Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
rief die Nonne, nunmehr schon zornig.
»Verehrte Frau Oberin«, mischte sich nun Herrenberg in das Gespräch, »die Gräfin ist Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich so für Angelina einsetzen, aber sie glaubt doch, daß ein so schwer belastetes Mädchen am besten bei seiner Mutter aufgehoben ist.«
»Ich bitte Sie! So kurz vor dem Abitur? Gerade weil sie diese kleine Behinderung hat, sollte man sie doch fördern, wo es nur geht. Zum Beispiel ihr ausgezeichnetes Klavierspiel.«
»Man könnte wirklich denken, Sie wollen das Mädchen für Ihren Orden gewinnen«, sagte Herrenberg mit einem bösen Lächeln.
Die Oberin stutzte. Worauf wollten die beiden hinaus?
»Das Mädchen, das behinderte Mädchen«, betonte die Gräfin. »Oder das beachtliche Vermögen, das sie einmal zu erwarten hat.«
Die Oberin wurde blaß vor Zorn. Sie stand auf.
»Ich bitte Sie, mich zu entschuldigen. Ich werde Sorge tragen, daß Angelina am Ende des Schuljahres heimgeschickt wird.«
»Es sind doch nur mehr ein paar Wochen«, sagte Herrenberg mit falscher Freundlichkeit. »Könnten wir das arme Ding nicht gleich heute mitnehmen?«
»Sie muß erst packen.« Die Oberin wollte Zeit gewinnen.
»Wir warten gern. Sie haben ja einen wunderschönen Garten, in dem wir inzwischen ein wenig spazierengehen können.« Der Baron war ganz Liebenswürdigkeit.
Er verabschiedete sich, und Roswitha streckte der Oberin gnädig die Hand hin, die diese zu übersehen vorgab, indem sie sich mit ihren auf dem Schreibtisch liegenden Papieren beschäftigte.
Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen, ließ sie Angelina zu sich rufen.
Als das Mädchen in der Tür stand, mußte die Oberin unwillkürlich an Schneewittchen und ihre böse Stiefmutter denken.
Aber die Gräfin war ja die leibliche Mutter des unglücklichen Geschöpfes.
»Komm herein«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln. Angelina sah sie ängstlich an. Sie hatte von jemandem gehört, daß ihre Mutter in Begleitung eines Herren gekommen sei. Die Oberin nahm ihre Hand und streichelte sie.
»Mein liebes Kind, so leid es mir tut – wir müssen uns trennen.«
»Bitte nein!« rief Angelina erschrocken.
»Deine Mutter war eben bei mir und hat erklärt, daß sie dich noch heute mitnehmen will.«
»Aber mitten im Schuljahr! Was soll ich da auf einer anderen Schule? Und dazu so kurz vor dem Abitur. Ach, Mutter Oberin, mein Vater wäre damit bestimmt nicht einverstanden.«
»Ich weiß, aber ich kann nichts machen. Du bist erst sechzehn. Wenn du achtzehn wärest, aber so… Du kannst natürlich zum Vormundschaftsgericht gehen…«
Angelinas dunkelblaue Augen wurden schwarz vor Schrecken.
»Nein, Mutter Oberin, das kann ich nicht. Der Name meines Vaters – was würden die Leute sagen?« Sie sah sie bittend an. »Können Sie mir denn nicht helfen?«
»Ich habe es versucht«, erwiderte die Nonne traurig. »Aber deine Mutter meinte, ich wolle nur dein Vermögen für den Orden gewinnen.«
»Oh, mein Gott«, flüsterte Angelina. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht, um ihre aufsteigenden Tränen zu verbergen. »Ich habe solche Angst. Jetzt, wo Papa nicht mehr da ist.«
Die Oberin nahm sie in die Arme und streichelte ihr glänzend schwarzes Haar. Sie hatte selbst Mühe, die Tränen zu unterdrücken. »Es wird nicht so schlimm«, behauptete sie wider besseres Wissen, um Angelina den Abschied nicht noch schwerer zu machen. »Und vergiß nicht: Wenn du achtzehn bist, kannst du selbst über dein Leben bestimmen. Für dich ist jederzeit hier an der Schule ein Platz frei. Du machst das Abitur dann einfach zwei Jahre später. Andere bleiben zweimal sitzen – das kommt dann auf dasselbe heraus«, versuchte sie zu scherzen.
