Telefónica. Ilsa Barea-Kulcsar

Telefónica - Ilsa Barea-Kulcsar


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lachte etwas höhnisch, aber die Sehnen seines hageren, eckigen Kinnes spannten sich. Er rief plötzlich in den Apparat hinein: »Am besten, Sie kommen einen Sprung herauf, aber sofort. Dann habe ich noch Zeit, mit Ihnen in die Souterrains zu gehen, bevor die Konferenz mit Valencia fällig ist.« Dann hängte er ab.

      Paquita lehnte sich an den Bücherschrank und sagte: »Ach, da wird sich deine Gemahlin freuen, wenn du sie besuchst. Wenigstens muß sie dann nicht später in der Nacht heraufkommen, um Geld zu holen. Und nach der Konferenz hast du Zeit, im kleinen Salon zu schlafen. Ich habe nur bis zwei Uhr Nachtdienst. Dann komm ich zu dir, ja?«

      Sie war sehr direkt, denn sie wußte, daß sie wenig Zeit zur Unterredung hatte, und sie spürte seit Tagen, wie Agustín ihr entglitt. In Wahrheit hatte sie es schon seit einem halben Jahr gespürt und mit ihren Mitteln bekämpft. Aber seit einem Monat war es ernst. So lange war er nicht mit ihr ins Bett gegangen. Freilich, auch mit keiner anderen; sie konnte sein Leben sehr genau kontrollieren. Er behauptete, daß er jetzt kein Privatleben haben könne. Aber sie glaubte es ihm nicht, denn die meisten Männer ringsherum verbrauchten im Krieg mehr Frauen, weil sie das Leben noch ausnützen wollten. Daß Agustín seit heute die Pepa, seine Frau, im Haus hatte, war ein Grund mehr, ihn sich bald zu holen, sonst würde er es am Ende mit der Pepa tun. In seinem Hunger. Denn er war hungrig nach einer Frau, das sah sie, sie hatte scharfe Augen: er hatte sicherlich das Feuer im Leib genauso wie sie, Paquita. Oder er würde mit einem der vielen Mädchen im Haus gehen. Sie wollten alle, die kleinen Huren. Aber sie selbst hatte einen Vorteil; mit ihr sprach er immer wieder, mit den anderen nicht. Merkwürdig, wieviel ihm das zu bedeuten schien, dieses Reden und Verstandenwerden, und dabei war es doch so nebensächlich. Aber so war er, also ihn zum Reden bringen, bevor der verdammte Architekt kommt. Denn noch hatte er sie nicht für diese Nacht zu sich gerufen.

      Sie unterbrach das Schweigen mit ihrer heiseren, tiefen Stimme: »Tinito, bist du sehr müde? Oder ärgerst du dich, weil diese Herren in Valencia die Ersatzteile nicht schicken? Oder was ist los?«

      Agustín war sich klar darüber, daß er viel zuviel mit Paquita sprach, ihr zuviel erzählte. Aber sie war doch seine Bürotelephonistin gewesen; sie wußte viel von ihm und über ihn, und sie interessierte sich für seine Angelegenheiten. Das Gegenteil seiner Frau. Und dann liebte ihn Paquita sehr, sagte er sich.

      Er antwortete ihr nur: »Laß das, Kindchen.« Sie ging sofort dicht zu ihm, denn seine Stimme war nicht zurückhaltend wie sonst. »Weißt du, daß wir heute wieder zweihundert Meter in der Casa de Campo zurückgehen mußten? Ich verstehe die ganze Frontlinie nicht mehr, sie geht im Zickzack. Sie haben uns viele Keilspitzen in die Stellungen getrieben. Und ich hab’ Angst, daß sie uns ganz abschneiden.«

      Ich sollte ihr das nicht sagen, dachte er gleichzeitig. Aber ich bin so müde. Man kann nicht immer allein sein. Vielleicht gehe ich doch heute mit ihr in den kleinen Salon. Irgendeinmal wird einen ja doch eine Granate erwischen, und man ist ein Bündel Fleischfetzen. Sie denkt wenigstens an mich, sie hat nur mich. Man soll wenigstens nicht schlecht zu anderen sein. Die Kinder – ich mag nicht daran denken, was die Pepita aus meinem Leben gemacht hat.

      Er ließ zu, daß sie ihm die Haare streichelte; das mochte er sonst nicht recht, weil sie es stets mit Besitzergeste tat. Paquita sah sein Nachgeben. Sie hatte ihre Chance. Aber sie hatte keine Ahnung vom inneren Wesen des Mannes, mit dem sie durch drei Jahre geschlafen, den sie fünf Jahre lang zum vertraulichen Reden gebracht hatte. Sie hielt ihr Beisammensein in dieser Nacht für eine gesicherte Angelegenheit, wenn sie ihn noch mehr ins Feuer setzen konnte, und gleichzeitig wollte sie seine Stimmung sofort auch für ihr nächstes Ziel ausnützen:

      »Tinito«, sagte sie, »du machst hier nur den Narren für die großen Herren: du sitzt in der Rattenfalle und sie in der Sicherheit. Ich habe keine Lust, in Madrid zu verhungern, wenn sie uns abschneiden. Du hast schon genug geopfert. Du kannst erreichen, daß man dich versetzt. Gehen wir nach Alicante, du, dann können wir es gut haben.«

      Sie ließ ihre Hand von seinem Scheitel hinabgleiten und begann, ihm vom Knie aufwärts über die Innenfläche des Schenkels zu streichen.

