Quantumdrift. Tilo Linthe

Quantumdrift - Tilo Linthe


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      Quantumdrift

      Tilo Linthe

      Impressum

      Copyright: Tilo Linthe

      Jahr: 2020

      ISBN: 9789463984492

      Lektorat/ Korrektorat: Balg

      Verlagsportal: meinbestseller.de

      Gedruckt in Deutschland

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie (falls zwei Pflichtexemplare an die DNB geschickt werden!).

      Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig

      Unfall

      Im Nachhinein sagte sich Sam immer wieder, dass sein Tod nichts mit seiner besonders aggressiven Fahrweise an jenem verregneten Novembertag im Jahr 2017 zu tun gehabt hatte …

      Mit einer wütenden Bewegung schaltete er zurück in den dritten Gang, dass es nur so krachte. Er trat das Gaspedal voll durch und der Motor des schmutzigen grünen VW Polo heulte gequält auf. Die alten Bäume am Straßenrand rasten immer schneller an ihnen vorbei. Mit einem Anflug Genugtuung zog Sam zunächst mit dem 5er BMW gleich, doch der Fahrer wollte ihn nicht vorbeilassen, beschleunigte auf der regennassen Landstraße.

      Der entgegenkommende LKW signalisierte bereits mit Lichthupe - aber bremsen und wieder hinter dem silbergrauen Straßenflitzer einordnen? Diesmal nicht, dachte Sam und übte noch mehr Druck auf das Gaspedal aus, das bereits bis zum Anschlag durchgetreten war. Und endlich … der BMW-Fahrer hatte ein Einsehen, bremste stark und fiel hinter Sam zurück. Der zog den Polo auf die rechte Spur, kurz bevor es zu spät war, und der LKW hupte im Vorbeifahren wütend. Aufgewirbeltes Regenwasser landete auf der Windschutzscheibe, mühsam quietschend wischte der Scheibenwischer sie wieder frei. Der BMW jagte dicht hinter Sams verbeultem Polo; gnadenlos, wie ein Löwe seine Beute verfolgt.

      "Bist du wahnsinnig?! Willst du uns umbringen?!", platzte die angestaute Panik aus Lariana heraus.

      Schuldbewusst blickte Sam kurz zum Beifahrersitz hinüber und in vor Schreck geweitete Augen.

      "Tut mir leid …", murmelte er.

      "Du hast doch einen Vollknall!" Verkrampft saß sie da, was ihrer Figur einen unerklärlichen Reiz verlieh - im gleichen Moment schämte sich Sam auch schon für die Richtung, die seine Gedanken von allein einschlugen.

      Eine Weile blieb es still im Auto. Nur das Quietschen der Scheibenwischer war zu hören. Dann registrierte Sam aus den Augenwinkeln, dass sich seine Mitfahrerin wieder etwas entspannte.

      Ruhiger fragte Lariana nun: "Was ist denn los? Du fährst doch sonst nicht so aggressiv."

      Sam presste die Lippen aufeinander. Er wollte ihr nicht schon wieder die gleiche Geschichte erzählen - im Grunde genommen die Geschichte seines Lebens. Seit drei Jahren bildeten Lariana und er nun schon eine Fahrgemeinschaft, und seit drei Jahren erzählte er sie ihr. Diesmal nicht, dachte Sam noch einmal mit finsterem Blick.

      Da blitzte es rot auf. Reflexhaft trat er auf die Bremse, obwohl es dafür viel zu spät war. Der Blitzer hatte ihn erwischt. Schuldbewusst blickte er in den Rückspiegel, doch der BMW war weit hinter ihm zurückgefallen. Der Fahrer kannte den fest installierten Blitzer offenbar genauso wie er, fuhr die Strecke wahrscheinlich jeden Tag - wie er - und lachte sich gerade über ihn kaputt. Das war dann wohl die gerechte Strafe für das riskante Überholmanöver. Sam schlug mit der flachen Hand so hart gegen das abgewetzte Lenkrad, dass es schmerzte.

      "War es heute wieder schlimm?" Lariana ließ nicht locker.

      Sam bewunderte sie für ihre Geduld. Seit sie zusammen fuhren ging das so. Sie war so etwas wie seine Seelsorgerin geworden, sein Kummerkasten. Ohne sie hätte er es in dieser verdammten Behörde nicht ausgehalten. Aber was machte sie eigentlich beruflich? Verwundert stellte Sam fest, dass er außer ihrer Adresse, an der er sie jeden Morgen abholte und abends wieder absetzte, nichts über Lariana wusste.

      "Haben sie wieder jede deiner Bewegungen nachgeäfft?"

