Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern. Damon Korb

Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern - Damon Korb


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Schritte notwendig. Sie sehen also: Selbst für einfache Aufgaben wie das Anziehen muss das Gehirn des Kindes eine komplizierte Abfolge diverser Gehirnfunktionen leisten. Wenn man es so sieht, ist es doch fast ein Wunder, dass es Kinder jeden Tag in die Schule schaffen.

      Nervenstränge im Gehirn haben die gleiche Funktion wie Straßen in einer überfüllten Stadt. Sie ermöglichen die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnregionen. Das Nervensystem ist wesentlich komplizierter als das verstopfte Straßennetz von Los Angeles. Tatsächlich gibt es Billionen brillant abgestimmter Nervenbahnen, über die Informationen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit rasen. Diese Nerven ermöglichen die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnregionen. Bei so viel Verkehr mit so hohen Geschwindigkeiten im Gehirn würde man doch erwarten, dass häufig auch „Unfälle“ auftreten. Und wenn solche „Unfälle“ auftreten, was tatsächlich vorkommt, wie würden sie aussehen? Stellen Sie sich ein Kind vor, das im Unterricht die Hand hebt. Der Lehrer nimmt es dran, doch der Schüler vergisst, was er sagen wollte. Denken Sie an ein Kind, das mit den Antworten herausplatzt, obgleich der Lehrer noch spricht, oder das die telefonierenden Eltern einfach unterbricht. Beachten Sie das Kind, das einen emotionalen Zusammenbruch bekommt, wenn es nicht nach seiner Vorstellung läuft. Wenn sich Kinder nicht von dem Fernseher oder Computer trennen können, um sich für die Schule fertig zu machen, kann ein solcher mentaler Zusammenbruch auftreten. Diese Zusammenbrüche treten bei allen Menschen auf. Sie passieren jedoch frequentierter, wenn das Gehirn einer Person ungenügend organisiert ist.

      Gehirnentwicklung

      Die Feinheiten und Funktionsweisen des Gehirns sind ein nie endendes Abenteuer. Jede Entdeckung wirft weitere Fragen auf. Die Forschung des letzten Jahrhunderts gewährt uns einen Einblick in die Frage, wie das Gehirn organisiertes Denken unterstützt. Wir wissen nun, dass es bestimmte Regionen im Gehirn gibt, die zusammenarbeiten und organisiertes Denken und Handeln unterstützen. Manche Entdeckungen passierten aus Versehen (dennoch hilfreich, obwohl sie zufällig bei einer Forschung zu einem anderen Thema gemacht wurden), beispielsweise solche, die bei der Untersuchung unbeabsichtigter Gehirnverletzungen auftraten. Neuere Erkenntnisse für unser Verständnis des Gehirns sind durch moderne, aufregende Technologien wie das Neuroimaging entstanden. Das Imaging (Bildgebung) des Gehirns erlaubt es nicht nur, Aufnahmen verschiedener Gehirnregionen zu machen. Man kann vielmehr den Blutfluss innerhalb des Gehirns betrachten, während Patienten verschiedene Denkaufgaben lösen. Der Zusammenhang besteht darin, dass die aktivierten Gehirnregionen mehr Blut für die Sauerstoffversorgung benötigen. Teile der exekutiven Funktionen (für Planen, Aufgabenerledigung und Selbstkontrolle benötigte Fähigkeiten des Gehirns) können mit spezifischen Papier-und-Stift-Denkaufgaben gemessen werden. So können die Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Organisation direkt in der Arztpraxis betrachtet werden. Mit diesen Messmethoden können nun Menschen mit Schwierigkeiten und Hochbegabungen untersucht werden. Wissenschaftler können so das kollektive Verständnis über die effiziente Funktionsweise des Gehirns erweitern. Mit diesen Werkzeugen lassen sich durch die Untersuchung von Kindern verschiedenen Alters Richtwerte oder Meilensteine für die Kindesentwicklung ableiten. Anhand dieser können Eltern erkennen, wieviel Unterstützung ihr Kind benötigt.

      image Der berühmte Fall des Phineas Gage

      Seit dem berühmten Fall des Phineas Gage wird der Frontallappen in der wissenschaftlichen Literatur mit den exekutiven Funktionen assoziiert. Phineas Gage ist die erste ausführlich dokumentierte Person, die eine schwere Gehirnverletzung überlebt hat. Die folgende Persönlichkeitsveränderung ließ Wissenschaftler vermuten, dass bestimmte Gehirnfunktionen in bestimmten Gehirnregionen lokalisiert sind. Phineas Gage war Vorarbeiter einer Eisenbahnbaukolonne. Am 13. September 1848 haben er und seine Crew Sprengstoff verwendet, um den Weg für die Rutland-Burlington-Eisenbahnstrecke in Vermont freizuräumen. Als Gage gerade mit einem Stopfeisen Schießpulver in das Loch eines Felsens drückte, führte ein Funke zu einer versehentlichen Explosion. Diese feuerte die 1 m lange und 3 cm breite Stange durch seinen Kopf. Das Stopfeisen trat unterhalb seines linken Wangenknochens ein, flog vollständig durch die Oberseite des Kopfes und landete 23–27 m hinter ihm. Gage wurde zwar von der Explosion umgeworfen, blieb jedoch möglicherweise bei Bewusstsein, obwohl der Großteil der linken Hälfte des Gehirns zerstört war!