»Ja«, sagte Angelina leise und begann erneut zu weinen. »Darf ich Ihnen schreiben?«
»Ich bitte dich darum«, erwiderte die Oberin. Dann nahm sie das Mädchen nochmals fest in die Arme. »Dein Zeugnis bekommst du nachgeschickt«, versprach sie und nickte aufmunternd. »Du bist wieder Klassenbeste. Ich schicke dir auch den Preis, den du für deine guten Leistungen erhältst.«
»Danke«, flüsterte Angelina unter Schluchzen, knickste und küßte der Oberin die Hand, und diese machte ihr ein Kreuzzeichen auf die Stirn.
»Gott sei mit dir«, sagte sie und meinte es so ernst wie kaum einmal.
*
Josef Buchner beugte sich über die schlanke gelborangefarbene Rosenknospe und sog ihren betörenden Duft ein.
»Guten Morgen«, sagte er leise. »Wie schön du bist. Und was für einen herrlichen Duft du verströmst.« Dann ging er weiter, ein beinahe zärtliches Lächeln auf seinem von Wind und Wetter zerfurchten hageren Gesicht. Seit über vierzig Jahren arbeitete er als Gärtner auf Schloß Sternheim. Anfangs als Lehrjunge, inzwischen hatte er die Aufsicht über vier ständige Gärtnergesellen. Er war ein kleiner, hagerer Mann, der älter aussah, als er war. Seine Hände waren von der Gartenarbeit grob und rissig geworden, und leider viel zu oft plagte ihn das Rheuma. Aber er war glücklich und zufrieden und deshalb von gleichbleibender Freundlichkeit, außer, man kam seinen Blumen zu nahe.
Josef Buchner war unverheiratet und liebte alle Blumen, als wären sie seine Kinder, wie seine Untergebenen halb spöttisch, halb anerkennend bemerkten. Er sprach auch mit ihnen, weil er der festen Überzeugung war, sie würden schöner blühen, wenn man sie bat oder lobte oder ihre Schönheit bewunderte. Und wenn man die blühende Pracht im Schloßpark betrachtete, so glaubte man gerne daran, daß dies zutraf.
Aber wenn die Blumen, die Tulpen und Narzissen, die Maiglöckchen und Margeriten, die Dahlien und Astern, Rittersporn und Eisenhut, Ranunkeln und Glyzinien, Kapuzinerkresse und Stiefmütterchen und wie sie alle heißen mochten, die von Frühling bis Herbst in den Rabatten des Parks blühten und dufteten, seine Kinder waren – die Rosen liebte er über alles, sie waren seine Geliebten! Die Strauchrosen und Polyantha und vor allem die herrlichen, duftenden Edelrosen.
Die Menschen teilte Buchner in zwei Kategorien: Solche, die Blumen liebten und solche, die kein aufrichtiges Verhältnis zu ihnen hatten. Letztere mochte er nicht.
Zu letzteren gehörte Gräfin Roswitha Sternheim, seit einigen Wochen Baronin Herrenberg. Sie legte zwar immer größten Wert darauf, daß in sämtlichen Zimmern prächtige, dekorative Sträuße standen, aber keineswegs, weil sie Blumen liebte, sondern nur, weil es eben sich so gehörte. Am liebsten hätte Buchner ihr lauter künstliche Blumen verpaßt. Aber sogar im Winter gab es in den Glashäusern der gräflichen Gärtnerei die schönsten exotischen Blüten.
Tja, diese Hochzeit! Buchner schüttelte den Kopf, wenn er nur daran dachte. Man konnte nur hoffen, daß der verstorbene Herr Graf auch drüben in der anderen Welt nichts davon mitbekommen hatte. Obgleich man dort wohl nichts mehr so tragisch nahm, was alles hier auf der Welt passierte.
Die arme Komteß! Und wie eklig alle zu ihr waren – dabei war sie das liebenswürdigste Geschöpf, das ihm je begegnet war und dazu so schön wie – wie eine Rose. Eine Edelrose! Er nickte und lächelte. Dann furchte sich seine Stirn. Ob das der Grund war? Oder einer der Gründe? Schön war die Frau Gräfin, die jetzige Baronin, auch, aber von einer harten, kalten Schönheit. Nein, wenn jemand so kalt aussah, konnte man ihn – so war zumindest Buchners Ansicht – keinesfalls als wirklich schön bezeichnen.
Alles, was Rang und Namen hatte, war zu der Hochzeit erschienen, es war das gewesen, was man so einen ›großen Auftrieb‹ nennt.
Nur die Tochter des Hauses, Komteß Angelina, hatte man nicht dabei haben wollen. Ihre Mutter hatte ihr erlaubt, an diesem Tag einen Besuch in ihrer ehemaligen Schule zu machen. Das erste und einzige Mal war das gewesen. So eine Hexe!
Und seit der Hochzeit