In die Transitzone. Elena Messner

In die Transitzone - Elena Messner


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die Männer, an denen er vorbeiging.

      Da war er wieder, der leichte Verfolgungswahn, der auch schon in ihm hochgestiegen war, als er den Blick des Uniformierten gefühlt hatte. War das nur der Rest von Alkohol in seinem Blut oder die Folge des Schlafmangels?

      Vor ihm lag der Stadtstrand, von dem Nat ihm erzählt hatte. Der Weg stimmte zumindest, der Stadtkern konnte also nicht mehr weit sein. Er sprang über das Gerüst und landete im weichen Sand, der bei jedem Schritt nachgab, was ihn beim Gehen ziemlich anstrengte.

      Das Meer sah aus der Nähe ruhig aus, es hatte keinen richtigen Schwung, wirkte aber angenehm frisch. Sich hineinwerfen, um den Schmutz von seinem Körper zu waschen? Er konnte sich nicht dazu überwinden, obwohl der Morgenwind warm war, und vergrub die Hände in den Taschen seines Kapuzenpullovers. Der Wind trieb weiße und blaue Plastiksäcke über den Sand, ließ die Türen zu den Umkleidekabinen hin- und herschwenken, bunte Blasen ploppten vor Daniels Augen auf, Kinder im Sand und ihre Eltern, die barfuß umherliefen, Plastikspielzeug und farbige Badehandtücher, aber das verging schnell wieder. Neben dem Sandstrand ragten Felsen aus dem Meeresboden, und darauf war eine Betonformation gesetzt, die an einen Pilz erinnerte, Metalldrähte und aufgerissenes Plastik ragten aus der Platte hervor. Auf der anderen Seite erkannte er die Ruine eines Gebäudes, das zu einem Schwimmklub gehört haben musste, halb abgerissen, mitten in den Renovierungsarbeiten hatte man gestoppt. In Beton eingelassene Glasfronten, auf mehreren Terrassen umgestoßene Liegestühle, die Pools waren lange nicht mehr frisch aufgefüllt oder gereinigt worden, es sammelte sich schimmliger Belag auf den Böden, und in einigen stand dreckiges Regenwasser, das nicht abgeronnen war.

      Im Grunde ein schöner Strand. Und doch gab es wahrscheinlich nicht viele Orte, an denen man sich fremder fühlen konnte.

      Ob es an ihm lag?

      Die allgemeine Verlassenheit erinnerte ihn an die Zollstation und den Kontrollposten, wo er gestern auf dem Weg in die vom Binnenland abgetrennte Stadt aufgehalten worden war. Diese letzte Grenze, die er hatte passieren müssen, war kaum gesichert gewesen, und große Teile des Drahtzaunes waren zerschnitten, man merkte rasch, dass die Grenzanlage aus noch andauernden Konflikten hervorgegangen war, dass sie provisorisch hochgezogen und dann vernachlässigt worden war. Obwohl sie sicher von irgendwelchen Kartographen noch nicht fertig berechnet und endgültig festgelegt worden war, standen da zwei Kontrolleure in Uniform neben einer rot-weiß-gestreiften Schranke vor der Hinweistafel: »You are entering a border area!«, über das jemand den Spruch: »You are leaving our free international area to defend!« gesprüht hatte.

      Man hatte ihm abgeraten, sich vom Norden her zu nähern und am Atomzentrum vorbeizugehen, wegen der Polizei, der Feuerwehr und dem Militär. Vom Süden her sei es leichter, da wurden die Stadtgrenzen weniger streng bewacht. Beide waren aber nichts im Vergleich zu den Grenzen zum Mittelmeer hin, die schon durch ihre Erscheinung deutlich machten, dass es ihre Funktion war, die Küstenabschnitte, die man für »sensibel« hielt, komplett abzuriegeln.

      Das Meerwasser und der moosige Belag in den Pools riefen ihm mehr und mehr Bilder der letzten Tage ins Gedächtnis. Viele Male war er von Polizisten aufgehalten worden, die sein Gepäck kontrollierten, noch bevor er auch nur in die Nähe der Stadt gekommen war. Niemand hatte aber ernsthaft versucht, ihn von der Einreise abzuhalten, wahrscheinlich, weil er aus dem Landesinneren kam, nicht vom Meer her, und obendrein einen gültigen europäischen Pass hatte. Ein dicker Kontrolleur, der einen gutmütigen Witz machen wollte, hatte zwinkernd auf seinen großen Rucksack gedeutet: »Ihre Geldbörse, nehme ich an?«, und danach beinahe mitleidig geseufzt: »Sind Sie sicher, dass Sie nach Makrique weiterreisen wollen?«

      Im Sand steckte eine Spielzeugschaufel, daneben eine kleine Plastikgießkanne. Mit den Füßen schob er sie leicht an, spürte den Sand in seinen Schuhen, die brennende Blase, die aufgeplatzt war und in die das zermahlene Gestein eindrang.

