Telefónica. Ilsa Barea-Kulcsar

Telefónica - Ilsa Barea-Kulcsar


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sich selbst unterbrechend.

      »Ja«, antwortete sie, »gewiß, aber nicht zu sehr. Man ist nicht so wichtig, wie man früher dachte. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Ordonnanz, ich werde um zwei Uhr bei Ihnen sein. Ich, wissen Sie, kenne hier nichts und niemand.«

      Sie streckte die Hand hin und Agustín verstand die Bewegung gut; es war etwas Persönlicheres als die konventionelle Geste. Dieser Händedruck schuf eine Insel des Kontakts.

      »Gute Nacht, Genossin, ich glaube nicht, daß die Junkers heute nacht zurückkommen. Auf Wiedersehen.«

      Er tastete sich eben durch den Gang, als die wenigen blau verhüllten Lampen aufflammten und die ersten Leute das Treppenhaus und die Fahrstühle verließen. Der Alarm war zu Ende.

       IV.

      Bevan legte der Zensur den Text seines Abendberichtes vor:

      »Nach einem Tag der Ruhe an der Front begann die nationalistische Artillerie in den Abendstunden das Zentrum der Hauptstadt zu beschießen, ohne jedoch nennenswerten Schaden anzurichten. Die Mehrzahl der Geschosse waren Schrapnelle und 7,5 cm-Granaten. (»Wieviel Inches sind das? Na, das sollen sie sich in London für die englische Ausgabe ausrechnen!«) Eine der letzteren traf die Telephonzentrale. Um 8.55 Uhr wurde das Herannahen von vier Bombenfliegern und sechs Jagdflugzeugen gemeldet. Der Alarm wurde sofort gegeben und das Geschwader (»eigentlich ist das kein Geschwader, aber das Wort klingt so sachkundig …«) schwenkte ab, ohne eine Bombe abzuwerfen. Nach zehn Minuten versuchten die nationalistischen Flieger, ihr Ziel von einer anderen Richtung her zu erreichen; sie warfen im Vorort Vallecas zwei Bomben ab, von denen jedoch nur eine explodierte, die von den Fachleuten auf hundert Kilogramm geschätzt wird. An Opfern werden offiziell sieben Tote, sechzehn Verwundete gemeldet. Ihr Reporter konnte vor Ort feststellen, daß infolge der Schwere der Verletzungen die Zahl der Todesopfer binnen kurzem steigen dürfte. Obwohl die Bombe in der Mitte einer Straße explodierte, sind die Fronten von acht Häusern schwer beschädigt, ein kleines Haus durch den Luftdruck und die Sprengstücke zertrümmert. Die nationalistischen Flieger versuchten, gegen das Stadtzentrum vorzudringen, gaben aber ihre Absicht auf, als die republikanischen Jagdflugzeuge in Aktion traten, und zogen sich in Richtung Talavera zurück.«

      »Wissen Sie«, sagte Bevan redselig zu Anita (er war eben aus der Miami-Bar gekommen, als der Alarm einsetzte und nachdem er sich die Schlachtbank dort in Vallecas angesehen hatte, waren noch zwei Whiskys in der Gran-Vía-Bar hinzugekommen), »ich sage in meinem Bericht nichts über die Flaks, sie sind aber eine Schweinerei. Na, Sie würden mir so was ja nicht durchlassen, und überhaupt interessiert sich unsere Agentur dafür nicht. Gut, daß die Flieger eine Sensation sind seit dem großen Bombardement am Sonntag. Das war scheußlich. Sie waren noch nicht hier, nicht wahr?«

      »Ich war gestern unterwegs auf der Straße von Valencia nach Madrid.«

      »Ja, also eigentlich hätte ich etwas über euren Rückzug in der Moncloa und Casa de Campo berichten sollen, aber das erlaubt ihr doch nicht, und es ist heute nicht so wichtig, wie es morgen sein wird.«

      »Morgen und übermorgen wird noch was ganz anderes über den Rückzug zu melden sein; und dann werdet ihr auch etwas durchlassen müssen, trotz aller Zensur. Sie sind schon mit meinem Zeug da fertig?«

      »Ja, geht in Ordnung.« Sie gab eine Kopie dem Journalisten und eine der Ordonnanz. Bevan stand neben dem Schreibtisch und hatte Lust, Konversation zu machen. Die Verbindung würde heute ohnehin nicht so schnell hergestellt werden, die Linien waren mit Staatsgesprächen verlegt. Und irgendetwas mit dem Draht nach Valencia war nicht ganz in Ordnung. Er wußte nur nicht recht, wie er ein Gespräch mit der Zensurfrau da anfangen sollte.

