Liebesglück unter italienischer Sonne - Un Amore Italiano. Liza Moriani
– was sich auch am Kartenhäuschen der Fähre bereits in den frühen Vormittagsstunden zeigte. Offensichtlich wollten viele den Tag nutzen, um den Ort auf der anderen Seeseite zu besuchen. So löste auch Petra ihre Karte und war rund fünfzehn Minuten später am gegenüberliegenden Ufer angekommen, der See war ja an dieser Stelle nicht besonders breit.
Als Petra am kleinen Fähranleger in Bellagio von Bord ging, steuerte sie gleich auf das kleine Café am Hafen zu. Ein Cappuccino und ein süßes Hörnchen, danach stand ihr nun der Sinn. Hier hatte sie Zeit, einen ersten Blick auf die ihr doch irgendwie vertraute Stadt zu werfen, denn Bellagio präsentierte sich an diesem Tag tatsächlich genauso, wie Petra es aus Kindertagen in Erinnerung hatte.
Damals war sie durch die engen Gassen die vielen Treppenstufen hinaufgestürmt, um ins Oberdorf zu kommen. Heute, mehr als zwei Jahrzehnte später und mit einem leckeren Kaffee gestärkt, würde sie es jedoch etwas gemütlicher angehen lassen. Sie hatte ja auch den ganzen Tag über Zeit und musste erst einmal schauen, wie sie die Stunden alleine verbringen konnte.
Petra hatte so viele Jahre an Franks Seite verbracht, so viel Zeit mit ihm verbracht, dass es ihr noch immer schwerfiel, tatsächlich ganz alleine zu sein. Immerhin hatte sie nach einer so langen Beziehung kaum Übung darin, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen.
Wenn sie früher Urlaub gemacht hatte, dann immer mit Frank zusammen. Hin und wieder war sie auch mal über ein verlängertes Wochenende mit einer Freundin zusammen verreist ... aber die waren heute alle so eingebunden in ihren eigenen kleinen Familien oder in ihrer Karriere, dass keine von ihnen Zeit gefunden hatte, diese zehntägige Reise mit Petra zusammen zu unternehmen.
Was aber vielleicht auch gut war, denn Petra wollte ja zu sich selbst finden ... und das konnte man eigentlich nur, wenn man einmal ganz in sich selbst eintauchte.
Petra schlenderte durch die kleinen Gassen des Ortes. Hier gab es so viele tolle Geschäfte, sie wollte die Zeit nutzen, in vielen von ihnen zu stöbern, auch wenn ihr wohl sicherlich das Geld für den Einkauf fehlte. Aber bereichern konnte man sich auch in Gedanken, vor allen Dingen aber konnte man sich vielerlei Inspirationen holen. Immerhin wollte Petra nicht den Rest ihres Lebens im Hause ihrer Eltern wohnen, wenn die vielleicht auch ganz glücklich darüber wären, fürs Alter jemanden im Haus zu haben, der sich kümmern konnte. Sie hatten Petra sogar vorgeschlagen, den seit Jahrzehnten brachliegenden Dachboden für sie zu einem kleinen Appartement auszubauen. Dafür und für ihre ganze Unterstützung in der schweren Zeit hatte Petra ihren Eltern gedankt, ihnen aber auch unmissverständlich erklärt, dass dies keine Lösung für sie sei.
Da war sie das erste Mal wieder aufgetaucht, die kleine Rebellin, die beschlossen hatte, ihr Leben alleine in den Griff zu bekommen – ohne einen Mann an ihrer Seite oder die liebevolle Unterstützung ihrer Eltern.
Petra blieb stehen. Sie hatte die Via Giuseppe Garibaldi erreicht, wie ihr das Straßenschild zeigte. Und dann sah sie ihn, diesen kleinen, in Rosa gehüllten Laden. Sie kannte ihn! Hier hatte sie vor vielen, vielen Jahren von ihrem Taschengeld für ihre Oma Lotta ein kleines Reisesouvenir gekauft. Daran erinnerte sie sich genau, denn es war das letzte Geschenk gewesen, das sie ihrer geliebten Oma hatte kaufen können. Petra war damals 14 oder 15 Jahre alt gewesen und ihre Oma schon lange sehr krank. Oma Lotta hatte sich sehr über die Schneekugel gefreut und Petra erzählt, dass sie früher einmal jemanden aus diesem Ort am Comer See gekannt hatte. Dabei hatten ihre Augen einen Ausdruck angenommen, der Petra schon damals verraten hatte, dass dies eine besonders glückliche Zeit im Leben der Großmutter gewesen sein musste.
Bald darauf war Oma Lotta gestorben, aber die Erinnerung an sie war bis heute in Petra lebendig. Wie sehr sie diese Frau geliebt hatte, die ihr in Kindertagen so viel Wärme und Liebe geschenkt hatte.
