Quantumdrift. Tilo Linthe
Druckwelle, die das riesige Fragment des feindlichen Raumschiffs und kurze Zeit später auch die Arkanos traf. Es fühlte sich an, als wären sie doch mit dem Rumpfsegment zusammengestoßen. Das Schiff bockte und schüttelte sich wie ein wütender Stier. Sam sah, wie einer der Stahlträger unter der Belastung einknickte wie ein Streichholz. Die Notbeleuchtung flackerte, ein Alarm heulte los. Aus einer Konsole quoll erneut dicker Rauch und vernebelte die Sicht. Sam hustete - der säuerlich stechende Gestank brannte ihm sofort in der Lunge.
In der Eile, die Betriebsbereitschaft des Schiffes wiederherzustellen, hatte die Besatzung Ersatzteile, Elektroschrott und Werkzeuge achtlos im Raum herumschweben lassen. Jetzt wurden sie zu gefährlichen Geschossen. Zum Glück waren die Goldgesichtigen aus härterem Holz geschnitzt als normale Menschen. Ein Akkuschrauber knallte Sam mit voller Wucht gegen die Stirn und hätte ihn auf der Erde vermutlich erschlagen. Hier begann sein Schädel nur dumpf zu pochen. Viel mehr machte Sam zu schaffen, dass er vom Rumpeln und Rütteln des Schiffes in seinen Gurten hin und her geschleudert wurde. Und gerade als er dachte, das Schiff würde gleich auseinanderbrechen, war es vorbei. Die grüne Druckwelle musste über sie hinweggezogen sein. Doch das, was Sam gleich darauf auf dem Panoramaschirm sah, ließ ihn alle Benommenheit abschütteln: Das Trümmerteil füllte den Schirm voll aus. Zwar hatte die Druckwelle es in Bewegung versetzt, doch es driftete viel zu langsam zur Seite weg. Der Ortungsoffizier klapperte wieder eifrig auf seiner Konsole herum.
"Das Teil taumelt stark - ich kann nicht sagen, ob der Extender gereicht hat."
Der Captain reagierte blitzschnell.
"Schotten an Lagerraum eins, drei, fünf und sieben dicht machen! Hangartore zum Weltraum öffnen! Sofort!"
Irgendwo ging wieder ein Alarm los und als die Luft im Hangar durch die geöffneten Tore explosionsartig in den Weltraum entwich, kondensierte und zu Eiskristallen gefror, ging ein erneutes Rütteln durch die Arkanos. Die ausströmende Luft gab dem Schiff einen Impuls weg vom Trümmerfeld, und mit nur wenigen Zentimetern Abstand glitten Bruchstück und Schiff aneinander vorbei. Sam wollte schon aufatmen, da drehte sich das Stück und eine vorspringende Kante wurde sichtbar. Und gleich darauf klang es auch schon, als würde das Schiff vor Schmerz aufkreischen. Das Fragment schien seine Klauen in die Hülle zu schlagen, Metall kratzte über Metall, Teile der Panzerung splitterten ab und gesellte sich zur Trümmerwolke des ehemaligen Rochenschiffs. Die Kante riss die Hülle der Arkanos auf wie ein Dosenöffner. Wieder ein heftiges Rütteln, als Luft durch den Hüllenbruch explosionsartig entwich. Schotten schlossen sich, um die Dekompression zu stoppen, und sie hatten Glück: Dieser zusätzliche Impuls schob die Arkanos endgültig aus der Gefahrenzone. Jubel brandete auf und Sam jubelte kräftig mit. Allein der Captain blieb gelassen.
Flug
Zwar war die akute Gefahr vorbei, doch die Probleme an Bord waren noch lange nicht gelöst. Die Elektronik der meisten Bordsysteme funktionierte nicht mehr und auch die Panzerung der Arkanos war schwer angeschlagen. Ob das Schiff überhaupt wieder fliegen würde, war ungewiss, und Sam fragte sich, wohin sie eigentlich flogen. Er wandte sich um, aber der Sessel des Captains war leer - er hatte die Brücke offenbar verlassen. Stattdessen kam ein Mann auf Sam zu, dessen breites Grinsen an einen Frosch erinnerte. Es wirkte genauso kalt wie seine Stimme klang.
"Mein Name ist Damian McQuire. Ich bin Koordinator in Point Alpha und organisiere die Reparaturarbeiten."
Ein Schauder erfasste Sam, als er die Stimme wiedererkannte. Die eiskalten Augen des anderen musterten ihn … Wie eine Hyäne, die ihre verendende Beute beobachtete. Sam bekam einen Kloß im Hals.
"Wir bilden Zweierteams, um die defekte Elektronik zu ersetzen. Ich habe bereits fast alle Teams zusammengestellt. Allerdings", McQuire hob den schmalen Zeigefinger an die Lippen, als müsste er überlegen, "weiß ich nicht, wer mit einem Zivilisten zusammenarbeiten wollen würde."
