Boxkämpfe. Winfried Rochner

Boxkämpfe - Winfried Rochner


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hergestellte Cremesoße. Diese besteht aus Putenmark, fünf verschiedenen Sorten Senf, Pfeffer und Muskat und dann – sozusagen als Krönung – dem direkt aus Grönland frisch importierten Walfischöl. Nach 25 Stunden und einunzwanzigeinhalb Minuten hole ich die gespaltene Zunge wieder heraus, wälze sie in geriebenen Pistazien und gare das Ganze kurz in der Ofenröhre. Sollte kein Ofen vorhanden sein, dann eben in der Mikrowelle, obwohl der Geschmack sehr darunter leidet. Dazu stampfe ich noch aus Süßkartoffeln ein Mus, das ich am Ende mit Früchten aus dem brasilianischen Urwald garniere.“

      „Ist das nicht wundervoll?“, rief Veronika unter Tränen aus. „Unser Freund Amadeus, der dieses fantastische Gericht aß, fand den Geschmack umwerfend und kam nicht mehr von der Toilette. Denkt euch nur, er nahm in zwei Tagen fünf Kilo ab. In Insiderkreisen hat sich dieses Rezept blitzartig verbreitet, sodass Marko es als Patent angemeldet hat und nun hofft, bald von den Tantiemen unseren Lebensunterhalt zu bestreiten.“

      Wir wagten nicht mehr, auf den Auftritt von Eusebius einzugehen, und verabschiedeten uns schnellstens.

      Ganz erstaunt war ich, als ich aus der Presse erfuhr, dass selbst in den Regierungsspitzen bei den Männern ein feuriger Kochwettbewerb um sich griff. Die Kanzlerin, die als Frau nicht involviert ist, muss während der Debatten im Bundestag die Streithähne auseinandertreiben. Der Bundestagspräsident hingegen stellt hocherfreut fest: „Endlich mal Debatten, bei denen was rauskommt.“ Die Opposition der Linken und Grünen fordert lautstark auf: „Maßhalten und Grünzeug essen!“ Und wir nehmen ständig zu an Weisheit und Gewicht. So richtig kommen sie damit nicht wirklich durch.

      Inzwischen verweigern die Kinder der kochenden Väter das Schulessen, und die Mütter erleben herrliche Freizeiten, welche sie zum Shoppen und für kleine Beschäftigungen neben ihren ehelichen Pflichten nutzen. Wobei das böse Wort Fremdgehen erst gar nicht angerührt wird.

      Eine Gegenbewegung setzte ein, weil es den Ehefrauen und Freundinnenfrauen nicht mehr ausreichte, weitab vom Herd nur vergnüglichen Außentätigkeiten nachgehen zu müssen. Es langweilte sie schlicht und einfach gesagt.

      Adam Stadler bemerkte an seiner Frau, dass sie ihm gegenüber fachliche Bemerkungen zu seinem Beruf machte. „Lena-Maria, was soll das, du machst hier Vorschläge und hast von der Materie keine Ahnung.“ Insgeheim aber wunderte er sich über ihre Fachkenntnisse, die ihm bisher zum Teil verborgen geblieben waren.

      Lena-Maria schloss sich einer Initiative der Frauen an, um in den Berufen ihrer Männer eine Ausbildung zu absolvieren. Sie studierten an Universitäten und Fachschulen, lernten Berufe, die für Frauen bisher als Tabu galten. Immer mehr Frauen folgten, ja, in der ganzen Republik schlossen sie sich dieser Bewegung an. Ganz allmählich und stetig übernahmen die Frauen die Arbeit und die Posten ihrer Männer.

      Lena-Maria Stadler stieg zur Managerin und Vorstandsvorsitzenden beim IT Konzern Gerotec auf und war kaum noch zu Hause. Adam Stadler sah ein, dass seine Arbeit nichts Wesentliches mehr zum gemeinsamen Haushalt beitrug. Er blieb als Hausmann und somit exzellenter Koch daheim. Er kümmerte sich um die Kinder und den gesamten Haushalt. Der Sport, der geniale Fußball, bisher Lena-Marias Unverständnis, förderte sie aus verständlichen Gründen, und Adam nahm dies erfreut an. Nebenbei ging er noch fleißig ins Fitnessstudio. Die Fußballbewegung – in Deutschland und in der übrigen Welt auf höchstem Niveau – bedarf für die kochende Männerzunft keiner zusätzlichen Anregung. Nur lief den kochenden Männern die Zeit davon, die sie vorher vor dem Fernseher oder auf dem Fußballplatz verbracht hatten.

      Die Frauen übernahmen zügig alle bisherigen Arbeiten der Männer in Politik, Wirtschaft und Finanzen und ebenso die dazugehörigen Schlüsselstellungen. Sie lebten nur noch in ihrer Arbeit. Was bisher nur als Protz- und Profilierungssucht der Männer in Deutschland begann, brachte die gesamte Struktur im Lande zum Umsturz.

