Signaturen der Erinnerung. Thomas Ballhausen

Signaturen der Erinnerung - Thomas Ballhausen


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Bakterienkulturen hervorbringt. Das Archivieren restaurierter Bestände ist aber nicht mit der artgerechten Verwahrung einer Kopie gegeben. Vielmehr ist die Gestaltung und Lagerung eines Sicherungspakets vonnöten, um einen Film tatsächlich als „gesichert und archiviert“ bezeichnen zu können: Ausgehend von einem Originalpositiv, soweit man unter quellenkritischen Aspekten von einem Original sprechen kann (Usai, 1994, 84f.), wird ein sogenanntes Dupnegativ erstellt, das wie alle weiteren erstellten Duplierungen aus Sicherheitsfilm besteht. Dieses Negativ stellt einen sichernden Zwischenschritt zwischen weiteren Kopien und dem Original dar und ist aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit für eine technische Weiterverarbeitung bestens geeignet. Von diesem Dupnegativ werden zwei Arbeitspositive gezogen. Eine Kopie steht dann zur Verwendung im Archiv zur Verfügung, die zweite Kopie dient als Ersatz – denn Benutzung heißt eben immer auch Abnutzung des Materials.

      Mit der intellektuellen Erschließung der Bestände wächst nicht nur die Übersicht über das jeweils im Zentrum der Sammlung stehende Filmmaterial, denn mit reiner Katalogisierungsarbeit ist es in diesem Bereich schon lange nicht mehr getan. Besonders in Hinblick auf die bereits angesprochene Akquisitionspolitik ist auf lange Sicht die intensive Auseinandersetzung mit historischen Materialien und Dokumenten ebenso notwendig wie nationale und internationale Projekte zur (Tiefen-)Erschließung neuer, bisher unberücksichtigter Quellen. Für eine solche aufwendige Auswertung von Quellen ist die aktive Einbindung einer spezifischen Fachbibliothek, einer wissenschaftlichen Abteilung und einer leistungsfähigen Filmdokumentation unentbehrlich. Letztere

      „[…] zielt auf die systematische Erfassung der Informationen über die Filmproduktion ohne Unterschied auf einzelne Gattungen oder Provenienzen. Abendfüllende Spielfilme sind ebenso zu beschreiben wie die jüngste Ausgabe einer der gerade noch überlebenden Wochenschauen, ein Dokumentarfilm amtlicher Provenienz wie der Werbefilm eines Industriekonzerns“ (Kahlenberg, 1978, 147).

      In Bereitstellung und Aufarbeitung zeigt sich der Unterschied zu den klassischen Kinematheken ganz deutlich, da „Filmarchive neben ihrer unmittelbaren archivischen Aufgaben durchaus auch in der Lage sind, die eigenen Filmbestände zu präsentieren, […] Kinematheken bleiben stets von den Arbeitsergebnissen leistungsfähiger Filmarchive in aller Welt abhängig“ (Kahlenberg, 1978, 146). Kinematheken sind aus diesem Grund auch eher versucht, über Quantität im Angebot zu punkten, thematische Akzentuierungen bilden hier eher die Ausnahme denn die Regel. Mit dem Zeigen von archivspezifischem Filmmaterial sind mehrere relevante Aspekte in der Programmierung zu berücksichtigen (Schulte Strathaus, 2004, Sætervadet 2006, 57ff.), die ja auch auf die Gestaltung des jeweiligen Programms selbst einwirken (Roumen, 1996, 156): Mit der Projektion auf die Leinwand wird nicht nur das Medium lebendig gehalten, mit sinnvollen Rahmenveranstaltungen, wie Einleitungen und kommentierte Filmschauen, ergibt sich darüber hinaus auch die Möglichkeiten der (Neu-)Belebung von Filmgeschichte und dem Hinführen einer größeren Öffentlichkeit zu einem anspruchsvollen Diskurs. Schlussendlich kann auf diesem Weg auch zu einer klaren Profilierung des Films gegenüber anderen Kunstformen beigetragen werden, ohne medienüberschreitende Phänomene von vornherein zu disqualifizieren. Die erwähnten kommentierten Filmschauen erweisen sich besonders dann als notwendig, wenn im Rahmen der Programmarbeit auch solche Filme und Materialien gezeigt werden, die für Kinematheken als unprogrammierbar gelten müssen: etwa das Zeigen von Filmfragmenten, restaurierten Kostbarkeiten aus den Archivbeständen oder sensiblen Materialien. Gerade solche Reihen laden ja durchaus zu historischen Inszenierungsformen ein, also etwa die Begleitung von Stummfilmen mit Live-Musik.