Wie ein durch Watte gezogenes Messer entfalteten die kalten Worte erst allmählich ihre schneidende Wirkung. Wie so oft in der Vergangenheit fühlte sich Sam hilflos und mit der Situation überfordert. Warum musste er immer an solche Leute geraten? McQuires Lächeln wurde noch breiter, als er die Verunsicherung in Sams Gesicht bemerkte.
"Ich glaube, ich habe eine angemessene Aufgabe für Sie." Mit seinen unnatürlich langen, knotigen Fingern holte er eine Zahnbürste hinter dem Rücken hervor und hielt sie Sam hin.
Was sollte er tun? Protestieren? Stattdessen nahm er sie wortlos entgegen. Die peinlich berührten Blicke der Brückenbesatzung, die ihn gelegentlich streiften, brannten wie Feuer auf seiner Haut.
"Bis jemand bereit ist, mit einem Zivilisten zusammenzuarbeiten, kommen Sie mit den Latrinen auch allein klar, oder sollte selbst das eine zu schwierige Aufgabe für Sie sein?"
Scham und Zorn wüteten in Sam, aber sein Kopf war leer. Er fühlte sich so schwach, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen, seufzte innerlich und wollte sich in seinem Schicksal schon fügen, als eine entrüstete Stimme ertönte.
"Was bilden Sie sich eigentlich ein?!" Mit funkensprühenden Augen kam Theresa auf sie zu.
Sam fühlte sich an Larianas Entrüstung erinnert, wenn er ihr wieder einmal von den neuesten Gemeinheiten berichtete, die seine Arbeitskollegen gegen ihn ausgeheckt hatten.
"Wie kommen Sie dazu, die Leute zu schikanieren?!", fragte sie herausfordernd.
McQuire wandte sich irritiert um. Mit Widerspruch hatte er nicht gerechnet. Als er auf die kleine, gedrungene Gestalt hinabsah, gewann er seine Selbstsicherheit sofort zurück.
"Nun, Miss ..."
"Snow", antwortete Theresa angriffslustig und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.
"Nun, Miss Snow … Wie ich ihrem Freund hier gerade erklärt habe, koordiniere ich die Reparaturarbeiten auf dem Schiff. Wenn Sie dem Zivilisten nicht zugeteilt werden wollen, rate ich Ihnen, ganz schnell das fortzusetzen, was auch immer Sie hier zu tun haben."
Doch so leicht gab sich Theresa nicht geschlagen.
"Sogar Gäste müssen sich an den Reparaturarbeiten beteiligen?"
Inzwischen war es auf der Brücke still geworden. McQuire bemerkte, dass die gesamte Brückenmannschaft den verbalen Schlagabtausch verfolgte. Seine Augen traten noch weiter aus ihren Höhlen.
"Gäste?!"
"Wenn ich Sie daran erinnern darf: Sam Njuman gehört nicht zur Besatzung dieses Schiffes. Also ist er Gast hier an Bord. Wollen Sie einen Gast des Captains die Latrine putzen lassen?"
Verunsichert blickte McQuire auf Theresa hinab, die ihm angriffslustig ihr Kinn entgegen reckte.
"Mh … Vermutlich hätte diese Aufgabe den Zivilisten sowieso überfordert …", beschied der Froschartige nach einer kurzen Denkpause. "Aber Sie gehören zur Besatzung dieses Schiffes, oder?"
Sein spindeldürrer froschähnlicher Zeigefinger stach in Theresas Richtung, als wollte er ihre Brust durchbohren.
"Lassen Sie nur. Ich putze die La..." Aber weiter kam Sam nicht, denn Theresa überging das Friedensangebot einfach.
"Ich bin schon vom Cheftechniker in den Maschinenraum beordert - tut mir echt leid. Außerdem würde es dem Captain sicher nicht gefallen, wenn Techniker die Klos putzen, obwohl es Wichtigeres zu tun gibt." Sie machte einen übertriebenen Knicks und wandte sich dann Sam zu, während sie über die Schulter hinweg zu McQuire sagte: "Und ich brauche noch jemanden, der mir hilft. "
"Nun gut." McQuire blieb nichts anderes übrig, als einzulenken. Mit einem Lächeln, das keineswegs gewinnend wirkte, wandte er sich zum Gehen.
"Haben Sie nicht etwas vergessen?" Immer noch das vorgereckte Kinn.
Sam musste sich eingestehen, dass er diese angriffslustige Pose ausgesprochen sexy fand. Sie nahm ihm die Zahnbürste aus der Hand und hielt sie McQuire entgegen. Das sicher muskelkaterverursachende Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Mit einer herrischen Geste riss McQuire die Zahnbürste an sich und stakste davon. Sein Gang hatte etwas von einem Taucher mit Flossen, der über den Strand zum Wasser watschelte.
"Danke.