Quantumdrift. Tilo Linthe

Quantumdrift - Tilo Linthe


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      "Soll das ein Scherz sein?"

      "Sehe ich aus, als würde ich Scherze machen?"

      Nein, ganz gewiss nicht. Sams Magen fühlte sich flau an. War es wirklich die Schwerelosigkeit?

      "Soll das heißen, wir sind im Weltraum?"

      Ein kurzes Nicken ihrerseits.

      "Schau!" Wieder ein ärgerlicher Hieb auf die Konsole, den Sam in seiner Magengegend wie einen Faustschlag empfand.

      Das Bild veränderte sich - ein Planet wurde eingeblendet, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Schwarze Linien durchzogen seine Oberfläche wie ein Netz und es fehlte ein Stück - ein großes Stück. Als hätte ein kosmischer Riese seine Wut mit einer Hacke an dem Planeten ausgelassen und erst aufgehört, nachdem er ein Viertel herausgeschlagen hatte. Das Loch wirkte auf Sam wie eine offene Wunde, und die Szene war so unwirklich, dass sich wieder das Gefühl einstellte, in einem Traum gefangen zu sein, aus dem er einfach nicht aufwachen wollte.

      "Wo bin ich hier gelandet?!"

      "Big-Five-System"

      "Big Five … die großen Fünf?"

      "Fünf kosmische Phänomene wie dieses da." Sie deutete auf den Bildschirm. "Broken."

      Besonders gesprächig war sie nicht. Ihre hervorgeschossenen Sätze passten zu dem Bild, das er bis jetzt von ihr hatte.

      "Dann sind wir also nicht in unserem Sonnensystem?"

      Sie schüttelte unwillig den Kopf und deutete aggressiv auf den Bildschirm vor sich, auf dem der gemarterte Planet Sams Weltbild verhöhnte. Nein, im heimischen Sonnensystem konnten sie nicht mehr sein. Von der Entdeckung eines solchen Planeten hätte er gehört.

      "Wie ist das passiert?"

      Sie zuckte mit den Schultern. Kurz huschte Ärger über ihr Gesicht.

      "Vielleicht wüssten wir es, wenn man uns gestatten würde ..." Sie unterbrach sich. "Ach, das soll dir der Captain erklären." Wieder hämmerte sie energisch auf ihrer Konsole herum.

      Auf dem Bildschirm wurde Broken immer kleiner. Auf Knopfdruck hin zoomte das Bild heran und ein goldschimmerndes Gebilde wurde sichtbar - ein größerer Ring, der mit einem kleineren durch vier s-förmige Speichen verbunden war, wobei der kleinere Ring wie die Welle eines LKW-Reifens überstand. Das Ding drehte sich langsam um sich selbst, während es immer kleiner wurde

      "Von da sind wir geflohen, nicht wahr?", fragte Sam leise. Er blickte wieder auf seine goldschimmernden Arme und zurück auf den Bildschirm mit der Station. "Gibt es einen Zusammenhang?"

      Sie seufzte resigniert.

      "Warum unsere Haut die gleiche Farbe hat wie diese Station? Warum wir überhaupt neue Körper haben, wenn wir hier oben ankommen? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass auf dieser Station alle Neulinge von der Erde ankommen. Deshalb nennen wir sie Arrival."

      "Neulinge wie ich?"

      Sie warf ihm einen undeutbaren Blick zu.

      "Nicht ganz."

      "Nicht ganz?"

      "Es waren keine Neuankömmlinge von der Erde angekündigt und du bist nicht aus dem Material, das wir sonst bekommen."

      "Weil ich nicht vom Militär bin?"

      "Du kannst natürlich nichts dafür …", sagte sie. Es klang trotzdem wie ein Vorwurf. Sie gab sich einen Ruck und sagte: "Ich bin übrigens Rae."

      Sam blickte sie überrascht an. Ihre Augen strahlten plötzlich eine überraschende Wärme aus, die einen eigenartigen Kontrast zu ihrem harten Auftreten bildeten.

      "Wir docken gleich an, also halt dich bereit." Ihre Stimme klirrte wieder vor Kälte, als wollte sie ihren warmen Blick dadurch wettmachen. Sie fischte ihren Helm aus der Luft und verankerte ihn an ihrer Rüstung.

      Ein sanfter Ruck ging durch die Kapsel, gleich darauf hörte Sam ein metallisches Kratzen, als versuchte jemand von außen, mit einem überdimensionalen Topfkratzer die Oberfläche zu polieren.

      Rae schnallte sich ab und drehte sich zu Sam. Mit fast feierlichem Ton sagte sie: "Wir sind da!"