      Anita ihrerseits war zurückhaltender, als sonst ihre Art war. Sie kannte den Mann nicht, hatte auch nichts über ihn gehört. Er war Amerikaner, aber sah ungefähr so aus wie die jungen, törichten und dabei unerwartet tüchtigen Helden der Wodehouse-Romane. Wahrscheinlich war er nicht ungeschickt, seine Nachrichtenagentur – der P. S., zweitgrößte der amerikanischen Firmen – hätte ihn sonst nicht jetzt in Madrid verwendet. Sich nicht dazu verleiten lassen, andere zu unterschätzen, dachte sie. Er freilich unterschätzt mich, wie üblich, weil ich ein Frauenzimmer bin, das ist mir schon langweilig.

      Sie fragte plötzlich: »Hören Sie, Mr. Bevan, warum haben Sie in Ihrem Bericht das Interessanteste von heute Abend ausgelassen? Nämlich, daß es Junkersapparate waren und daß die Bomben in Vallecas deutsches Fabrikat sind?«

      »Ich weiß nicht, ob das wahr ist«, sagte er.

      »Was die Junkers anlangt, müssen Sie sich freilich auf die Fachleute verlassen, genauso wie ich. Aber der Blindgänger und die Reste der zweiten Bombe haben sicher irgendeine Marke. Haben Sie die nicht gesehen?«

      »Ja, aber ich kenne sie nicht.«

      »Da haben Sie sich wahrscheinlich die Zeichen notiert, nicht?«

      »Nein, hören Sie« – er war beinahe grob –, »ich weiß, was unsere Leute interessiert. Ich gebe keine Propagandameldungen durch!«

       V.

      Man sitzt in dieser Nische des unterirdischen Korridors – zweiter Keller der Telefónica – wie in einer Sackgasse.

      Vor zehn Tagen, die man sich an den Fingern ausrechnen muß, so endlos ist der Zeitraum, waren sie aus Carabanchel weggegangen, zwei Stunden früher als die Nachbarn. Concha selbst wäre lieber dort geblieben. Aber sie kannte die Hilflosigkeit der Schwester in allen praktischen Dingen, die Nachdenken erforderten, und wollte nicht in die große Fluchtwelle hineingeraten. So hatte sie gepackt, was in ein paar Säcke und Bündel ging und hatte den Esel vor den Karren gespannt. Guter, kleiner Esel – er war nun wohl verloren.

      Damals war viel Lärm in der Luft, ein Lärm, den man noch kaum verstand, aber doch schon Flieger benannte. Granaten schlugen in die Häuser ein und gingen durch die Lehmwände wie durch Käse, um oft in einem leeren Zimmer oder einem Hof, wo sonst die Kinder spielten, zu platzen. Am grauen Himmel entfaltete sich manchmal ein rosiger Schein. Das war ein Schrapnell, so nannten es die Offiziere. Viele Dinge gibt es, die im Kriege verwendet werden und alle töten, wenn ihre Stunde da ist. Nur war es so schwer zu verstehen, daß der Krieg nach Carabanchel gekommen ist.

      Alle Leute redeten davon, daß die Moros kommen würden, aber niemand hatte es wirklich glauben können. »Sie kommen nicht bis hierher, Madrid ist doch vor den Toren, und nach Madrid kommen sie nicht, das gibt es nicht.« Aber dann kamen Tag und Nacht die Karren aus den Dörfern, aus immer näheren Dörfern, und mit Menschen, die man kannte, mit Frauen, von denen man wußte, sie würden niemals ihr Haus und ihre Habe im Stich gelassen haben, wenn es nicht um das nackte Leben gegangen wäre. Und diese Frauen sagten, daß alles wahr wäre und daß die Moros kämen. Concha sah sich die Karren aufmerksam an und überlegte sich eine genaue Liste der Dinge, die mitzunehmen waren. Dann erst erklärte sie Schwester Pilar die Notwendigkeit der Flucht; sie wollte ihre eigene Ruhe nicht vor der Zeit durch das Weinen und Jammern der Schwester zerstören lassen.

      Das Wichtigste waren warme Sachen, Decken und Pölster, ein paar Pfannen, ein Spirituskocher, Sachen für die Kinder. Der Novemberfrost begann schon unter die Haut zu kriechen. Keine schönen Kleider, keine Spiegel, keine Deckchen, selbst nicht die gestickten. Die Pilar verstand noch immer nicht, daß Krieg war und daß man da seine Sachen verliert, wenn man schon nicht das Leben verliert. Ach, sie selbst verstand es kaum besser.

      Aber da war der Lärm schlimmer geworden, es war ein vielfältiger, bösartiger, unbekannter Lärm. Viele Milicianos kamen durch, die vor dem Feind davonliefen und sagten, daß er alle Waffen habe und wir keine, gar keine; und andere Milicianos kamen durch Carabanchel, die dem Feind entgegengingen. Dann erklärten die Männer, die in den Komitees saßen, und die Offiziere, die im Dorf das Anlegen der Verteidigungsgräben überwachten, daß alle Frauen und Kinder weg müßten. Denn hier würde Krieg sein. Krieg im kleinen, weißen Haus, man kann es sich nie und nimmer vorstellen. Es hat keinen Sinn, es ist dumm. Was geschieht in Carabanchel und warum?

      Aber damals, vor zehn Tagen


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