      Sam schüttelte den Kopf.

      "Wasser über Stuhl und Tisch gekippt?"

      Wieder ein Kopfschütteln.

      "Jetzt erzähl schon! Was war los? Sonst enden wir heute noch an einem Baum." Ihre Stimme bohrte sich unerbittlich durch seine Wand aus Schweigen.

      Wie sie es nur aushielt, sich auf fast jeder Fahrt sein Leid anzuhören?

      "Ich hab ein Disziplinarverfahren am Hals." Sam richtete die Lüftung auf die Frontscheibe, die wegen des feuchten Wetters immer wieder beschlug. Die warme Luft roch leicht verbrannt - der Polo war eben nicht das neueste Modell. Und dann flossen die Worte nur noch so aus ihm heraus, wie Wasser aus einem geplatzten Rohr.

      "Ich stand in der Teeküche und wollte mir Tee kochen. Da standen sie plötzlich hinter mir, umringten mich und grinsten nur blöd. Karsten hat sich wie immer zum Sprecher gemacht."

      Sam spürte Larianas sorgenvollen Blick auf sich. Kurz blickte er zu ihr hinüber. Sie hatte ihre vollen Lippen leicht geöffnet, das machte sie immer, wenn sie konzentriert zuhörte.

      "'Na, Njuman? Diesmal kriegen wir dich endlich! Bist zwar glitschig wie ein Fisch, aber diesmal entkommst du uns nicht', hat er gesagt. 'Der Chef will dich sehen - sofort!' Sie haben mich in ihre Mitte genommen und wie einen Gefangenen zur Bürotür geführt." Beiläufig registrierte Sam, wie der BMW hinter ihm ausscherte.

      Mit spielerischer Leichtigkeit beschleunigte das silbergraue Wunderwerk deutscher Ingenieurskunst, zog an ihm vorbei und ordnete sich vor ihm wieder ein. Diesmal gab es keine Lichthupe des entgegenkommenden Fahrzeugs.

      "Karsten hat mir sogar mit unterwürfiger Geste die Bürotür aufgemacht. Das muss der Büroleiter eigentlich mitbekommen haben, hat es aber ignoriert. Dafür hat er dann zu mir gesagt, er könne nicht anders. Er wisse zwar, dass an den Vorwürfen der Untreue nichts dran sei, aber wenn die ganze Abteilung so eine Behauptung aufstelle, seien ihm die Hände gebunden. Solchen Verdachtsmomenten müsse er nachgehen."

      Lariana seufzte und schüttelte den Kopf. War sie genervt? Trotz ihrer Vertrautheit untereinander konnte Sam Lariana immer noch schwer einschätzen. Obwohl sie schon so lange miteinander fuhren, hatten sie sich noch nie privat getroffen. Das Bedauern darüber ließ Sams Magen kurz prickeln, als hätte er Brausepulver geschluckt. Wer wollte auch schon mit einem Versager wie ihm zu tun haben?

      "Warum lässt du dir das gefallen?", fragte sie. "Du musst dich dagegen wehren, Sam! Das ist nicht nur Mobbing, sondern Rufmord!"

      "Wenn das nur so einfach wäre …"

      "Du musst dagegen kämpfen!" Ihre Stimme klang leidenschaftlich. Das machte sie noch begehrenswerter.

      "Aber wie?"

      "Du kannst zur Beschwerdestelle gehen … oder zur Polizei. Ich würde diese Schweine anzeigen!"

      Sam fühlte sich ohnmächtig - wieder einmal … Lariana musste ihn für einen Schlappschwanz halten, der es nicht einmal schaffte, sich gegen ein paar Kollegen zu verteidigen. Sam legte einen anderen Gang ein und es ratterte - das passierte in letzter Zeit immer öfter. Lange würde der Polo es wohl nicht mehr machen.

      "Entschuldige, ich weiß ja, dass das nicht dein Stil ist", hörte Sam Lariana neben sich sagen.

      "Mh … Es lässt sich sowieso nichts mehr daran ändern." Er wusste, dass sie es nur gut mit ihm meinte, aber ihre Vorschläge stärkten nicht sein Selbstbewusstsein. Wenn sich seine Arbeitskollegen wieder einmal etwas Neues ausgedacht hatten, konnte er nur dastehen und alles über sich ergehen lassen. Kein Laut des Protests, nicht der leiseste Hauch einer Gegenwehr kam dann über seine Lippen. Kein Wunder, dass sie sich ausgerechnet ihn als Opfer ausgesucht hatten. Sam hasste sich dafür selbst, und wieder stieg Wut in ihm hoch. Prompt trat


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