      Auf wundersame Weise überlebte Gage den Unfall; wahrscheinlich aufgrund der hohen Hitze, sodass die Blutgefäße kauterisiert oder versiegelt wurden, sodass es nur begrenzt zu Blutungen kam. Er wurde für zehn Wochen in ein Krankenhaus eingewiesen und dann entlassen, um sein alltägliches Leben fortzusetzen. Gut neun Monate später fühlte sich Gage stark genug, seine Arbeit fortzusetzen. Jedoch hatte er Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Berichten zufolge war er vor dem Unfall ein kompetenter und effizienter Arbeiter und Team-Koordinator. Nach dem Unfall war er jedoch ungeduldig, starrsinnig, unruhig und ziemlich vulgär. Er war nicht in der Lage, seine Zukunftspläne umzusetzen. Seine Freunde sagten, dass er „nicht mehr Gage“ gewesen sei. Gage lebte weitere elfeinhalb Jahre. Seinen Beruf als Vorarbeiter nahm er nie wieder auf. Stattdessen arbeitete er in Ställen in New Hampshire und Chile. Außerdem war er für ein paar Jahre eine lebende Ausstellung in New York. Er starb 1860 und sieben Jahre später wurde sein Körper für Forschungszwecke exhumiert. Sein Schädel und das Stopfeisen sind nun in der medizinischen „Countway“ Bibliothek der Harvard University ausgestellt. Die Relikte sind ein Symbol der frühen Gehirnforschung.

      In der letzten Zeit haben Forschungen über Gehirnverletzungen, vor allem Schlaganfälle, geholfen, isolierte Gehirnfunktionen schematisch zu beschreiben. Ein Schlaganfall tritt auf, wenn die Blutversorgung einer Gehirnregion beeinträchtigt ist. Manchmal können diese Vorfälle ganz bestimmte Gehirnregionen betreffen. Kommt es zu einem Schlaganfall im präfrontalen Cortex durch die Blockade oder ein Leck eines Blutgefäßes, können Mediziner anhand von Beeinträchtigungen bei bestimmten Alltagsaufgaben Rückschlüsse auf den genauen Ort der Gehirnverletzung ziehen. Alltagsaufgaben (wie Kochen, Haushalt, Einnahme verschriebener Medikamente) benötigen Planung. Diese scheint von bestimmten zerebralen Gefäßverletzungen (z. B. Schlaganfällen) negativ beeinträchtigt zu werden. Die Folgen von Verletzungen des präfrontalen Cortex wurden bei Rehabilitationen dokumentiert.7 Claudia Allens Test der kognitiven Fähigkeiten (Allen Cognitive Level Screen (ACLS)) bewertet die Leistungen des Patienten bei den exekutiven Funktionen.8 Die Ergebnisse beziehen sich auf Alltagsaufgaben, die Planung benötigen. Mit Neuroimaging und Messmethoden wie dem ACLS können Wissenschaftler folglich bestimmte Hirnregionen mit bestimmten Fähigkeiten verknüpfen.

      Durch modernes Neuroimaging sehen wir Live-Aufnahmen des denkenden Gehirns. Die Technologie erlaubt es Wissenschaftlern, die Sauerstoffzufuhr genau zu verfolgen, während Kinder denken (z. B. Rechnen oder Puzzle lösen). So können sie feststellen, welche Gehirnregionen bei bestimmten Arten des Denkens aktiv sind. Außerdem können elektrische Ströme durch die quantitative Elektroenzephalographie (QEEG) gemessen werden, da Nerven durch eine Spannung stimuliert werden. Beim Denken lassen sich also im Gehirn elektrische Ströme feststellen. Bei so präzisen Messmethoden stellt sich doch die Frage, warum man nicht von jedem Kind ein Neuroimaging macht, sodass man feststellen kann, ob das Kind ADHS, Autismus oder etwas anderes hat.

      Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert. Von dem geringen gesundheitlichen Risiko dieser Tests abgesehen, liegt es vor allem an der Ungenauigkeit. Diese medizinischen Tests erzielten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches in den meisten Fällen keine genauere Diagnose als ein guter Mediziner im Patientengespräch. Die Schwierigkeit liegt darin, dass jedes Gehirn in der Vernetzung einzigartig ist. Eine Diagnose wäre einfach, wenn jedes Gehirn gleich aufgebaut wäre und man ein Nervenbündel finden könnte, das an der falschen Stelle sitzt. Tatsächlich hat jedoch jedes Gehirn eine ganz eigene Architektur.

      Um die Variabilität im Gehirn zu erklären, eignet sich ein Streudiagramm. Ein einfaches Beispiel ist die Schätzung des Geschlechts einer Person anhand der Haarlänge. Die meisten Mädchen wären auf der Langhaar-Seite des Streudiagramms, die meisten Jungs auf der Kurzhaar-Seite. Dann gibt es aber einige Mädchen, die kurze Haare haben, und wiederum Jungs, die längere Haare als viele Mädchen besitzen. Folglich kann man das Geschlecht in Abhängigkeit von der Haarlänge


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