Butler Parker Box 9 – Kriminalroman. Günter Dönges
selbst Schauspielerin sein können, so attraktiv wirkte sie. Im Grunde war sie der kleinen Grade tausendfach überlegen. Sie mochte etwa dreißig Jahre alt sein.
Winchel, der Filmproduzent, konnte ebensogut fünfzig wie sechzig Jahre alt sein. Er wirkte wie ein unbehauener Steinblock, seine Manieren waren vulgär, zupackend und ohne Eleganz.
Butler Parker musterte unauffällig die Anwesenden und registrierte jede Kleinigkeit. Er interessierte sich ferner für die beiden Stewards, die erstklassig geschult waren und vor Parkers Augen glänzend bestanden. Er hatte nichts an ihnen auszusetzen.
Die Gespräche verliefen in munteren, nichtssagenden Bahnen. Mike Rander hatte keine Gelegenheit, Trotters zu erwähnen. Es war vor allen Dingen Helen Grade, die immer wieder das Gespräch an sich riß und albern lachte.
Nach dem Essen setzte sich die Mehrzahl der Gäste an die kleine Bartheke und würfelte. Parker und Rander verließen den Salon und gingen hinaus auf Deck. Die Sonne stand bereits tief im Westen. In einer guten Stunde würde es dunkel werden.
»Sieht nicht gerade begeisternd aus, wie?« fragte Rander.
»Sir, ich glaube, es gibt nur einen Weg, an das Verbrechen heranzukommen«, erwiderte Parker. »Man muß den Mörder, oder diejenigen, die den Mord verübt haben, in ein gewisses Stadium der Nervosität hineinsteigern.«
»Wie stellen Sie sich das vor …?«
»Mister Rander, ich hatte seinerzeit die Ehre, für den Duke of Bandsbury zu arbeiten«, begann Parker elegisch. »Aus dieser Zeit ist mir ein Fall in angenehmer Erinnerung, den zu erzählen ich auf keinen Fall an dieser Stelle versäumen möchte.«
»Später, Parker, später«, sagte Rander schnell. »Halten Sie sich an Tatsachen, Ihr Duke interessiert mich nicht.«
»Wie Sie es wünschen, Sir«, antwortete Parker steif. »Wir wollen den Mörder wissen lassen, daß wir Verdacht geschöpft haben, wir sollten aber auf keinen Fall öffentlich von unserer Vermutung reden.«
»Wir sollen also wieder einmal den Köder spielen?«
»Das, Sir, würde ich für sehr angebracht halten. Der Mörder muß auf uns aufmerksam werden. Er wird mit einiger Sicherheit von einer gewissen Nervosität ergriffen werden und sich aller Wahrscheinlichkeit nach zu unüberlegten Taten hinreißen lassen.«
»Solch eine Tat könnte sein, daß er Sie über Bord wirft …!«
»Für diesen Fall werde ich ab sofort nur noch mit angelegter Schwimmweste das Deck betreten«, sagte Parker.
»Und sich dabei lächerlich machen, wie?«
»Sir«, sagte Parker milde und verzeihend, »ich bin es gewohnt, daß man über mich lacht. Ein Mann von Charakter wird sich von solchen Dingen nicht unterkriegen lassen … Aber nur so werden wir den Mörder aus seiner Reserve herauslocken können. Er muß wissen, daß wir Verdacht geschöpft haben.«
»Es gibt auch schlaue Mörder …«
»Sie vergessen das Gewissen, das ein Mörder hat«, entgegnete der Butler, »wenngleich ich zugeben will, daß es hier Gradunterschiede gibt.«
»Okay …, und wie wollen wir den Mörder nervös machen?«
»Wurde Trotters Kabine versiegelt?«
»Natürlich nicht …«
»Dann werde ich mir erlauben, dort einmal eine kleine Untersuchung vorzunehmen«, sagte Parker. »Sie, Mister Rander, können vielleicht dafür sorgen, daß man mir keine Unannehmlichkeiten bereitet, ja?«
»Moment mal, Parker«, sagte Mike Rander nachdenklich. »Der Plan ist gut, weil er einfach ist, aber er ist auch sehr gefährlich. Wir befinden uns auf einem Boden, den wir nicht kennen. Wir wissen noch nicht einmal, von welcher Seite uns Gefahr droht. Ich habe keine Lust, Sie zu verlieren.«
»Sie vergessen meine Handbücher und meine Erfahrungen«, entgegnete Josuah Parker. »Ich glaube, mich ausreichend gewappnet zu haben.«
»Na schön, lassen wir es wenigstens auf einen Versuch ankommen. Während Sie in der Kabine nachsehen, werde ich mich mit Strander über Trotters unterhalten. Vielleicht erhalte ich einen Tip, der uns weiterbringen kann.«
Sie trennten sich.