      Agustín hatte plötzlich eine große Leere im Magen. Seine Müdigkeit schlug in jähen Ekel um. Nicht so interessiert, mein Kind, ich merke es nicht gern, daß man mich verführen will, dachte er. Er nahm ihre Hand mit einem sachlichen und gleichgültigen Druck, hob sie von seinem Körper weg und legte sie auf die Tischplatte wie ein totes Ding. Einen Augenblick lang war er nahe daran, ihr zu sagen, daß sie offenbar nie verstanden hätte, wie er Madrid empfand und wie diesen Krieg, und warum er hierbleiben mußte, den Tod erwartend. Aber da stieg ihm mit der nüchternsten Klarheit die Erkenntnis auf, daß er hier jahrelang nicht mit einem Menschen, sondern nur zu einem Menschen gesprochen hatte. Daß er eine Verständnisunfähigkeit übersehen hatte, weil sie nicht auf große Proben gestellt worden war. Daß er die Illusion dieser Gemeinschaft nie mehr wiederherstellen würde können.

      In der Telefónica kann man schlechter lügen und schwindeln als im normalen Leben, ging es ihm durch den Kopf, aber der Gedanke kam ihm kindisch vor.

      »Geh jetzt, Paquita, du hast bald Dienst. Ich werde morgen mit dir Kaffee trinken gehen, wenn ich Zeit dafür habe«, sagte er so kühl, daß sie auffuhr und die Sturzwelle einer verzweifelten Wut ihr Gehirn überschwemmte. Er sah die Explosion kommen, stand auf und ging an ihr vorbei zur Tür, ehe sie in jenes intensive Weinen ausbrechen konnte, das ihm so verhaßt war. Im Vorsaal blieb er bei der Ordonnanz stehen, bis Paquita das Zimmer verließ und den Gang hinabschritt, ohne ihn anzusehen, die schönen Hüften allzu heftig schwingend.

      Die Zeit war richtig bemessen gewesen. Der Architekt kam eben aus dem Lift heraus und Agustín nahm ihn herzlich beim Arm. Er mußte nichts verdrängen. Seine wirren Privatkonflikte waren ihm unwirklicher und fremder als die Massennot der vierhundert Frauen, Kinder, Kranken, Greise, die er nun bombensicher unterbringen sollte, nachdem sie den Moros entronnen waren.

       III.

      Im achten Stock schlug um acht Uhr abends eine Granate ein. Sie war nicht der Rede wert; eine 7,5-Zentimeter. Sie traf das Fenstersims in der Vorderfont und explodierte dort. Zement- und Holzsplitter flogen ins Zimmer, zugleich mit der zerbrochenen Fensterscheibe, zugleich mit den Sprengstücken, von denen sich einige in die gegenüberliegende Wand bohrten, andere in die dicken Eichenschränke drangen, viele ohne Durchschlagskraft auf den Boden fielen. Das Zimmer war einer der unzähligen, nun unbenützten Verwaltungsräume, die jetzt leer standen; also an sich eine uninteressante Granate.

      Der Vertrauensmann des Stockwerkes besichtigte den Schaden. Er stellte zwei nicht unwichtige Details fest, die ihm erlaubten, eine Änderung des Schußwinkels der Batterie oder die Aufstellung einer neuen Batterie anzunehmen. »Das ist die linke Seite des Fensterrahmens«, sagte er zu seiner Ordonnanz, »sie haben die Richtung geändert. Aber was fällt ihnen ein, jetzt so spät eine einzelne Granate abzuschießen. Besser, ich melde es dem Comandante.«

      Manuel García war erst seit wenigen Tagen Responsable, Verantwortlicher. Er gehört zu den Vorarbeitern der Reparaturkolonne. Aber sie hatten seit dem 6. November keinen Außendienst gemacht. Das wenige Material, das in Madrid vorhanden war, wurde von den militärischen Linien und den neuerrichteten Telephonzentralen der Kriegsbehörden aufgebraucht. Manuels Gruppe von Elektrikern und Mechanikern, die den Reparaturdienst am Telephonnetz der Hauptstadt selbst zu versehen hatte, wartete vergebens auf eine Materialzusendung. Derzeit war es immerhin noch möglich, diesen Dienst durch Kunststücke der Linienkombination und Umschaltung zu ersetzen. Aber lange ging das nicht mehr so weiter. Manuel fühlte sich überdies nicht sehr geeignet für den Dienst in der Telefónica, er war an freie Luft und die Arbeitsgemeinschaft der Gruppe gewöhnt. Aber die Freie Gewerkschaft – die UGT – hatte ihn zum Diensthabenden im achten Stock bestimmt, weil dort die Militärkanzlei und die Kommandantur lag und man da keinen Anarchisten haben wollte. Gute Kerle, meinte Manuel selbst, aber man weiß nie, was sie anstellen.

      Eben hatte er die Arbeit vor sich, den ganzen Stock zu überprüfen, nach Menschen und nach Dingen. Dann würde er zu Sánchez gehen. Comandante Sánchez war etwas schwierig zu verstehen; verschlossen und abseitsstehend, dabei ein alter Gewerkschafter. Ein tüchtiger Mensch


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