Eine Urlaubsliebe. Ewald Arenz

Eine Urlaubsliebe - Ewald Arenz


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sich aneinanderzupressen, um vo­ranzukommen. Auf dem Weg zum Dürer-Platz liefen wir an den Cafés vorbei, die Bier und Wein über die Straße verkauften, wieder staubte überall Glitzer und ich hoffte, irgendwo einen Händler zu sehen. Als wir nach dem völlig überfüllten Dürer-Platz in das noch überfülltere Tiergärtnertor drängten, bekam ich das erste Mal in meinem Leben echte Angst vor Menschen. Es war nicht mehr angenehm, gegen Rina gepresst zu werden. Die Luft im Tunnel war zum Schneiden; man hatte Schwierigkeiten beim Atmen, und eine unterdrückte Panik lag über den Köpfen. Rina boxte sich rücksichtslos gegen den Strom durch, und schließlich hatten wir es geschafft und standen am Ring. Ich atmete ein paarmal tief ein.

      »Ist das immer so?«, fragte ich Rina. Sie grinste und nickte: »Das hier ist Nürnberg«, sagte sie ein bisschen stolz.

      Die Nordstadt wirkte neben der Innenstadt vornehm altmodisch. Die Leute, die hier ihre Häuser hatten, mussten sie nicht in Solarfolien hüllen wie in den Slums der Südstadt, wo ganze Straßenzüge stumpf schwarz waren und die Hitze jetzt im Sommer unerträglich. Hier waren die Gärten sogar im Mittsommer grün. Aber gefeiert wurde hier auch. Wir sahen ein buntes Gewirr von Lampions auf den Terrassen, wo die Reichen der Stadt ihre Fêtes du Soleil feierten. Wir gingen zum Haus meines Großvaters. Aus den Gärten hörte man die Geräusche der verschiedenen Feiern, Musik, Lachen. Die meisten Gärten hatten über den Hecken zusätzliche Flimmerfelder, dass man nicht hineinsehen konnte. Hinter einem Tor konnte ich ein paar Kynatzen sehen, die in der Sonne lagen. Ich stieß Rina an: »Schau mal.«

      Rina zuckte die Schultern. »Die haben hier alle«, sagte sie gleichgültig, »wer sich’s leisten kann.«

      Kynatzen waren eigentlich verboten. Keiner bei uns im Dorf hatte diese Kreuzung aus schweren Kampfhunden und Katzen. Kynatzen konnten klettern und dreimal so hoch wie Hunde springen. Ich hatte vorher noch nie welche gesehen, aber ich wollte nichts sagen, um mich vor Rina nicht zu blamieren.

      Das Haus meines Großvaters hatte einen altmodischen Zaun und eine uralte Videoanlage, die längst nicht mehr funktionierte. Vor dem Klingelknopf zögerte ich. Rina verstand:

      »Wenn du ihn so lange nicht gesehen hast, dann soll ich vielleicht besser draußen warten, kille?«

      Ich nickte verlegen. Rina setzte sich auf den Bordstein, den die Straßen hier alle noch hatten. Ich klingelte. Meine Großmutter öffnete so rasch, dass ich überrascht war und zu stottern anfing. Sie hatte sich kaum verändert, aber ich wusste auf einmal nicht mehr, wie ich sie anreden sollte.

      »Domna«, begann ich, aber sie unterbrach mich und kam die Stufen herunter:

      »Philipp!«, rief sie und lachte, »Gott, bist du groß geworden!«, und dann umarmte sie mich so überschwänglich, wie sie es früher immer getan hatte; unbefangen und herzlich. Dann sah sie Rina: »Ist das deine Freundin?«, fragte sie und winkte sie gleichzeitig her. »Du kannst sie doch nicht draußen sitzen lassen.«

      »Großmutter!«, sagte ich froh, »ich hatte schon Angst, dass du mich nicht wiedererkennst.«

      »Ha!«, sie warf den Kopf in die Luft, wie früher, »bilde dir bloß nichts ein, du bist noch längst nicht erwachsen. Wollt ihr Kaffee mit mir trinken? Frohen Mittsommer überhaupt!«, sprudelte sie heraus, und ich hatte das Gefühl, als sei ich nicht lange weg gewesen. So stiegen wir hinauf in ihr Wohnzimmer, saßen auf dem altmodischen Balkon mit den Mosaiken in der Sonne, und Großmutter verstand sich mit Rina so gut, dass ich ein warmes Gefühl bekam.

      »Großmutter«, fragte ich in eine Pause hinein, »ist der Großvater da?« Ein Schatten auf dem Gesicht meiner Großmutter. Sie nickte.

      »Meinst du, er wird mich sehen wollen?«, fragte ich vorsichtig.