      Die Umgebung wirkte durch das sich ausbreitende Licht wie ausgebleicht und beruhigte ihn, denn es passte nicht zu den Eindrücken der letzten Monate, dem ganzen Mischmasch aus offiziellen Empfängen, Besprechungen mit Inlands- und Auslandsgeheimdiensten, gehetzten Verhandlungen und Deklarationspapieren, Hoffnungen auf eine endlich gültige Strategievereinbarung, auf die nächste positive Evaluation oder sonst was. Und hier dagegen diese Sanftheit vor seinen Augen, welch ein Widerspruch.

      Warum hatte er »Ja!« gesagt zur vorgeschlagenen Dienstreise? Die vielen entnervten Berater, die Vertreter von Menschenrechts- und Entwicklungshilfebehörden, Beamte, die zu ihnen in die Büros kamen, Fragen stellten, überflüssige Debatten anzettelten, Berichte einforderten oder als Vorschläge getarnte Befehle weitergaben, da begann man sich eben für die Vorgänge zu interessieren.

      Als die Idee eines Vernetzungstreffens im Süden Europas in der Sitzung aufgekommen war, hatte er – und zwar als Einziger! – seinem Vorgesetzen erklärt, er habe die nötigen Sprachkenntnisse und das Know-how dafür, nämlich Erfahrung im Umgang mit Kommunikationssoftware für internationale Behörden. Obschon er rasch gemerkt hatte, dass man ihm ohnehin von allen Seiten zunickte, hatte er noch hervorgehoben, die Koordination des Austausches von Feuerwehren und Wasserwachten sei zu Ausbildungszeiten sein Schwerpunkt gewesen und das Wissen über integrierte Datenbanken sowie das Sammeln von Informationen zu technischen Fragen solcher Projekte mittlerweile sein Spezialgebiet. Am Ende bedrängte er den Chef und betonte mehrmals, er sei der Richtige für den Job.

      Seine Erinnerungen lösten sich auf, jetzt bemerkte er auch den Uringeruch, den der Wind mit sich trug. Am Strand stehen zu bleiben schien ihm nun doch ein wenig lächerlich, so auf halbem Weg, nur weil der Ausblick schön war. Er musste das Gebäude der Küstenwache finden beziehungsweise das der Schifffahrtsbehörde, oder wie auch immer die Kollegen sich hier nannten. Auf einem Papier hatte er sie als »Kompanie für maritime Sicherheit«, auf einem anderen als »Meeresgendarmerie« gelistet gefunden, gemeint war wohl beide Male dieselbe Freiwilligenbrigade, die sich in der Stadt in den letzten Monaten formiert hatte. Man kam ja mit den vielen Namen ebenso durcheinander wie mit den neuen Gesetzen.

      Zurück auf der Küstenstraße verscheuchte er mehrere magere Katzen, die ihn mit gesträubtem Fell anfauchten und den Weg freimachten, um sich, sobald er vorbei war, wieder zusammenzurollen und zu Füßen der Mauer in Schatten zu verwandeln.

      Daniel war überrascht, als der Hafen vor ihm lag, leerstehende Imbissbuden, kleine Cafés, Fast-Food-Ketten, auf dem Uferbeton übereinandergestapelte Plastikstühle und Plastiktische, wie ineinander verkrochen; Tische um Tische gruppiert, Stühle um Stühle, als hätten sie sich von ihren früheren Ordnungen zu befreien versucht. Die Vitrinen und Fensterfronten der Bistros, Pubs und Restaurants glitzerten schon in der Morgensonne, überall lag Müll.

      Etwas weiter weg sah er eine Festungsanlage, und daneben endlich den ehemaligen Yachtklub, in dem, zumindest seinen vielleicht schon wieder veralteten Informationen nach, die Küstenwache untergebracht sein sollte. Er betrachtete die Boote, schon überfielen ihn weitere Erinnerungen, immer schwerer fiel es ihm, auseinanderzuhalten, was Gegenwart und was Vergangenheit war und was vielleicht schon Bilder im Schlaf. Er hatte das Gefühl, die Stadt in einem computergenerierten Raster zu sehen, als kleinen Punkt darauf sich selbst an diesem Kai, markiert in einem Viereck, auf digitalen Karten, die nur dem Handel und dem Militär bekannt waren.

      Das Gebäude schien verlassen, wo waren die Kollegen? Wo waren überhaupt Menschen in dieser Stadt? Die ja im Grunde keine echte Stadt mehr war, sondern genau genommen nur noch ein Grenzstreifen, jedenfalls auf den Landkarten. Lebte niemand mehr hier? In der Presse waren so viele Gerüchte über diesen Ort verbreitet worden, es konnten doch nicht alle Zeitungsartikel so stark übertrieben oder gelogen haben, als sie berichteten, dass es hier zuging wie nirgendwo sonst.

      Er ging über einen kleinen Holzsteg, um ins Gebäude zu treten, aber die Tür war verrammelt, deswegen warf er seinen Rucksack in eines der daneben angelegten Boote, stieg danach selbst hinein und wollte sich kurz ausruhen.

      Man würde ihn schon nicht verhaften deswegen.

      Sofort verhedderte er sich beim Hinlegen in einem Fischernetz, das zum Trocknen ausgelegt war, er spürte die Knoten und kleinen Gewichte in den Schnüren – oder waren es Schwimmer, eingenähte Korkstücke?, jedenfalls zwickten und piksten sie ihn, bohrten sich in seinen Rücken und, als


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