Petra betrat den kleinen Laden und war im ersten Moment ein wenig enttäuscht. Denn es war nicht mehr das alte Geschäft mit seinem alten Interieur, auf das Petra irgendwie gehofft hatte. Stattdessen zeigte sich ein modern eingerichtetes Geschäft, das in keiner Weise mehr an den alten, etwas verstaubten Laden von früher erinnerte. Eigentlich hätte ihr ja klar sein müssen, dass auch hier die Zeit nicht stehen geblieben war.
„Kann ich Ihnen helfen?“, wurde Petra plötzlich aus ihren Gedanken gerissen. Vor ihr stand eine junge Frau, die etwa so alt wie Petra selbst sein mochte.
„Ich möchte mich nur ein wenig umsehen“, antwortete Petra freundlich und überlegte einen Moment. Dann fasste sie sich ein Herz. „Darf ich Sie etwas fragen?“, sprach sie die Verkäuferin an.
Diese lächelte. „Aber selbstverständlich doch.“
„Wissen Sie“, sagte Petra, „ich war schon einmal hier. In diesem Geschäft. Vor etwa 20, 22 Jahren. Damals sah alles ganz anders aus. Was ist aus dem alten Laden und seinem Besitzer geworden?“
Die Verkäuferin schmunzelte. „Der alte Besitzer ist mein Großvater. Nonno ist heute 92 Jahre alt und noch immer sehr rüstig. Er hat mir den Laden vor acht Jahren übergeben und ich habe ihn ein wenig – na, sagen wir mal – moderner gestaltet.“ Sie machte eine kleine Pause und schaute Petra an. „Großvater lebt nur wenige Schritte von hier entfernt. Er führt das Geschäft heute zwar nicht mehr, aber er besucht mich jeden Tag und schaut einmal kurz nach dem Rechten. Das ist wohl sein Lebenselixier, das ihn so alt hat werden lassen.“
„Sie haben hier aber auch wirklich alles sehr schön gestaltet“, erwiderte Petra sichtlich angetan von dem, was die Frau erzählt hatte. „Ich danke Ihnen sehr für die Auskunft. Nun sehe ich mich noch umso lieber hier bei Ihnen um. Und grüßen Sie Ihren Großvater herzlich von mir. Meine Oma hat sich damals sehr über mein Geschenk aus seinem Laden gefreut. Den Ausdruck in ihren Augen werde ich nie vergessen, als ich ihr damals erzählt habe, dass ich die Schneekugel hier in Bellagio gekauft habe.“
Petra schaute sich noch eine ganze Weile in dem liebevoll ausgestatteten Laden um und kaufte schließlich zwei kleine Gläser aus Muranoglas, die in ihrer künftigen Wohnung einen ganz besonderen Platz erhalten sollten.
Beim Verlassen des Geschäfts gab ihr die freundliche Verkäuferin noch einen Tipp mit auf den Weg. „Wenn Sie ein wenig abseits der Hektik hier im Ort verweilen möchten, dann sollten Sie einmal die Giardini di Villa Melzi besuchen. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihnen dort sehr gut gefällt.“
Inzwischen war es Mittag geworden und Petra nahm auf der Sonnenterrasse einer Pizzeria in der Oberstadt Platz. Hier war es jetzt um die Mittagszeit in den Gassen angenehm kühl. Petra ließ sich vom Kellner ein Mineralwasser und einen Salat bringen sowie ein geröstetes Brot mit Olivenöl.
So gestärkt fiel Petra der kleine Fußmarsch zur Villa Melzi nicht schwer. Während des Essens hatte sie sich ein wenig über den botanischen Garten sowie die Skulpturenausstellung dort via Smartphone informiert. Petra war zwar nicht sonderlich kunsthistorisch interessiert, aber sie mochte Orte, die eine besondere Ausstrahlung hatten – und die Villa Melzi versprach ein solcher Ort zu sein.
Und tatsächlich wurde die junge Frau nicht enttäuscht. Der Garten, der von Mitte März bis Ende Oktober für Besucher geöffnet war, war jetzt – Ende Mai und zur Mittagszeit – tatsächlich ein fast verwunschener Ort. Außer Petra waren nur wenige Touristen unterwegs, sodass sie die Schönheit dieses Ortes in vollen Zügen genießen konnte. Petra wählte zunächst den Weg am Wasser entlang zur Villa. Sie schlenderte unter den großen kräftigen Platanen hindurch und fühlte sich durch deren ausladende Äste und Blätter, die wie ein Schirm geformt waren, fast ein wenig behütet. Der Weg endete auf dem Vorplatz der Villa selbst, von dem aus man einen tollen Blick über den See genießen konnte.
„Dort drüben“, dachte Petra, „das muss Griante sein.“ Wie eine Perlenschnur reihten sich die Häuser am Ufer gegenüber auf und Petra hatte ganz urplötzlich das Gefühl, angekommen zu sein.
Sie betrachtete die vier Löwen am Treppenaufgang zur Villa und spürte die Stärke und Kraft, die von diesen steinernen Gefährten ausging. Eine Kraft, die die Luft fast zum Vibrieren brachte.
Petra setzte den Rundgang durch den Park fort, ließ sich Zeit und blieb auf der ein oder anderen Bank sitzen, um zu verweilen und den Ort auf