      »Ach, du weißt doch, wie er ist«, entschuldigte Großmutter ihn, »es geht ihm nicht immer gut, und er ist gegen sich so streng wie gegen andere.«

      »Ich geh trotzdem mal runter«, sagte ich und stand auf, »ich will ihn eigentlich bloß was fragen.«

      Manchmal denke ich heute, wie es gewesen wäre, wenn ich nicht hinuntergegangen wäre. Ob es etwas geändert hätte. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß noch, wie ich unten etwas nervös, aber auch gespannt an die Tür des Wohnzimmers klopfte und er »Herein« befahl.

      Im Zimmer war es angenehm kühl, die Fensterläden zum Garten geschlossen, und nur ein dämmeriges Licht sickerte ein bisschen grün, ein bisschen sonnig herein. Mein Großvater saß in seinem Sessel, wie vor zehn Jahren. Ein stolzes Gesicht; er sah noch im Alter gut aus.

      »Dom Hirte«, sagte ich höflich, »frohen Mittsommer, entschuldigen Sie die Störung …«

      »Wer bist du?«, fragte er barsch.

      »Philipp Hirte«, sagte ich höflich, »ich bin Ihr Enkel, Dom.«

      Er musterte mich. Entweder hatte er Kontaktlinsen, oder er brauchte wirklich keine Brille.

      »Lilith hat dich geschickt«, stellte er kategorisch fest. Ich schüttelte den Kopf.

      »Meine Mutter weiß nicht, dass ich hier bin.«

      »Was willst du dann?«, fragte er ungeduldig.

      »Na ja«, sagte ich, »eigentlich wollte ich …«

      Er unterbrach mich grob:

      »Entweder, du sagst, was du willst, oder du gehst wieder. Ich habe keine Zeit zu vergeuden.«

      Die Katze stand von seinem Schoß auf, dehnte sich und sprang hinunter, um durch die halb offene Balkontür im Garten zu verschwinden. Ich nahm meinen Mut zusammen:

      »Ich wollte wissen, ob Sie mir vielleicht sagen können, wer mein Vater ist.«

      Mein Großvater sah mich zum ersten Mal voll an. Er lächelte böse.

      »Sie hat es dir nicht gesagt? Wie alt bist du?«

      »Fünfzehn, Dom«, sagte ich. »Ich habe sie aber auch schon lange nicht mehr gefragt«, beeilte ich mich hinzuzufügen, als wollte ich meine Mutter entschuldigen.

      »Und dann kommst du zu mir?«, fragte der Großvater. »Du bist ganz schön dreist«, sagte er in halb bewunderndem Ton, den er aber sofort wieder fallen ließ, als er sich vorbeugte und mich wieder Zentimeter für Zentimeter musterte, als suche er nach einer Ähnlichkeit. Dann warf er sich plötzlich wieder zurück in seinen Sessel, und sein Gesicht verschloss sich.

      »Geh heim, Junge!«, sagte er.

      »Dom«, sagte ich immer noch höflich, aber mutiger. Ich hatte das Gefühl, dass er ganz genau Bescheid wusste. »Ich glaube, Sie wissen, wer mein Vater ist. Bitte sagen Sie’s mir.«

      Irgendwie hatte ich bis dahin noch vage romantische Vorstellungen, dass mein Vater ein großer Verbrecher gewesen war oder ein Seemann oder ein Politiker, den sie längst umgebracht hatten.

      Mein Großvater zögerte. Er schien zu überlegen, bis er sich schließlich rasch vorbeugte und sagte:

      »Philipp also. Deine Mutter hat Sinn für Humor. Hat dich Philipp genannt.«

      »Hieß mein Vater Philipp?«, fragte ich neugierig.

      Der Großvater starrte mich einen Augenblick an, dann lachte er plötzlich brüllend los: »Dein Vater!« Er warf sich rückwärts in den Sessel. Es war ein gespenstisches Gelächter, und ich bereute, hergekommen zu sein. Aber jetzt ließ er mich nicht mehr los. Abrupt hörte er auf zu lachen und fragte leichthin, lauernd, herablassend:

      »Ich nehme an, ihr habt heute kein Griechisch mehr auf der Schule?«

      Ich schüttelte den Kopf. Er nickte befriedigt und erklärte:

      »Phil hippos. Phil – kurz für Freund; hippos – das Pferd; Pferdefreund, Pferdeliebhaber.«

      Ich war verwirrt.

      »Mein Vater hatte also mit Pferden zu tun«, riet ich, »war er ein Reiter oder was, oder, ach klar«, dachte ich laut, »er hat auf Pferde gewettet und alles Geld verloren …«

      Der Großvater setzte mir seinen


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