Mike Rander ging zurück in den Salon, während Butler Parker zu den Kabinen ging.
Bevor er die Ecke des Ganges erreicht hatte, hörte er ein seltsames Geräusch, das er nicht zu identifizieren vermochte. Parker stellte sich sofort auf seine Zehenspitzen und schlich sich vorsichtig an die Ecke heran.
Als er einen Blick in den zweiten Teil des Korridors warf, sah er einen der beiden Stewards, der gerade eine Kabine verließ und die Tür vorsichtig verschloß. Parker erkannte die Nummer an der Kabinentür. Es war immerhin erstaunlich, daß der Steward aus der Behausung des ertrunkenen Trotters kam.
Parker wartete, bis der Steward auf ihn traf.
Der Mann, ein schlanker Bursche von etwa 25 Jahren, dessen Gesicht einen asiatischen Zuschnitt aufwies, hob überrascht den Kopf. Seine Augen waren unergründlich schwarz und ließen keine Rückschlüsse über die Art seiner Gedanken zu.
»Verzeihung, Sir …«, sagte der Steward eifrig und trat zur Seite.
Parker lüftete seine Melone und schritt weiter. Er wußte genau, daß er beobachtet wurde, aber er zeigte es nicht. Er hielt den Zeitpunkt für gekommen, die erste Leimrute auszulegen. Er ging an die Kabinentür Trotters und drückte die Klinke herunter.
»Suchen Sie etwas, Sir …?« fragte ihn der Steward, der wirklich an der Biegung stehen geblieben war.
»Meine Kabine«, erwiderte Parker und bemühte sich mit Erfolg, seiner Stimme einen hilflosen Ausdruck zu geben.
»Ganz am Ende rechts vor dem Schott«, erwiderte der Steward.
»Ehrlich gesagt, ich hatte die Nummer vergessen«, sagte Parker und schüttelte den Kopf. »Ja, man wird alt, mein Lieber … Haben Sie einen Moment Zeit für mich?«
»Aber gewiß, Sir.«
»Wollen Sie mir helfen, mein Schlauchboot auf dem Schrank zu verstauen?« fragte Parker.
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, erwiderte der Mann spöttisch. »Wir haben aber Rettungsboote an Bord.«
»Ich liebe die Sicherheit«, entgegnete Parker. »Stellen Sie sich vor, ich hörte doch eben, daß vor zwei Nächten der Sekretär von Mister Strander über Bord gefallen ist.«
»Ein wirklich bedauernswerter Zwischenfall«, antwortete der Steward. »Das braucht sich aber nicht zu wiederholen …«
»Hoffentlich, hoffentlich«, sagte Parker. »Ich habe mir das Deck angesehen, Steward, ich kann mir den Unfall gar nicht erklären. Die Reling machte auf mich einen sehr sicheren Eindruck.«
»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, sagte der Steward. »Vielleicht beugte sich Mister Trotters etwas zu weit über die Reling und verlor das Gleichgewicht.«
»Das wäre eine Erklärung«, gab Butler Parker zu. »Ich wundere mich nur, daß Mister Trotters dabei nicht einen Schrei des Entsetzens ausstieß. Das macht man doch in solchen Fällen.«
»Liegt das Schlauchboot so richtig?« fragte der Steward, der inzwischen gearbeitet hatte. Er war vom Schrank zurückgetreten und sah den Butler fragend an.
»Ausgezeichnet«, lobte Josuah Parker. »Sagen Sie, Steward, hatte Trotters Feinde …?«
»Wie kommen Sie darauf, Sir?« fragte der Mann zurück und sah den Butler mißtrauisch an.
»Nur eine Frage«, meinte Parker lächelnd. »Machen Sie sich nur keine Gedanken, Steward. Übrigens habe ich da noch eine Bitte, die Sie aber bitte vertraulich behandeln sollten. Können Sie mir den Schlüssel zu Trotters Kabine besorgen?«
»Sir, ich weiß nicht recht … Die Kabine ist verschlossen. Der Schlüssel