      Bald wird der Tag kommen, wo die Frage unabwendbar im Raum steht: „Wer kriegt dann die Kinder?“

      Die Wissenschaftlerinnen der Medizin sind sich auch in diesem Punkt sicher: „Wir werden dafür eine Lösung finden.“

      *

      Studentische Befindlichkeiten

      Mit der U- oder S-Bahn zu fahren, war eines meiner stillen Vergnügungen, um von einer Disco oder einem Kumpel zum anderen zu gelangen. Regelmäßig las ich während der Fahrt die verschiedenen Plakate, die in den Wagen aufgeklebt waren. Dabei fiel mein Blick immer wieder auf das Poster mit folgender Aufschrift:

      Diplombetriebswirt in vier Jahren in der Freizeit.

      Je öfter ich die schöne Schrift durchlas, desto intensiver kam mir der Gedanke, in einer Universität die Freuden eines Studentenlebens auszukosten. Da ich im Moment nichts Besseres geplant, mein Abitur vor zwei Jahren mit Ach und Krach bestanden, Vater genug Kohle hatte und mir das Rumsitzen in der S-Bahn, bei den Kumpels und zu Hause keinen Spaß mehr machte, entschloss ich mich, der Sache näherzutreten. Eine eigene Bude, von den Alten für mich gesucht und eingerichtet, stand mir nun zur Verfügung, und für die allgemeinen Bedürfnisse wohnte ein Mädel bereits ein.

      Vor meinem Sitzplatz in der U-Bahn stand ein alter Mann, dem ich auf die blank geputzten, schwarzen Schuhe starren konnte. Die nächste Idee fiel mich an gleich wie ein Ast, der neben mir krachend zu Boden ging, es durchzuckte mich bis tief in mein Innerstes. Philosophie, ja, Philosophie wollte ich studieren, das war schick und würde bei meinen Kumpels garantiert für Aufsehen sorgen. Meinen Eltern war es eh gleich, Hauptsache, ich tat überhaupt etwas. Die Philosophie war Liebe zur Weisheit und ein Philosoph ein Freund der Weisheit. Welch edle Bezeichnungen für diese mysteriöse Wissenschaft, die vielleicht gar keine war! Mit der Liebe hatte ich jedenfalls keine Probleme. Auf jeden Fall gab ich meine Meldung an der Universität – Philosophische Fakultät – ab.

      Studium als eine interessante und zeitraubende Beschäftigung intellektueller Köpfe. So stellte ich mir eine Arbeitsweise vor, mit der sich einige Jugendliche die Zeit vertrieben. Pünktlich fand ich mich zum Studienbeginn an der Uni ein. Meine Erfahrungen zeigten mir, dass die sogenannten Vorlesungen ein stundenlang andauernder, monologer Singsang eines Einzelnen – vergleichbar mit einer Wagneroper – waren.

      Schon Hanslick hatte die gleichen Empfindungen gehabt, nur konnte er diese besser ausdrücken. Dann überlegte ich fieberhaft, warum ich eigentlich Philosophie studieren wollte.

      Philosophie als Wahrheitssuche? Wohl nicht so interessant, ich könnte mir dabei selbst auf meine Schliche kommen.

      Die Erweiterung meines Horizonts? Vielleicht schon eher, denn ich kannte weder Amerika noch China, fast alle anderen wichtigen Länder hatte ich schon mit meinen Eltern bereist.

      Im praktischen Leben besser zurechtkommen? Das konnte ich weglassen, mir waren sämtliche Kniffe und Praktiken des Lebens bekannt.

      Philosophie als Selbstzweck? Ja, genau das war es! Als Betätigung rund um das Vergnügen und wenn es sich ergab, auch der Kultur.

      Gott oder Kant sei’s geklagt, die Studienpläne. Was gab es nicht alles zu studieren, so etwa die Philosophen von der Antike bis hin zur Gegenwart. Dann die Seminare: Sind sie eher eine lockere Unterhaltung von Gleichgesinnten oder schaut man dabei auf seine Hände oder Schuhe oder in die Augen der Gläubigen – einer Gläubigen, einer entzückenden Schönheit? Genau das musste ich noch herausfinden.

      Die Auseinandersetzung mit den Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts erwies sich als glatter Fehlschuss. Die Philosophen des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich mit denen aus dem 19. Jahrhundert, wobei sie die Frage nach Gott und der menschlichen Unsterblichkeit überwiegend aussparten. Sie fuhren lieber als aufgescheuchte Hühner durch die Weltgeschichte und stritten sich untereinander. Mich damit zu beschäftigen, fand ich schon als reine Zumutung, zumal der Marx aus dem 19. Jahrhundert vom kleinen Blüm für tot erklärt wurde und der Streit vom Sein und Bewusstsein nun erledigt war. Meine Philosophie, leben und leben lassen und das möglichst gut, genügte mir.

      Da Philosophen über ihre Erkenntnisse viel redeten und ich darin bereits ein Meister war, konnte ich mir das Fach Rhetorik schenken,


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