Quantumdrift. Tilo Linthe

Quantumdrift - Tilo Linthe


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der einzige Zivilist hier oben", erklärte der Captain.

      "Was wollen Sie damit sagen?"

      "Ich will damit sagen, dass eigentlich nur Soldaten ins Big-Five-System kommen. Mit den Vinculan haben Sie ja bereits Bekanntschaft gemacht - sie sind der Grund, warum die Konvergenz unsere Hilfe braucht. Warum sie jetzt auf einmal anfangen sollten, Zivilisten zu rekrutieren, ist mir schleierhaft."

      "Warum bin ich dann hier?"

      "Ja, das ist die große Frage. Ich hoffe, die Konvergenz kann sie beantworten. Ihr Kommen wurde uns jedenfalls nicht angekündigt, und damit auch nicht der Grund, warum."

      "Die Konvergenz?", fragte Sam.

      Der Captain seufzte, während die Sensoren der Arkanos ihre Aufmerksamkeit auf das nächste Feld im Suchmuster richteten.

      "Das können Sie natürlich nicht wissen. Die Konvergenz ist ein Zusammenschluss raumfahrender Völker."

      "So was wie … Aliens? Grüne Männchen? Marsianer? Diese Art von raumfahrenden Völkern?", fragte Sam ungläubig.

      "Sie sind zwar nicht grün, aber im Prinzip liegen Sie richtig."

      "Und wir gehören dazu? … Also entweder ich war länger tot, als bisher gedacht, oder ich habe zu selten Tagesschau geguckt."

      Der Captain schüttelte den Kopf.

      "Nein, sind sie nicht und haben sie nicht. Auf der Erde ist immer noch Oktober im Jahr 2017 - was hier oben passiert, hat mit da unten nichts zu tun."

      "Womit hat es dann zu tun?"

      "Um es bildhaft zu formulieren: Wir sind hier, um für die Konvergenz die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sie ist auf uns aufmerksam geworden, als eines ihrer Raumschiffe auf der Erde abstürzte. Das gab eine helle Aufregung damals."

      "Aufregung? Also habe ich doch zu selten Tagesschau geguckt!"

      "Das ist schon eine Weile her. Sie müssen wissen, wir operieren bereits seit 70 Jahren im Big-Five-System."

      "Ja, aber selbst wenn es 70 Jahre her ist - abgestürzte Aliens wären mir sicher nicht entgangen. Selbst wenn das nur in Geschichtsbüchern stehen würde."

      "Tut es aber nicht. Die Aufregung war zwar groß, damals, aber man konnte die Sache geheim halten. Mehr oder weniger zumindest. Schon mal was von Roswell gehört?"

      Da klingelte in Sam tatsächlich etwas. 1947 waren in der Nähe dieses Ortes merkwürdige futuristische Fragmente gefunden worden. Schnell machte das Gerücht eines abgestürzten Raumschiffs die Runde. Die US-Regierung hatte behauptet, dass lediglich ein Wetterballon abgestürzt sei - dennoch pilgerten bis heute jedes Jahr Gläubige zu diesem Wallfahrtsort der Verschwörungstheorien.

      "An der Sache war also doch mehr dran …", sagte Sam nachdenklich.

      "Kann man so sagen - das waren die Kienar. Bilder von ihnen geistern noch heute durch die Medien. Große graue Gestalten mit überlangen, zerbrechlich wirkenden Armen und Beinen. Dazu ein großer Kopf mit schmalem Gesicht, lippenlosem Mund und großen schwarzen Augen. Sie sind uns gar nicht so unähnlich: Sie trinken Wasser, atmen Sauerstoff und vertragen das meiste, was wir Menschen an Nahrung zu uns nehmen. Der größte Unterschied ist mentaler Natur - physische Gewalt ist ihnen völlig fremd."

      "Mir ehrlich gesagt auch", erwiderte Sam.

      Captain Connor sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an und schwieg nachdenklich. Dann fragte er: "Sind Sie verheiratet?"

      "Nein, wieso?"

      "Stellen Sie sich vor, Sie wären es. Sie hätten eine Frau, die sie lieben, und zwei wunderbare Kinder. Eines Tages bricht jemand in Ihr Haus ein und bedroht Ihre Familie. Sie hätten eine Pistole, sagen wir eine 45er Automatik in der Hand. Was würden Sie tun?"

      "Bei uns sind Waffen verboten", wandte Sam ein, obwohl er ahnte, worauf der Captain hinauswollte.

      "Was würden Sie tun?", beharrte der ruhig.

