Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
blieb er in Passau, das hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben. Sie freute sich darüber. Sie mochte ihn. Wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie das Gefühl, ihn schon sehr lange zu kennen. Für dieses Gefühl fand sie keine Erklärung, und das beunruhigte sie. Bisher hatte sie stets genau gewußt, was sie wollte. Jetzt war sie unsicher. Noch hatte Stephan sie nicht geküßt, aber sie wartete darauf.
Wie immer, wenn sie etwas beunruhigte, stieg Angela zu ihrer Ahnengalerie hinauf. Fast bei jedem seiner Besuche ging auch Stephan mit in den ehemaligen Ballsaal. Sie wußte inzwischen, daß er wie sie fühlte. Er hatte sie nicht ausgelacht, als sie ihm von ihrer stillen Zwiesprache mit den einzelnen Gemälden erzählte. Mitten auf der Treppe hielt Angela inne. Sie hörte Stimmen. Da sie keine Angst kannte, stieg sie weiter hinauf. Sie lächelte. Die Vorstellung, daß ihre Vorfahren aus den Rahmen gestiegen sein konnten, bemächtigte sich ihrer. Als sie dann jedoch Oliver mit einer ihr fremden Frau erblickte, war sie bestürzt.
»Was tust du hier?« Sie brachte es nicht fertig zu lächeln, steif trat sie näher. »Ich wußte nicht, daß du auf der Burg bist.«
»Wie du siehst, besichtigen wir die Gemälde. Flora interessiert sich dafür.« Oliver trat dichter an Flora heran, legte ihr den Arm um die Schultern. Er flüsterte ihr zu: »Lächeln Sie doch!«
Flora versuchte es, aber es fiel ihr schwer. Das also war Prinzessin Angela! Sicher konnte ein Mann sich in sie auf den ersten Blick verlieben. Sie hörte Graf Oliver sagen: »Du hast doch nichts dagegen, daß wir uns hier umsehen? Darf ich dir eine Bekannte von mir vorstellen? Flora Paddon!«
Flora stand der Prinzessin gegenüber und wußte nicht, wie sie sich benehmen sollte. »Hoheit!« sagte sie unsicher, und ihre Wangen färbten sich.
Angela ging es genauso. Wer war dieses hübsche Mädchen? Rasch sah sie ihren Freund an. Wie kam er dazu, seinen Arm um die Schultern einer Fremden zu legen? Offensichtlich war ihm dieses Mädchen nicht fremd.
»Nun, Flora, wie gefallen dir die Gemälde?« hörte Flora den Grafen fragen. Verblüfft hob sie den Kopf und sah ihn an. Sie wurde sich auch erst jetzt seines Armes bewußt, der noch immer um ihre Schultern lag. Sie verstand und erwiderte seinen Blick. Gut, sie würde mitspielen.
»Ich bin begeistert, Darling«, rief sie. »Ich wußte nicht, daß es so etwas wirklich noch gibt.« Sie wandte sich an die Prinzessin. »Als Oliver mir davon erzählte, wollte ich es nicht glauben. Wissen Sie, ich bin mit ihm aus den Staaten gekommen. Ein Adeliger – wie romantisch! Und dann noch mit einer echten Prinzessin bekannt! Hoheit. Sie verzeihen mir doch, daß ich so offen bin. Ich finde das alles himmlisch! Niemand aus meinem Bekanntenkreis wird mir glauben, daß ich mit einem Grafen...« Sie kicherte.
Olivers Arm war von ihren Schultern geglitten. Seine erste Reaktion war Empörung. Flora trug allzu dick auf, doch dann fiel sein Blick auf Angelas Gesicht, und er unterdrückte nur mühsam ein Lächeln. Angela war eifersüchtig! Er hätte laut jubeln können.
»Flora ist von Deutschland begeistert. Ich bin gerade dabei, ihr einige Sehenswürdigkeiten zu zeigen.« Um Olivers Mundwinkel zuckte es. Angela merkte es jedoch nicht. Was dachte Oliver sich eigentlich? War er blind? Mit einer Amerikanerin zog er durch die Gegend! Das Mädchen war doch offensichtlich nur darauf aus, später in Amerika mit ihrer Bekanntschaft anzugeben. Daß er sonst stets auf Distanz bedacht war, schien er völlig vergessen zu haben. Sie mußte zusehen, wie sich sein Arm wieder um die Schultern dieser Flora legte. Um Haltung zu bewahren, kreuzte Angela die Arme vor der Brust. Der verliebte Blick des Mädchens war nicht zu übersehen.