      Das Feld der Publikationen ist ein weiterer Bereich, der die Tätigkeit der Filmarchive für eine größere Öffentlichkeit sichtbar werden lässt. In den Sechzigerjahren war eine erste Phase verstärkter Archivveröffentlichungen spürbar geworden: Damals waren vor allem nationalspezifische Filmografien, Kataloge, Nachschlagewerke und Findbücher veröffentlicht worden. Ab den Neunzigerjahren ist eine verstärkte Publikationstätigkeit über bestandsspezifische Werke hinaus spürbar geworden, die zumeist in klarer Verbindung mit archiveigenen Forschungstätigkeiten zu sehen ist. Die neuen Grundlinien für spezifische Publikationen, die neben der Zugänglichmachung von Sammlungen und der Verbreitung grundlegender Kenntnisse zu Ästhetik und Geschichte des Films vor allem weiterführende Studien biografischer oder theoretischer Art mit einschließen, können mithelfen, ein umfassenderes und detaillierteres Verständnis der Kinogeschichte und ein vollständigeres Bild einer (nationalen) Filmhistorie zu erlangen. Publikationen stellen im neuen Selbstverständnis der Filmarchive einen wesentlichen Pfeiler dar, der auch einen nicht zu unterschätzenden Renommeegewinn für die jeweilige Institution darstellt. So ist es durchaus sinnvoll, Mitarbeiter zur Arbeit an weiterführenden Publikationen – etwa in Fachzeitschriften – zu ermutigen und sie in dieser Hinsicht besonders zu unterstützen. Die Vermittlerfunktion des filmwissenschaftlichen Archivars zwischen Material und Benutzer gewinnt durch den Aspekt der Publikation eine zusätzliche Facette: Durch eigene Rechercheprozesse können Benutzerwünsche noch besser nachvollzogen und effektiver unterstützt werden. Diese offenere Form der Unterstützung von Forschungsvorhaben geht konform mit der Ausbildung von Kompetenzzentren und wissenschaftlichen Abteilungen, die abseits von klassischen Dokumentationsaufgaben auch die Gelegenheit zur eigenständigen Forschungstätigkeit und Partizipation an Lehrveranstaltungen der benachbarten Universitäten haben sollten: Nur durch gemeinsames Gestalten eines integrativen Zugangs, in dem medienpädagogische und fachspezifische Zugänge sinnvoll verbunden werden können, kann auch eine fruchtbare Auseinandersetzung mit den audio-visuellen Medien stattfinden (Krucsay, 1998).

       1.3.7 Der Brighton-Effekt

      Das Konzept des Zugänglichmachens im Rahmen der Möglichkeiten, das aktive Arbeiten mit dem Konzept des lebendigen Archivs ist leider alles andere als selbstverständlich. Eine Besserung in dieser Hinsicht brachte eine 1978 von der FIAF organisierte Filmkonferenz in Brighton, die den Spielfilm zwischen 1900 und 1906 zum Thema hatte und die inzwischen als wesentliche Zäsur in der Filmwissenschaft gilt. Die klare Eingrenzung des Konferenzthemas war durch die positiv zu verstehende Archivsituation bedingt worden. Der Filmwissenschaftler David Francis formulierte diesen Umstand folgendermaßen:

      “Originally we intended to consider all films produced between 1900 and 1906 and discuss the interrelationship between fact and fiction. However, when we discovered how many fiction films had survived in members’ collections and how many would be available for screening in Brighton, we decided to limit our researches to this aspect of the period” (Gunning, 2003, 19).

      Die Hinwendung zur Erforschung des frühen Films ermöglichte einer jüngeren Generation von Filmwissenschaftlern – unter ihnen auch heute etablierten Granden der Filmgeschichte wie Tom Gunning, der bereits zitierte David Francis oder André Gaudreault – konstruktive Kritik an der klassischen Filmgeschichte, wie sie etwa von Georges Sadoul oder Friedrich von Zglinicki vorgelegt worden war, zu formulieren. Dabei kam es zu noch heute, auch für die Archivarbeit, wesentlichen Neuüberlegungen bezüglich Periodisierungsversuchen in der Filmgeschichtsschreibung und dem Beginn einer noch immer andauernden, fruchtbaren Diskussion über sozial- und kulturgeschichtliche Rahmenbedingungen der Produktion und Rezeption von Filmen. Geradezu revolutionär war auch der Versuch, die Entwicklung der Kinematografie und der Institutionalisierung des Kinos in Sinnzusammenhang mit einer Ideengeschichte der Moderne zu bringen:

      “Increasing urbanism, mass audiences and mass production, the rise of commercial popular entertainment, the proliferation of visual culture, new claims of gender and racial equality, new technologies of communication and transportation, new models of perception and consciousness, increased secularisation and influence of science – all this broad cultural issues could be focused trough the lens of early cinema” (Gunning, 2003, 25).

      Mit der Umsetzung dieser Ideen fand auch wieder ein stärkerer Rückgriff auf die tatsächlichen Quellenmaterialien statt, der eine wesentliche Änderung im Forschungsansatz und im alltäglichen Rechercheverhalten der Filmwissenschaftler mit sich brachte: Die Einbindung der Filmarchive war notwendig und auch erwünscht. Dass zu diesem Zeitpunkt auch eine neue Generation innerhalb der Archive ihren Dienst aufnahm, die ebenso wie die Wissenschaftler an einer Sensibilisierung und Begeisterung des Publikums interessiert war und immer noch ist, war dieser


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