      "Es wäre Notwehr …", umging Sam eine direkte Antwort.

      "Richtig. Sie wüssten, was Sie zu tun hätten. Wenn ich Ihnen eine Keule in die Hand gebe, dann wissen Sie, wozu man sie verwenden kann, oder?"

      "Um die Schale einer Kokusnuss zu öffnen."

      "Oder?"

      "Ist ja gut … Oder den Schädel eines Menschen."

      "Sehen Sie? Sie verstehen das Konzept physischer Gewalt. Das tun die Kienar und die anderen Völker der Konvergenz nicht."

      "Sie meinen, wenn man ihnen eine Keule in die Hand drückt und ihnen erklärt, was man damit machen kann, würden sie es nicht verstehen?"

      "Genau. Wir hatten es anfangs schwer, ihnen begreiflich zu machen, was ein Soldat ist."

      "Aber wie verträgt sich das mit Darwin und dem Überleben des Stärkeren? Hätten sie da nicht längst von der Evolution ausgesiebt werden müssen?"

      Das grüne Quadrat sprang auf das nächste Gitterfeld.

      "Die Evolution ist kompliziert. Wir tun immer so, als hätten wir die Geheimnisse der Entstehung des Lebens enträtselt, aber in Wirklichkeit tappen wir im Dunkeln. Der Mensch ist keineswegs das stärkste, größte oder schnellste Geschöpf auf der Erde - trotzdem hat er sich durchgesetzt. Unsere Wissenschaftler sind der Meinung, dass man nur friedliche Völker zwischen den Sternen findet."

      "Warum?"

      "Alle anderen haben sich selbst ausgelöscht. Je größer die technischen Möglichkeiten, desto größer die Gefahr. Mit einer Keule, einem Schwert oder einer Lanze kann man viele Feinde töten … aber mit einer Atombombe …?"

      "Also hat die Konvergenz die Menschen angeheuert, gegen diese …", Sam suchte nach dem richtigen Wort, "Schattenwesen zu kämpfen."

      "Vinculan", verbesserte Connor ihn, während der blinkende Cursor ins nächste Feld sprang. "Wie gesagt: Das Konsistorium soll für die Konvergenz die Kastanien aus dem Feuer holen."

      Plötzlich wechselte die Farbe des fröhlich blinkenden Quadrats von Grün auf Rot. Kurz schallte ein durchdringender Alarmton über die Brücke. Sam konnte spüren, wie sich die Atmosphäre schlagartig veränderte. Urplötzlich lag Anspannung in der Luft, die sich auch auf ihn übertrug. Sam musste sich zwingen, seine Arm- und Beinmuskeln wieder zu entspannen.

      "Ortung, Statusbericht!", wies Connor an.

      "Ein Schiff der Vinculan auf Schleichfahrt, Sir. Genaue Identifizierung läuft. Sie haben unsere aktive Ortung bemerkt und ändern den Kurs."

      "Ich wünschte, wir wüssten, wo sie ihre Basis haben ...", murmelte der Captain.

      Das Bild auf dem Panoramaschirm veränderte sich. Ein Ellipsoid wurde eingeblendet, dessen obere Hälfte man abgeschnitten hatte - sie ging an den Seiten in breite geschwungene Flügel über -, während ein viel kleineres Teilstück an der Unterseite angefügt worden war. Mit dem langgezogenen Stachel, in den die viel größere obere Hälfte auslief, erinnerte das Gebilde an einen Rochen in den Tiefen des Weltraumozeans.

      Plötzlich begann der Boden unter Sams Füßen zu vibrieren. Seine Glieder wurden schwer. Gegenstände, die vorher durch den Raum geschwebt waren, fielen scheppernd zu Boden. Sam begann zu schwitzen.

      Auf dem Panoramabildschirm wurde in einem Ausschnitt schematisch ihre Flugbahn dargestellt, die von Broken und Arrival weg in den offenen Weltraum führte. Das Rochenschiff kam näher, und auf dem Bildschirm erschien eine Wolke aus Lichtpunkten, eingerahmt von roten Quadraten, die sich noch schneller näherten.

      "Sie haben Raketen abgefeuert!", rief der Ortungsoffizier alarmiert.

      Sam spürte, wie sich seine Anspannung noch ein Stück erhöhte. Er versuchte jetzt gar nicht, seine Muskeln zu entspannen, krallte sich stattdessen in die Armlehnen seines Sessels. Doch der Captain blieb gelassen.

      "Ausweichmanöver! Täuschkörper auswerfen!"

      Viele grüne


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