Quantumdrift. Tilo Linthe

Quantumdrift - Tilo Linthe


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von der Decke, ganze Paneele waren aus der Wand gerissen worden. Überall arbeiteten Besatzungsmitglieder fieberhaft daran, die Elektronik zu tauschen.

      Sam bekam sofort ein schlechtes Gewissen, weil er hier wie auf einer Strandpromenade mit Theresa am Arm entlang flanierte, während die anderen arbeiteten.

      "Sollten wir ihnen nicht helfen?"

      "Nein. Im Moment besteht keine unmittelbare Gefahr und wir müssen zwischendurch Pausen machen. Wir sind schließlich keine Maschinen. Also mach dir keine Sorgen."

      Nach einer Tour durch das Schiff blieben sie schließlich vor einer der Türen auf einem langen Gang stehen. Theresa schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das selbst die Eiseskälte des Weltraums auf Zimmertemperatur gebracht hätte. Sam stutzte, als er sie ansah. Sie betätigte den Türöffner, und zum ersten Mal wirkte sie leicht verlegen. Sam trat ein und warf sich aufs Bett - zumindest so gut es mit der Schwerelosigkeit möglich war. Hinter sich hörte er das Zischen der sich automatisch schließenden Tür. Er war hundemüde. Doch als er sich auf den Rücken drehte, war er schlagartig wieder hellwach. Er war nicht allein im Raum.

      "Es gibt eine Theorie", sagte Theresa. Selbst wenn sie verlegen war, blieb sie ihrem Naturell getreu offensiv. "Ich weiß nicht genau, ob sie wirklich stimmt, aber angeblich erhöht sich die Libido, wenn man in Lebensgefahr war. Psychologen behaupten, das sei die unbewusste Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, die einen veranlasst, mit Nachwuchs dafür zu sorgen, dass das Leben weitergeht."

      Sam richtete sich auf, als sie ihren Technikeroverall langsam aufknöpfte. Wieder stieg die Hitze in seinen Lenden auf, heißer als zuvor.

      Er erwiderte mit belegter Stimme: "Da könnte was dran sein …"

      Der Overall glitt an ihr herab und sie bewegte sich langsam auf Sam zu, begann ihn vorsichtig aus seiner Kleidung zu schälen - bei Schwerelosigkeit kein leichtes Unterfangen. Daher dauerte es eine Weile, bis sie wirklich zueinanderfanden. Doch nachdem sie es einmal raushatten, war es eine interessante Erfahrung für Sam.

      Batox' Jewel

      In den nächsten Tagen stellte sich für Sam eine Routine ein, die ihm guttat. Sie gestattete ihm, die überwältigenden Eindrücke zu verarbeiten und sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. So erschrak er beispielsweise nicht mehr, wenn er zufällig auf seine goldgelben Hände blickte, und er kam schon fast so gut mit den Magnetstiefeln und der Schwerelosigkeit klar wie Reiniger, der durch Gänge und Maschinenraum pflügte, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. McQuire beobachtete ihn, so schien es Sam. So gut es ging versuchte er das ungute Gefühl und dessen sezierenden Blick zu ignorieren. Captain Connor bekam Sam gar nicht mehr zu Gesicht, und mit Theresa reparierte er Schaltkästen, tauschte Leiterplatten und andere Komponenten. Jeden Abend brachte sie ihn zu seiner Kabine und am nächsten Morgen verließen sie den Raum zusammen wieder.

      Eines Tages ertönte ein tiefes Brummen, das man eher in den Eingeweiden spürte als es zu hören. Die Maschinen liefen wieder - endlich. Man konnte die Erleichterung der Besatzung fast schon mit Händen greifen.

      Durch die Beschleunigung wurde wieder Schwerkraft erzeugt, die alles Schwebende scheppernd zu Boden fallen ließ.

      Doch die Routine veränderte sich trotz der Schwerkraft kaum. Die Wochen vergingen wie im Flug. Es war das gleiche Phänomen wie im Urlaub: Die ersten Tage erschienen einem besonders lang, weil das Gehirn die neuen Eindrücke, Andersartigkeiten und ungewohnten Tätigkeiten verarbeiten musste. Aber schon nach ein paar Tagen war einem vieles vertraut und neue Routinen stellten sich ein. Die grauen Zellen schalten in den Automatikmodus um, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, und die Zeit scheint viel schneller zu vergehen.