Auch Flora amüsierte sich innerlich. Den Gedanken, daß dies doch nicht der richtige Weg sein könnte, schob sie rasch wieder zur Seite. »Darling, ich bin dir ja so dankbar«, flötete sie. »Glaubst du, wir kommen der Prinzessin ungelegen? Ist sie böse?«
»Aber nein! Prinzessin Angela hat ein offenes Haus. Bei ihr wird ständig ein und aus gegangen.«
Das war ein Seitenhieb, den Angela auch verstand. »Ich habe nichts dagegen, wenn man sich in der Burg umsieht. Es ist noch nie etwas gestohlen worden. Allerdings hättest du dich zuerst bei mir melden können. Wir haben uns schließlich einige Tage nicht gesehen.«
»Hast du etwa auf meinen Besuch gewartet?« Für Sekunden vergaß Oliver Flora, er hoffte auf eine Bejahung, doch Angela wandte den Blick ab. Sie war zu sehr mit Stephan beschäftigt gewesen, um länger an ihn zu denken. Dessen wurde sie sich erst jetzt richtig bewusst.
»Ich wollte auch einmal vorbeikommen. Wie du weißt, habe ich noch frei.« Er versuchte, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. »Ich war nur zu sehr beschäftigt. Flora ist sehr unternehmungslustig.«
Das konnte doch nicht sein! Oliver gab einfach zu, daß er seine Zeit mit diesem Mädchen verbrachte? Angela öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Sie hatte kein Recht, ihm Vorwürfe zu machen, hatte sie ihm doch deutlich zu verstehen gegeben, daß er sich um seine Angelegenheiten kümmern sollte.
Sie sah Flora erneut an und konnte nicht umhin, sich einzugestehen, daß dieses Mädchen sehr hübsch war.
»Bleiben Sie länger in Deutschland?« fragte sie, und ihre Stimme zitterte leicht.
»Das kann ich noch nicht sagen«, zwitscherte Flora vergnügt. Jetzt konnte sie zeigen, welche schauspielerischen Fähigkeiten in ihr streckten. Sie warf dem Grafen einen verliebten Blick zu, der für Angela sehr eindeutig war. Sie fühlte sich bis tief ins Innerste getroffen.
»Darling, ich glaube, daß wir die Prinzessin stören.« Flora schob ihre Hand unter Graf Olivers Arm, eine Geste, die Angela das Blut ins Gesicht trieb.
»Ich wollte mich gerade entschuldigen. Sie müssen verstehen, ich war auf Ihren Besuch nicht vorbereitet. Ich habe noch zu tun. Wie bereits gesagt, Sie können sich hier ungestört umsehen, Graf Oliver kann Ihnen alles erklären.« Ihre einladende Geste wirkte hölzern.
»Du bist entschuldigt, Angela. Wir haben auch nicht die Absicht, lange zu bleiben. Wir wollen noch weiter, wir haben noch viel vor.«
Oliver zwang sich zu einem Lächeln. Jetzt tat sie ihm beinahe leid, denn sie war sehr blaß, ihre blauen Augen waren fast dunkel. Er konnte sie nicht so gehen lassen, also löste er sich von Flora, bot ihr die Hand.
»Du kennst meine Münchener Adresse und auch meine Telefonnummer. Vielleicht meldest du dich einmal?«
»Ich, wieso ich?« Sie entzog ihm rasch ihre Hand. »Ich werde dich nicht stören, Oliver. Du mußt wissen, wie du deine freien Tage verbringen willst.« Mit ihrer Beherrschung war es vorbei. Fluchtartig verließ sie den ehemaligen Ballsaal.
Flora brach in ein prustendes Lachen aus. Sie erntete dadurch aber einen tadelnden Blick des Grafen. »Es hat doch wunderbar geklappt«, verteidigte sie sich sofort. »Prinzessin Angela ist darauf hereingefallen. Sie hält mich für Ihre Geliebte.«
Oliver strich sich über das Kinn. »Ich weiß nicht, ob diese Idee besonders gut war.« Er fing Floras Blick auf. »Schon gut, es war meine Idee! Es war nett, daß Sie mitgespielt haben.«
»Sie können ganz unbesorgt sein, die Prinzessin liebt Sie. Sie ist eifersüchtig, das ist das beste Zeichen.« Flora war sehr erleichtert.
»Schön, wenn Sie recht haben! Damit ist aber die Situation noch nicht geklärt. Soll ich ihr etwa nachlaufen und sagen, daß alles ein Irrtum war? Sie würde mir nicht glauben. Sie ist sehr stolz.«
»Dieses verdammte Bild«, entfuhr es Flora. »Damit hat doch alles angefangen.« Sie trat wieder vor das Gemälde. »Die Ähnlichkeit mit Stephans Medaillon ist auch zu verblüffend. Das kann kein Zufall sein!«
Oliver begann laut zu denken. »Wenn das Medaillon auf die Herkunft Ihres Freundes schließen läßt, dann wäre es doch möglich, daß Stephan wirklich von den Rittlingern abstammt. Man müßte in dieser Richtung einmal Nachforschungen anstellen.«
»Das wäre die Lösung!« rief Flora, und nun fiel sie Oliver doch um den Hals. Schelmisch meinte sie: »Vielleicht werden wir dann noch miteinander verwandt, natürlich um zehntausend Ecken.«
»Dagegen hätte ich nichts