      Feinde

      Rae schwebte nach oben, während Sam noch mit seinen Anschnallgurten kämpfte. Als er sie endlich aufbekommen hatte, stellte sich das Gefühl zu fallen ein. Ihm wurde übel, weil er begann, sich unkontrolliert um die eigene Achse zu drehen, und auch das Rudern mit den Armen führte nur dazu, dass er mit der Hand irgendwo anstieß und sein Körper einen weiteren unkontrollierten Impuls bekam. In diesem Moment legte sich eine behandschuhte Hand um sein Handgelenk. Hilflos ließ sich Sam von Rae in eine enge Kammer mit Ausgang ziehen. Sie schloss die Schleuse.

      "Wo sind wir?"

      "Auf der Arkanos. Das hier ist eine Schleusenkammer." Rae wandte sich der Schleusentür zu, die sich gerade wieder öffnete. Goldgesichtige Männer und Frauen in orangefarbenen Overalls quollen durch die Öffnung - viel zu viele für den engen Raum. Mit eigenartig sparsamen Bewegungen wurde Sam ein Overall in die eine Hand gedrückt und ein paar klobige Stiefel in die andere. Es war ihm peinlich, dass er noch immer splitterfasernackt war. Schnell wollte er sich den Overall überstreifen, doch die hektischen Bewegungen ließ ihn das Gleichgewicht verlieren. Sofort begann er sich wieder unkontrolliert um die eigene Achse zu drehen und wurde abermals am Handgelenk gepackt.

      "Nicht so hastig, Sportsfreund. Das nimmt dir die Schwerelosigkeit übel", sagte einer der Goldgesichtigen.

      Etwas vorsichtiger schlüpfte Sam mit den Beinen in den Anzug und streifte sich dann den Rest über, darauf bedacht, keine hektische Bewegung zu machen. Es war ein eigenartiges Gefühl, dabei über dem Boden zu schweben. Er schaute sich nach seinen Stiefeln um, die er in der Hektik einfach losgelassen hatte. Der Goldgesichtige, der ihn gerade festgehalten hatte, winkte mit ihnen vor Sams Nase.

      "Die Stiefel ziehe vorsichtshalber ich dir an." Der Mann bückte sich und steckte ihm die Stiefel mit gleichermaßen schnellen wie vorsichtigen Bewegungen an die Füße. Dabei wirkte er, als wäre er fest mit dem Boden verwachsen. Sam fragte sich, wie es dem Kerl gelang, sich in dieser Schwerelosigkeit so sicher zu bewegen. Doch noch bevor er fragen konnte, wurde er auch schon mit sanftem Druck durch die Öffnung aus der Kammer geschoben. Nach der erdrückenden Enge war die Weite der angrenzenden Halle eine willkommene Abwechslung. Sam blickte sich suchend nach Rae um, aber sie war bereits weg. Unsicher stand er auf den Füßen, darauf bedacht, auf dem Boden zu bleiben. Es gelang ihm nicht. Wie ein Seiltänzer streckte er seitlich die Arme aus und sah sich hilfesuchend um, aber niemand schien von ihm und seinen Schwierigkeiten Notiz zu nehmen.

      "Sie müssen die Hacken zusammenschlagen, um die Stiefel zu aktivieren."

      Sam blickte sich nach der ungeduldigen Stimme um und erblickte das breite Gesicht eines Mannes mit Doppelkinn und Hängebacken. Die buschigen Augenbrauen verdeckten fast die Augen und gaben ihm den wilden Blick eines Stiers. Er hatte den Kopf leicht nach vorn geneigt, als wollte er Sam mit imaginären Hörnern aufspießen.

      "Na machen Sie schon!", wiederholte der Stier barsch.

      Sam beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, und schlug wie ein Feldwebel die Hacken zusammen. Dann spürte er, wie erst der eine und dann der andere Fuß Bodenhaftung bekam. Der Stier quittierte es mit einem Schnauben.

      "Ich bin Horst Reiniger, Cheftechniker der Arkanos. Ich hab noch 'ne Menge zu tun und wenig Zeit, also los jetzt!" Er senkte seinen Kopf noch ein Stück tiefer, nachdem er sich umgedreht hatte und losmarschierte, als würde er alles beiseitepflügen, was seinen Weg kreuzte.

      Sam stolperte hinterher. Die Fortbewegung mit den Magnetstiefeln sah einfacher aus, als sie in Wirklichkeit war, und wäre die Schwerelosigkeit nicht gewesen, wäre er wohl mehrmals hingefallen. So fiel er hinter Reiniger schnell zurück, dem die anderen Techniker hastig Platz machten, wenn sie ihn kommen sahen. Es dauerte eine Weile, bis er

      endlich bemerkte, dass Sam nicht mitkam. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen


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