      Und schließlich war es so weit: Ihr Ziel, der Planet Batox, kam in Sicht und wurde, während sie sich näherten, zusehends größer. Theresa führte Sam in einen kuppelartigen Raum, den sie bei ihrer ersten Tour durch das Schiff ausgelassen hatten. Er war übersät mit halbrunden, aus den Wänden ragenden Kugeln. Sie erinnerten Sam an Überwachungskameras auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Im nächsten Moment sog er überrascht die Luft ein, als seine Umgebung vor seinen Augen verschwamm und er mitten im Nichts zwischen den Sternen stand. Theresa drückte seine Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Zusammen mit ihm stand sie in diesem Nichts und lächelte.

      "Wir nennen das hier 'Tank'. Die Halbkugeln sind Hologrammprojektoren, die die Bilder der Außenkameras rund um das Schiff in diesen Raum projizieren."

      Sam schaute nach unten und erblickte einen Planeten, der auf den ersten Blick wie die Erde aussah. Blau und Braun herrschten vor, doch die fremdartigen Umrisse des Festlands verrieten, dass es nicht die Erde war. Über dem Planeten drehte sich majestätisch eine Raumstation um ihre eigene Achse, die der in der Umlaufbahn Brokens zum Verwechseln glich.

      In der Ferne sah man eine feurige, in Gelb- und Rottönen flackernde Sonne vor dem Hintergrund vieler Sterne, die hier viel dichter standen, als über der Erde.

      Sam schaute wieder nach unten. Inzwischen füllte die Station das gesamte Blickfeld aus, was ihm ihre Ausmaße bewusst machte. Sie steuerten auf den größeren Ring zu, flogen durch dessen freien Innenraum und näherten sich dem inneren Rand, der als riesige, krumme Wand vor ihnen aufragte. Mehrere spindelförmige Raumschiffe unterschiedlicher Größe hatten daran angedockt - Schiffe des Konsistoriums. Nur eines hatte eine gänzlich andere Form. Es sah aus wie ein überdimensionaler Tintenfisch, dessen Tentakel allesamt nach unten zeigten. Ihre verdickten Enden waren um 90 Grad nach außen gebogen.

      Sam deutete darauf und fragte: "Was ist das für ein Schiff?"

      "Das gehört den Que'Wesh. Jedes Konvergenzvolk hat eine eigene Bauweise. Die Schiffe der Kienar sehen zum Beispiel aus wie die berühmten fliegenden Untertassen, die du aus alten Filmen kennst."

      "Und die Huatoo? Weiß man wenigstens, wie ihre Schiffe aussehen?"

      Theresa schüttelte den Kopf.

      "Viele glauben, dass es die Huatoo gar nicht gibt." Nachdenklich blickte Theresa zum Tintenfischschiff, das den Innenring gerade verließ, während die Arkanos zu ihrem Andockplatz schwebte. "Ich frage mich, was die hier wollten …"

      In diesem Moment leuchteten die Verdickungen auf und bewegten sich wie in einer unsichtbaren Strömung. Als es vorbeizog, richtete es seine Tentakel auf die Arkanos aus.

      "Komisch … So ein Verhalten habe ich noch nie gesehen. Normalerweise interessieren die sich gar nicht für uns", sagte Theresa verwundert.

      Dann drehte der Tintenfisch prompt ab, wurde immer schneller und verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie hingegen kamen der krummen Wand immer näher. Sam konnte nun nicht einmal mehr erkennen, wo die Mauer begann und wo sie endete.

      "Wie groß ist diese Station?", fragte er beeindruckt.

      "Sie hat einen Durchmesser von vier Kilometern. Viel kleiner dürfte sie auch nicht sein."

      "Wieso?", fragte Sam. "Man könnte doch auch kleinere Stationen bauen. Die Rotation würde doch den gleichen Effekt erzeugen."

      Theresa lächelte ihn so an, dass er, wäre er ein Wasserkessel, angefangen hätte, hektisch zu pfeifen.

      "Ach, mein unwissender Zivilist." Sie küsste ihn auf die Wange. Dieser Frau konnte man einfach nicht böse sein. "Stell dir vor, du bist auf einem Jahrmarkt und steigst in ein Karussell. Du bist besonders mutig und stellst dich mit den Füßen auf das Geländer. Was würde passieren?"

      Sam stellte sich vor, wie ihm schlecht werden und er die ganzen Mitfahrer vollkotzen würde. Aber er sagte: "Ich würde von den Fliehkräften nach außen gezogen werden. Das ist doch das Prinzip der künstlichen Schwerkraft auf einer Station, nicht? Man wird durch die Drehbewegung auf dem Boden gehalten."

      "Genau. Und was würde passieren, wenn das Karussell eine Fehlfunktion hätte und sich immer weiterdrehen würde?"

      Sam dachte eine Weile darüber nach.

      "Na ja, ich hätte wohl Schwierigkeiten, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten", antwortete er wahrheitsgemäß.

      Theresa


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