter seinen Mädchen geschlossen hatte, dann erst klopfte er kurz an die Schlafzimmertür und ging ins Zimmer hinein. Bestürzt sah er, dass Ute quer über ihrem Bett lag und hemmungslos weinte.
Birger setzte sich auf die Kante des Bettes und berührte sie sanft an der Schulter.
»Nun wein doch nicht so sehr, Liebes. Bin ich denn wirklich so unausstehlich geworden?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Lass mich, mit dir kann man sowieso nicht reden. Du weichst mir doch nur aus«, entgegnete Ute schluchzend und schüttelte Birgers Hand ab.
»Ja, ich bin dir ausgewichen, ich gebe es ja zu, aber das hat doch nichts mit dir und unseren Kindern zu tun. Himmel noch mal, es gab da eben etwas, was mich sehr stark beschäftigte. Es hat mich so beschäftigt, dass ich mich bis jetzt einfach nicht getraut habe, mit dir darüber zu reden. Aber wie du heute reagiert hast, bleibt mir ja keine andere Wahl mehr. Und gerade weil ich dich und unsere beiden Mädchen so liebe, fällt es mir auch unheimlich schwer, dir jetzt alles zu sagen. Es muss sein, damit du nicht noch mehr falsche Schlüsse ziehst.«
Utes Tränenstrom war mit einem Mal versiegt. Aus geweiteten Augen starrte sie Birger an, und ein dumpfes Gefühl der Angst beschlich sie.
»Nun schau mich nicht so entsetzt an, Ute. Es ist nichts Privates, sondern es hat mit meiner Arbeit zu tun. Hör mir zu, es geht um Folgendes: Unser Chef hat meinen Kollegen Werner Preuß und mich verpflichtet, für einige Monate ins Ausland zu gehen, und dort beim Aufbau eines Maschinenwerks mitzuwirken. Wir rechnen so mit sechs Monaten. Auslandsmontage nennen wir es in der Firma. Kannst du nun verstehen, dass es mir schwergefallen ist, es dir zu sagen? Es geht dabei darum, dass